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Rossini in Wildbad
Belcanto Opera Festival
15.07.2022 - 24.07.2022


Ermione (Hermione)

Azione tragica in zwei Akten
Libretto von Andrea Leone Tottola
Musik von Gioachino Rossini

In italienischer Sprache mit italienischen und deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2 h 50' (eine Pause)

Produktion von Passionart und der Filharmonia im. Karola Szymanowskiego W Krakowie

Premiere in der Trinkhalle am 16. Juli 2022

 

 

 

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Liebe als Einbahnstraße

Von Thomas Molke / Fotos: © Patrick Pfeiffer und Philharmonie Krakau

Rossinis Oper Ermione, die er selbst als seinen "kleinen Guillaume Tell auf Italienisch" bezeichnet haben soll, gehört zu den unbekanntesten Werken des Schwans von Pesaro und ist auch heute noch eine absolute Rarität, die so gut wie nie auf dem Spielplan steht. Dass es sich bei der Uraufführung am 27. März 1819 im Teatro San Carlo in Neapel um einen der größten Misserfolge in Rossinis Schaffen gehandelt haben soll, ist aber ein Mythos, der unter anderem später auch noch vom Komponisten selbst tradiert wurde. So schrieb er während der Arbeit an der Komposition an seine Mutter, dass er den Stoff für zu tragisch für das damalige Publikum halte. Später soll er geäußert haben, dass diese Oper erst nach seinem Tod reif für die Bühne sei. Zu belegen ist, dass es den äußeren Umständen geschuldet war, dass das Stück schnell von der Bühne verschwand. Da es aus organisatorischen Gründen erst kurz vor Ende der Spielzeit zur Premiere kam, konnte es nur sieben Aufführungen geben. Abgesetzt wurde das Stück also keinesfalls, auch wenn es mit Ausnahme einer Aufführung in Sevilla 1829 keine weitere Wiederaufnahme gab. So dauerte es bis 1977, bis die Oper in einer konzertanten Aufführung unter Gabriele Ferro in Siena erstmals wieder konzertant zu erleben war. Zehn Jahre später folgte dann beim Rossini Opera Festival in Pesaro die erste szenische Neuproduktion mit Montserrat Caballé in der Titelpartie unter der Leitung von Gustav Kuhn, der das Stück 2018 auch zu den Tiroler Festspielen nach Erl brachte. Nun ist das Werk auch (endlich) beim Belcanto Opera Festival Rossini in Wildbad zu erleben.

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Pirro (Moisés Marín, Mitte) weist Ermione (Serena Farnocchia, dahinter) von sich (auf der linken Seite: Attalo (Bartosz Jankowski) und Cefisa (Katarzyna Guran) mit Astianatte (Justyna Kozłowska), auf der rechten Seite: Chor). (© Patrick Pfeiffer)

Das Libretto von Andrea Leone Tottola basiert auf Jean Racines Tragödie Andromaque und behandelt eine mythologische Episode aus dem Sagenkreis um den Trojanischen Krieg. In der Oper ist Troja bereits gefallen, und Pirro (Pyrrhus oder auch Neoptolemus), der Sohn des griechischen Helden Achilles, hat Hektors Ehefrau Andromaca (Andromache) mit ihrem Sohn Astianatte (Astyanax) als Kriegsbeute mit nach Buthrote in Epirus gebracht. Dabei hat er sich in Andromaca verliebt und möchte sie heiraten, obwohl er  bereits Ermione, der Tochter des Menelaos und der schönen Helena, die Ehe versprochen hat. Diese ist wild entschlossen, Pirros Liebe zurückzugewinnen. Dafür instrumentalisiert sie Oreste (Orest), den Sohn des Agamemnon, der einerseits unsterblich in sie verliebt ist und andererseits die Auslieferung von Hektors Sohn an die Griechen fordern soll. Andromaca erklärt sich zum Schein bereit, Pirros Frau zu werden, um dadurch ihren Sohn zu retten, da Pirro ihr geschworen hat, ihn zu verschonen und wie einen Prinzen aufzuziehen. Heimlich plant sie jedoch, sich am Hochzeitsaltar zu töten, nachdem Pirro ihr den Schutz ihres Sohnes zugesichert hat. Ermione, die Andromacas heimlichen Plan nicht kennt, stachelt Oreste an, Pirro zu erdolchen. Nachdem Oreste aufgebrochen ist, um ihren Auftrag umzusetzen, bereut sie ihren Plan, kann die Ausführung allerdings nicht mehr verhindern. Folglich beschimpft sie Oreste als Mörder, als dieser ihr von Pirros Tod berichtet. Oreste ist dem Wahnsinn nahe, als er erkennt, dass Ermione ihn nie geliebt und lediglich benutzt hat. Von Pilade (Pylades) und seinen Freunden wird er vor dem auf Rache für den Tod des Königs sinnenden Volk von Epirus in Sicherheit gebracht und zur Flucht gedrängt, während Ermione in ihrer Verzweiflung zusammenbricht.

