Das Unglück der Anderen
Von Roberto Becker
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Fotos von Jean-Louis Fernandez
Georges Benjamin ist ein sorgfältig arbeitender Komponist, Siemens-Musikpreisträger und für die Festspiele in Aix-en-Provence eine sichere Bank. Mit Written on Skin hat er 2012 in der Provence einen Welterfolg uraufgeführt. Wie sein Vorgänger wollte wohl auch Pierre Audi vom Können dieses Tonsetzers profitieren, der nicht nur ambitioniert Neues schafft, sondern damit auch beim Publikum ankommt. Wieder war Martin Crimp sein Librettist. Auch das Inszenierungsduo Daniel Jeanneteau und Marie-Chistine Soma ist ihm vertraut und hat eine sparsam ästhetischen Kunst-Raum geschaffen, der mit seinen verstellbaren Wänden und dosiert verzaubernden Videos wie maßgeschneidert passt, aber nicht dominiert. Dirigiert hat der Komponist die 22 Musiker des Mahler Chambers Orchestra selbst.
Die Frau und das Liebespaar
Er hat eine sehr dichte, bedachtsame, Emotionen mit einfachen Mitteln effektvoll ausleuchtende, Stimmen zum Erblühen bringende, betörende und abwechslungsreiche Musik geschrieben. Die Geschichte hat etwas allgemeingültig Märchenhaftes und verhandelt in nur einer Stunde in komprimierter Form Existenzielles. Dabei stirbt einer Mutter das Kind, noch bevor es richtig sprechen lernen konnte. Dass ihr verheißen wird, sie müsse nur einen Knopf vom Gewand irgendeines glücklichen Menschen abtrennen, um es ins Leben zurück zu bringen, ist das Märchenhafte. Die Begegnungen, die sie bei der Suche hat, werden gleichwohl zu einem Einblick in das Unglück der anderen.
Der Knopfhandwerker als Gesamtkunstwerk
Bei dem Paar, das sie gerade beim Liebesspiel antrifft, ist es die egoistische Grenzenlosigkeit des Mannes, der als Gegenleistung für den Knopf von der Frau fordert, mitzumachen. Als er mit seinen anderen Liebschaften mit Frauen, Männern und "Personen dazwischen" angibt, ist es aus mit dem Glück des Paares. Auch der Knopf-Kunsthandwerker, dessen Kleidung mit unzähligen Knöpfen übersät ist und ihn selbst zum Kunstwerk macht, ist entgegen seiner Behauptung alles andere als glücklich. Das Paar begegnet ihr wieder als erfolgreiche Komponistin und geschäftigem Manager - eitel, selbstbezogen, ohne Anteilnahme ergreifen beide die Flucht in ihre Blase der Unentbehrlichkeit.
Der Sammler und die Frau
Verzweiflung wird da zur großen ariosen Klage der Frau, bis sie einem Sammler begegnet, der ihr Reichtümer zu Füßen legen will, aber nur glücklich wäre, wenn sie ihn liebt. Immerhin weist er ihr den Weg in einen Zaubergarten zu einem Wesen namens Zabel, das aber auch nur deshalb glücklich ist, weil es gar nicht existiert. Am Ende entschwindet dieses Wesen, das nichts anders als ein Spiegelbild der eigenen Seele ist, samt betörendem (Video)Garten. Rätselhafterweise hält die Frau am Ende einen Knopf in der Hand …
Die Frau begegnet Zabella im Zaubergarten
Sopranistin Beate Mordal und Counter Cameron Shahbazi verkörpern die beiden Paare, der stimmflexible Bariton John Brancy den Künstler und den Sammler. Im Zentrum freilich brilliert mit charismatischer Intensität Marianne Crebassa, ihr unwirkliches Spiegelbild Zabelle ist Anna Prohaska.
Dass diese beeindruckende Neuproduktion schon bei den Partnerhäusern in London, Straßburg, Luxemburg, Köln und Neapel auf dem Plan steht, ist nur Beispiel für die Möglichkeiten, die die internationale Vernetzung des Festivals (nicht nur) für Opernnovitäten bietet.
FAZIT
Es ist eine Qualitätsausweis für ein Festival, wenn eine Uraufführung von Picture a day like this als ein bejubelter Höhepunkt des aktuellen Festspielprogramms durchs Ziel und dann auf Reisen gehen kann.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Sir George Benjamin
Inszenierung, Bühne, Licht
Daniel Janneteau
Marie-Christine Soma
Kostüme
Marie La Rocca
Video
Hicham Berreda
Mahler Chamber Orcheatra
Solisten
Woman
Marianne Crebassa
Zabelle
Anna Prohaska
Lover 1 / Composer
Beate Mordal
Lover 2 / Composer's Assistent
Cameron Shahbazi
Artisan / Collector
John Brancy
Komödiantinnen und Komödianten
Lisa Grandmottet Eulalie Rambaud Matthieu Baquey
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