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Mehr als nur ein ErsatzVon Thomas Molke / Fotos folgen Eigentlich sollte die Mezzosopranistin Margarita Gritskova am 22. Juli 2022 ins Königliche Kurtheater nach Bad Wildbad zurückkehren und für ein neues Naxos-Projekt Lieder von Donizetti zur Klavierbegleitung präsentieren. Aus gesundheitlichen Gründen hatte sie jedoch nicht genügend Zeit für die Proben und musste diesen Termin absagen. Bad Wildbad wäre aber nicht Bad Wildbad, wenn man das Konzert einfach ausfallen ließe. So wurde für den Termin eine Ersatzveranstaltung arrangiert, wobei es der künstlerischen Leistung des Nachmittags in keiner Weise gerecht wird, hierbei von einem "Ersatz" zu sprechen. Kurzfristig konnte nämlich der Pianist Alessandro Marangoni verpflichtet werden, der bei Naxos als erster Interpret überhaupt Rossinis sämtliche Péchés de vieillesse auf 13 CDs eingespielt hat. Nun gibt es statt Arien von Donizetti im Kurtheater brillante Auszüge aus den viel zu selten gespielten Alterssünden von Rossini. Marangoni hat dafür Stücke zusammengestellt, die die ganze Vielfalt von Rossinis Kompositionen nach seinem Rückzug von der Opernbühne widerspiegeln. Dabei beginnt er nahezu schüchtern und zurückhaltend mit dem Prélude inoffensif aus dem Album de chaumière. Das Stück bleibt keineswegs so harmlos und unscheinbar, wie es zunächst beginnt. Relativ unerwartet bricht Marangoni aus der lyrischen Melodie in sehr schnelle Akkorde aus und stellt mit virtuosem Spiel die geniale Komposition Rossinis unter Beweis, die furios mit einem Forte-Akkord endet. Aus dem gleichen Album stammt auch die Petite polka chinoise, die schon im Titel Fragen aufwirft, da ein aus Tschechien stammender Rundtanz im 2/4-Takt zunächst einmal keine Merkmale aufweist, die man mit der chinesischen Kultur in Verbindung bringt. Doch Marangoni hat hierfür eine Erklärung: So werde im Thema der rechten Hand eine "chinesische Tonleiter" nachgeahmt. Selbst wenn man diese Feinheit nicht herauszuhören vermag, ist man von Marangonis lebhafter Darbietung begeistert. Auch die komische Seite Rossinis weiß Marangoni in seiner Interpretation großartig herauszuarbeiten. Ein Paradestück dafür stellt À ma petite perruche aus Quatre mendiants dar. Rossini widmete es "den gesellschaftlichen Begabungen" seines Papageis, und der eigensinnige Vogel kommt darin sogar selbst zu Wort. Marangoni imitiert den Papagei nicht nur gekonnt am Klavier, sondern spricht auch mit großem Witz die Kommentare des Vogels ein, selbst wenn sie nicht immer ganz stubenrein sind. Die frechen "foutre"-Rufe des Vogels werden zum entsprechenden Akkord am Klavier mit "Fuck you" übersetzt. Doch der Vogel hat von dem Meister scheinbar auch andere Dinge gelernt und sich beispielsweise mit ihm um die Tabakdose gestritten. Man meint, in den Läufen auf dem Klavier, den Papagei zu hören, der in seinem Käfig herumspringt oder Rossini beim Komponieren mit seinen Einwürfen kommentiert. Ähnlich derbe ist der Witz in dem Stück Petite valse: L'huile de ricin aus dem Album de chaumière. Hier wird in der Musik deutlich hörbar Rossinis Verstopfung dargestellt, die nach Einnahme von ein paar Tropfen Rizinusöl einen auch lautmalerisch sehr deutlichen Erfolg mit sich bringt. Einen sehr feinen Humor weist Une caresse à ma femme aus Album pour les enfants dégourdis auf. Hier wird zunächst in einem Andantino eine sehr liebevolle Beziehung zwischen einem Paar beschrieben, was Marangoni mit weichen Tönen ansetzt. Doch die Harmonie ist in Gefahr, und es folgt eine eheliche Auseinandersetzung, die in Marangonis Spiel mehr als deutlich wird. Es kommt zum handfesten Streit. Doch auf den Streit folgt am Ende die Versöhnung, und das Stück findet in den gleichen sanften Tonfall zurück, mit dem es begonnen hat. Ein wenig makaber hingegen ist die letzte Nummer Un petit train de plaisir comico-imitatif aus dem gleichen Album, mit der das offizielle Programm beendet wird. Darin beschreibt Rossini eine Vergnügungsfahrt mit der Eisenbahn, die mit einer Entgleisung und zwei Todesopfern endet. Lautmalerisch ist zu erleben, wie sich der Zug langsam in Bewegung setzt, nach einer gemütlichen Fahrt dann wieder anhält, um einzelne Herrschaften ein- und aussteigen zu lassen. Dann setzt sich der Zug wieder in Bewegung, bis es zum Unfall kommt. Ironisch gebrochen wird die Katastrophe, die wohl wirklich 1842 bei Meudon (Versailles) stattgefunden haben soll, durch den Hinweis, dass ein Verstorbener in den Himmel, ein anderer in die Hölle gekommen sei, was von Rossini in der Musik entsprechend vertont wird, und was dann schließlich in einem "Streit der Erben" mündet. Auch hierbei beweist Marangoni, wie genau er diese Werke studiert hat und auch die kleinsten Details mit viel Liebe herausarbeitet. Natürlich lässt das begeisterte Publikum den Pianisten nach nahezu einstündigem pausenlosen Spiel nicht einfach gehen, und bekommt insgesamt drei Zugaben. Die erste Zugabe ist wohl eine Anspielung auf die beim diesjährigen Festival aufgeführte musikalische Soiree Monsieur Offenbach chez Rosini. Marangoni präsentiert Petite caprice (style Offenbach), ein Stück, in dem Rossini den von ihm geschätzten Komponisten imitiert und liebevoll karikiert. Marangoni gibt auch vor, das Stück tatsächlich mit vier Fingern zu spielen. Es folgt ein kleines Stück, das sehr bescheiden den Namen Un rien trägt, bevor Marangoni noch einmal den Papagei in À ma petite perruche zu Wort kommen lässt.
FAZIT Alessandro Marangoni weckt den Wunsch, Rossinis Alterssünden häufiger im Konzertsaal zu hören. Seine komplette Einspielung bei Naxos kann nur empfohlen werden.
Weitere Rezensionen zu Rossini in
Wildbad 2022 |
AusführenderAlessandro Marangoni, Klavier
WerkeGioachino Rossini À ma petite perruche (Les raisins) Petite polka chinoise Une caresse à ma femme Thème et variations
in e-Moll Petite valse: L'huile de ricin Barcarole Un petit train de
plaisir comico-imitatif
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