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Andromaca (Aurora Faggioli) zwischen Gattentreue und Mutterliebe (© Philharmonie Krakau)

Jochen Schönleber, der neben der Regie auch für das Bühnenbild verantwortlich zeichnet, deutet diese "Einbahnstraße der Liebe", in der jede Hauptfigur jemand anderen liebt, ohne dass die Liebe auf Gegenseitigkeit beruht, was aufgrund der nicht erwiderten Gefühle zu irrationalen Handlungen führt, als eine Art Würfelspiel, bei dem der Ausgang vom Zufall oder Glück abhängt. So befinden sich auf der Bühne drei riesige Würfel, die gerade im Fallen begriffen sind. Während der Ouvertüre dienen diese Würfel auch als Projektionsfläche und zeigen neben einer schemenhaften Gestalt Bilder von im Krieg zerstörten Städten, was als Anspielung auf das gefallene Troja betrachtet werden kann, das ja bereits während der Ouvertüre von den gefangenen Trojanern beklagt wird. Ein schräg ansteigender Steg auf der Bühne führt in einen recht abstrakt gehaltenen Palast. Vor dem Palast befinden sich ebenfalls zwei kleine Würfel, die gewissermaßen als Thron für den König fungieren. Hier spielt Pirro im zweiten Akt auch selbst mit einem Würfelbecher. In diesem Ambiente wird den Figuren viel Raum für das Ausleben ihrer Gefühle und Leidenschaften gegeben. Nur für den Philharmonischen Chor Krakau wird es bisweilen ein wenig eng auf der Bühne, da die drei riesigen Würfel und der schräge Steg nicht viel Platz lassen. Einige Passagen werden vom Chor folglich hinter der Bühne gesungen, was aber dann beim unter Antonino Fogliani fulminant aufspielenden Philharmonischen Orchester Krakau etwas blass wirkt. Sobald der Philharmonische Chor Krakau jedoch auf der Bühne agieren kann, begeistert er mit homogenem und kraftvollem Klang.

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Ermione (Serena Farnocchia) instrumentalisiert Oreste (Patrick Kabongo) für ihre Rache. (© Philharmonie Krakau)

In der Personenregie gibt Schönleber auch den kleineren Nebenfiguren viel Raum zur Entwicklung. Ob Andromacas Vertraute Cefisa als Krankenschwester auftreten muss, ist zwar Geschmacksache. Aber Katarzyna Guran arbeitet als Cefisa gemeinsam mit Bartosz Jankowski als Pirros Vertrautem Attalo intensiv heraus, wie beide die Verbindung zwischen Pirro und Andromaca begünstigen, auch wenn damit eventuell ein erneuter kriegerischer Konflikt heraufbeschworen wird. Im Gegenzug stellen Jusung Gabriel Park als einstiger Erzieher von Pirro und Chuan Wang als Freund des Oreste die Besorgnis um diese Entwicklung eindringlich dar. Ob Ermione mit ihren Freundinnen im ersten Akt bei der Jagdpartie mit einem Gewehr auftreten muss, das sie anschließend auch noch auf Pirro richtet, ist Ansichtssache. Jedenfalls wird dadurch deutlich, dass sie nicht davor zurückschreckt, den von ihr geliebten Mann dem Tod zu opfern, wenn er nicht bereit ist, ihre Gefühle zu erwidern. Über das Ende in der Inszenierung kann man dann sicherlich streiten. Andromaca flieht mit ihrem Sohn aus dem Palast und wird von Pilade mit einem Dolch verfolgt. Ob er nur sie oder auch ihren Sohn tötet, lässt die Inszenierung offen. Jedenfalls schleppt sich Andromaca im Finale blutüberströmt auf die Bühne und bricht auf dem Steg tot zusammen. Auch der sterbende Pirro haucht sein Leben erst auf dem Steg aus, auf dem dann auch noch Ermione zusammenbricht. Vor diesem eindrucksvollen Bild des Schreckens und vor dem auf Rache sinnenden Volk wird der dem Wahnsinn verfallene Oreste von seinem Freund Pilade schließlich in Sicherheit gebracht.

