Zur OMM-Homepage Zur OMM-Homepage Veranstaltungen & Kritiken
Musikfestspiele
Zur OMM-Homepage Zur Festspiel-Startseite E-Mail Impressum



Festival d'Aix-en-Provence 2023

Wozzeck

Oper in drei Akten (1827)
Libretto von Alban Berg nach dem Drama Woyzeck von Georg Büchner
Musik von Alban Berg


In deutscher Sprache mit französischen und englischen Übertiteln
Aufführungsdauer: 1h 45' (zwei Pausen)

Premiere am 7. Juli 2023, Grand Théâtre de Provence, Festspiele Aix-en-Provence


Homepage

Festival Aix en Provence
(Homepage)

Im Abgrund versunken

Von Roberto Becker / Fotos von Monika Rittershaus

Sicher ist dieser Franz Wozzeck ein Mörder. Er schneidet seiner Marie die Kehle durch, weil sie sich mit dem Tambourmajor eingelassen hat. Und dabei hatte sich doch gerade dieser Wozzeck jenseits dessen, was ein einzelner leisten und aushalten kann, dafür im wahrsten Sinne des Wortes abgestrampelt, um für Marie und deren Kind zu sorgen. Anfangs mag er den Jungen gar nicht ansehen, am Ende streckt er die Arme nach ihm aus, aber da ist es zu spät.

Foto kommt später

Wozzeck unter Menschen - für ihn ein Alptraum

Wie schon Georg Büchner mit seinem radikalen Stück und Alban Berg mit dessen kongenialer Vertonung nimmt auch Simon McBurney mit seiner aktuellen Festival-Inszenierung die Perspektive dieses Mörders und Selbstmörders ein, der obendrein seinen Sohn allein zurücklässt. Doch die Welt ist für ihn der pure Alptraum, die Natur so unheimlich wie die Fassade der Häuser, in denen Marie wohnt. Die Frau ist am Ende in seinen Augen falsch und untreu, der eine Freund ist schwach, die Vorgesetzten ein Panoptikum von selbstverliebten Fieslingen und Perversen, für die Christina Cunningham die passenden Kostüme gemacht hat.


Vergrößerung in neuem Fenster Wozzeck als Versuchsobjekt des Doktors

Alle scheinen nur auf ihm herum zu trampeln. Wo die Welt so von Grund auf schlecht ist, da hat der Mensch keine Chance, ein Mensch zu sein. Da erschreckt dann auch Wozzeck vor dem menschlichen Abgrund in sich selbst. Um solche Momente zu gestalten, ist Christian Gerhaher genau der richtige. Erschrocken über sich selbst folgt er doch seinem eigenen, untergehenden Stern. Dass dieser Wozzeck den Abgrund, in den er am Ende stürzt, als solchen bewusst wahrnimmt, gehört zu den Facetten, mit denen wohl nur ein Ausnahmeinterpret wie Christian Gerhaher diese Figur zeichnen kann. Dieser phänomenale Sängerdarsteller vermag es, mit seiner intelligenten Gesangskultur auch einem Wozzeck noch Reste von Würde und Selbstbewusstsein zu sichern und ihn mit einem Trotz-allem auszustatten.

Foto kommt später

Für Wozzeck ist auch die Natur ein Alptraum

Im Grand Théâtre de Provence gab es den Abgrund, in den Wozzeck bei Georg Büchner und in Alban Bergs Oper blickt, diesmal auf der Bühne von Miriam Buether sogar wortwörtlich. Der von den Verhältnissen und von vielen Menschen bedrängte, gehetzte und geschundene Mann versinkt diesmal tatsächlich. Ganz langsam und genau zu den von Sir Simon Rattle und seinem London Symphony Orchestra beigesteuerten, betörend dunkel leuchtenden Orchesterklängen. In McBurneys beklemmend konzentrierter Inszenierung, die eine detailgenaue Personenregie einschließt, bleibt der Junge ganz stumm und allein zurück. Mit der Projektion einer trostlos erdrückenden Plattenbaufassade im Rücken. Das vorher schon immer mit dem Vater mitlaufende kindliche Alter Ego des Hauptmanns, bedrängt ihn da zu den Hop-Hop-Tönen, die eigentlich er am Ende zu singen hätte. Genauso, wie es zuvor dessen weiß uniformierter Vater, den Peter Hoare bis in die Groteske treibt, es immer wieder getan hat. Die Hoffnungs- und Trostlosigkeit ist damit nicht nur auf den Punkt gebracht, sie geht auch wie selten zu Herzen.