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Oreste (Patrick Kabongo, Mitte) und Pilade (Chuan Wang, vorne) bietet sich ein Bild des Schreckens (vorne liegend: Ermione (Serena Farnocchia), Mitte: Andromaca (Aurora Faggioli), hinten links: Pirro (Moisés Marín)). (© Patrick Pfeiffer)

Eindrucksvoll ist auch die musikalische Umsetzung, die sich auf Spitzenniveau bewegt. Da ist zunächst einmal Serena Farnocchia in der Titelpartie zu nennen. Mit enormer Bühnenpräsenz spielt sie die ständig wechselnden Gefühle Ermiones bewegend aus und begeistert mit stimmlichen Höchstleistungen. Ein Glanzpunkt ist ihre große Szene im zweiten Akt, wenn Ermione mit dem Mordauftrag immer mehr die Kontrolle über sich selbst verliert. Zunächst wirkt sie relativ kaltblütig, wenn sie, verletzt über Pirros Verhalten, seine Ermordung anordnet und auch Oreste gegenüber absolut herzlos auftritt. Mit gestochen scharfen Koloraturen und großartiger Dramatik arbeitet Farnocchia diese Wut glaubhaft heraus. Wenn sie dann allerdings das Ausmaß ihres Befehls erkennt, punktet Farnocchia mit verzweifelten und gebrochenen Tönen. Aurora Faggiola stellt mit samtweichem und dunklem Mezzosopran als Andromaca einen großartigen Gegenpart dar. Mit warmer Mittellage bringt sie ihre Muttergefühle wunderbar zum Ausdruck und findet für die verzweifelten Momente sehr leise Töne. An anderen Stellen trumpft sie  mit dramatischen Höhen auf.

Bei den Tenören ist zunächst Patrick Kabongo als Oreste zu nennen, dessen Stimme in den Höhen über eine große Strahlkraft verfügt und der sich in den halsbrecherischen Läufen sehr beweglich zeigt. Ein Höhepunkt ist seine Auftrittskavatine "Reggia aborrita!", in der er Ermiones Verhalten ihm gegenüber beklagt. Hier punktet Kabongo mit eindringlicher Leidenskraft. Bewegend gelingt ihm auch die Schilderung der Ermordung Pirros im zweiten Akt. Moisés Marín begeistert als Pirro mit kraftvollem Baritenor, der die Spitzentöne sauber ansetzt und auch in der Mittellage über großes Volumen verfügt. In den schnellen Läufen zeigt er sich absolut beweglich. Auch die kleineren Partien sind hochkarätig besetzt. So überzeugen Chuan Wang als Orestes Freund Pilade und Jusung Gabriel Park als Pirros einstiger Erzieher Fenicio in ihrem Duettino im zweiten Akt mit klarem Tenor und dunklem Bassbariton. Aufhorchen lässt auch Mariana Poltorak als Ermiones Vertraute Cleone mit vollem Sopran. Antonino Fogliani arbeitet mit dem Philharmonischen Orchester Krakau die zahlreichen Schattierungen der Partitur differenziert heraus, so dass es für alle Beteiligten am Ende großen und verdienten Jubel gibt.

FAZIT

Die Produktion in Bad Wildbad stellt unter Beweis, dass Rossinis Ermione zu Unrecht vernachlässigt wird und eigentlich einen Stammplatz im Repertoire verdient hätte.

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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Antonino Fogliani

Regie und Bühne
Jochen Schönleber

Kostüme
Cennet Aydogan

Licht
Michael Feichtmeier

Video
Ada Bystrczycka

Chorleitung
Marcin Wróbel

 

Philharmonisches Orchester Krakau
(Leitung: Alexander Humala)

Philharmonischer Chor Krakau


Solistinnen und Solisten

Ermione, Helenas Tochter
Serena Farnocchia

Andromaca, Hektors Witwe
Aurora Faggioli

Astianatte, Hektors und Andromacas Sohn
Justyna Kozłowska
(stumme Rolle)

Pirro, Achilles Sohn, König von Epirus
Moisés Marín

Oreste, Agamemnons Sohn
Patrick Kabongo

Pilade, Freund des Oreste
Chuan Wang

Fenicio, einstiger Erzieher von Pirro
Jusung Gabriel Park

Cleone, Ermiones Vertraute
Mariana Poltorak

Cefisa, Andromacas Vertraute
Katarzyna Guran

Attalo, Pirros Vertrauter
Bartosz Jankowski

Epirotische Würdenträger, trojanische Gefangene,
Orestes Gefolgsleute, spartanische Mädchen
Gemischter Chor

 


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