Die drei, die leere Spielfläche begrenzenden Wände werden reichlich, aber wohldosiert für atmosphärischen Nahaufnahmen und Videoprojektionen genutzt. Sie bilden das metaphorische Gefängnis, in dem sich nicht nur Wozzeck, gehetzt wie in einem Hamsterrad, abstrampelt. Maries Behausung (im Plattenbau) wird nur durch eine Tür angedeutet.


Vergrößerung in neuem Fenster Wozzeck als Spottobjekt des Hauptmanns (und seines Sohnes)

Malin Byström ist eine intensiv leuchtende und attraktive Marie. Klar, dass Thomas Blondelle als machohaft fieser Tambourmajor auf sie abfährt. Und auch klar, dass Brindley Sherratt zusammen mit dem Hauptmann als schrulliger Doktor Wozzeck das Haar in der Suppe genüsslich vorhalten. Neben diesen Drei machen aber auch Robert Lewis als Andres und Héloïse Mas als exquisite Margret aus ihren Figurenporträts Musterbeispiele erstklassigen Gesangs zum intensiven Spiel. Der Estonian Philharmonic Chamber Choir und eine "Actors"-Truppe sorgen für eine wohldosierte Opulenz der Massenszenen im Wirtshaus oder der Kaserne.


FAZIT
Simon McBurney und Sir Simon Rattle gelingt mit ihrer aktuellen Wozzeck- Inszenierung ein Festspielglanzstück in Aix-en-Provence. Der einhellige Jubel für diese wahrhaft festspielwürdige Produktion war denn auch wohlverdient.






Ihre Meinung ?
Schreiben Sie uns einen Leserbrief

Produktionsteam

Musikalische Leitung
Sir Simon Rattle

Inszenierung
Simon McBurney

Bühne
Miriam Buether

Kostüme
Christina Cunningham

Licht
Paul Anderson

Choreographie
Leah Hausman

Video
Will Duke

Chor
Lodewijk van der Ree

Kinderchor
Samuel Coquard

Dramaturgie
Gerard McBurney



Kinderchor "Maîtrise des Bouches-du-Rhône"

Estnischer Philharmonischer Kammerchor

London Symphony Orchestra


Solisten

Wozzeck
Christian Gerhaher

Marie
Malin Byström

Tambourmajor
Thomas Blondelle

Doktor
Brindley Sherratt

Hauptmann, Der Narr
Peter Hoare

Andres
Robert Lewis

Margret
Héloïse Mas

1.Handwerksbursch
Matthieu Toulouse

2.Handwerksbursch
Tomasz Kumięga

Mariens Knabe
Gabriele Cuggia

Ein Soldat
Danila Frantou

Actors
Aquira Amoy Bailey-Browne
Jorge Arbert
Karl William Fagerlund Brekke
Chihiro Kawasaki
Clive Mendus
Soufiane Naïm Guerraoui
Faith Prendergast
Vinicius Salles
Gabriella Schmidt
Afra Waldhor


Zur Homepage der
Festival Aix en Provence


weitere Rezensionen vom
Festival Aix en Provence 2023




Da capo al Fine

Zur OMM-Homepage Zur Festspiel-Startseite E-Mail Impressum

© 2023 - Online Musik Magazin
http://www.omm.de

- Fine -