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Ein grandioses Drama allein durch die MusikVon Christoph Wurzel / Fotos: © Fabian Schellhorn (Berliner Festspiele) Jede Note sollte gespielt werden, gab John Eliot Gardiner kund, als das Projekt Les Troyens mit dem von ihm gegründeten Orchestre Révolutionaire et Romantique und dem Monteverdi Choir begonnen wurde. Es war nach eigenem Bekunden sein seit jungen Jahren langgehegter Wunsch, dieses Werk von Hector Berlioz einmal vollständig und in der Klanggestalt aufzuführen, die Berlioz wohl vorschwebte. Vorbereitet hat er es in akribischer Feinarbeit. Es selbst aufzuführen, dabei stand er sich selbst wegen des inzwischen allseits bekannten Vorfalls im Wege. Sein Assistent und selbst Leiter namhafter Orchester, der junge portugiesische Dirigent Dinis Sousa sprang in die Bresche und rettete die geplante Tournee (u.a. Salzburg, Paris und London), die nun auch zum Musikfest nach Berlin führte. Das Ergebnis konnte sich hören und sehen lassen - mehr noch, es wurde zu einem musikalischen Großereignis. Der Dirigent Dinis Sousa in der Berliner Aufführung Schon allein der vollständigen Aufführung dieses singulären Werks gebührt fast musikgeschichtlicher Rang und bleibt Gardiners Verdienst. Seine Oper überhaupt aufzuführen, bedeutete für Berlioz' einen zermürbender Kampf. Nur Auszüge daraus konnten zu seinen Lebzeiten gespielt werden. Eine Aufführung beider Teile an einem Abend fand erst 1912 in Stuttgart statt, aber immer noch gekürzt. Auch nach der Herausgabe der Gesamtpartitur vor rund 50 Jahren waren selbst wenigstens annähernd vollständige Aufführungen selten. Mit dieser strichlosen Produktion in historischer Klanggestalt wurde also eine Repertoirelücke gefüllt. Und dies kam einer Offenbarung gleich. So konnte die grandiose Dramaturgie dieses fünfaktigen Musiktheaters erst angemessen zur Geltung kommen, sein immenser Reichtum an Kontrasten, die konsequent entwickelte Handlung in wechselnder Abfolge großartiger Tableux im Stile der Grand Opéra mit Momenten tiefster lyrischer Innigkeit, die Berlioz als sein eigener Librettist mit großem literarischen Gespür gestaltet hatte. Selbst die shakespearehafte Szene zweier niederer Soldaten, die lieber bei ihren Frauen in Karthago bleiben wollen, als sich wieder aufs Meer in Gefahr zu begeben, hatte ihren sinnstiftenden Platz im Handlungsverlauf. Die Aufführung war halbszenisch angelegt, d.h. Sängerinnen und Sänger markierten weitgehend ihre Rollen, allerdings in durchaus intensiver Körpersprache, traten teilweise aus der Mitte des Orchesters auf und sangen natürlich auswendig. Am meisten trat der Chor als kollektiver Akteur hervor; etwa in der Schlussszene des 1. Akts, wenn die trojanischen Frauen sich selbst töten und zu Boden fallen. Die Ballettmusiken wurden rein konzertant geboten und dadurch zu integralen Bestandteilen des Ganzen, im Gegensatz zu den heute bisweilen als peinlicher Fremdkörper empfundenen Tanzeinlagen. Gerade sie zeigten besonders den musikalischen Reichtum der Partitur. Vor allem der Tanz der Nubierinnen bestach durch seine orientalischen Exotismen. Der Monteverdi Choir als Akteur In 5 1/2 Stunden mit mehr als vier Stunden reiner Musik vollzog sich die monumentale Doppel-Tragödie des Falles der Stadt Troja und das Ende der Herrschaft der Königin Dido in Karthago als ungeheuer spannendes Drama, ausgehend vor allem von der Musik. Dinis Sousa erwies sich als exzellenter Regisseur der teilweise ungeheuren Klangmassen. Was kaum in einem Opernhaus so intensiv möglich wäre, gelang in der Berliner Philharmonie phänomenal: die Plastizität des Klanges, seine Schichtung zu einem transparenten Ganzen, intensives Erleben von Fernmusik und -gesang fast mystischen Charakters, magische Echowirkungen und die Prägnanz instrumentaler Einzelstimmen. Im Gegensatz zu Richard Wagners "unsichtbarem Orchester" für Bayreuth, entstand hier hier eine klingende Raumskulptur, die intensiv ebenso zu hören wie im Entstehen zu sehen war. Sousa fasste die Musik nicht allein symphonisch auf, sondern betonte ebesonders auch deren klangmalerische Qualität. Wurde Berlioz einmal als "Kolumbus der Klangfarben" bezeichnet, so bewies die Aufführung diese Aussage auf's Schönste. Die beredte Artikulation der historischen Instrumente brachte besonders bei den Holzbläsern berückende Wirkungen hervor: wie die Klarinette, die in der pantomimischen Auftritt von Hectors Witwe Andromaque mit ihrem Sohn zum Instrument trauernder Mitfühlung wurde. Die Piccoloflöten imaginierten in der Liebesszene zwischen Dido und Énée einen funkelnden Sternenhimmel. Heroisches Pathos entfalteten acht Saxhörner bei der Siegesfeier der Karthager über die Afrikaner und dumpfe Grabesstimmung die Posaunen und die trockene Pauke bei den Erscheinungen, die dem trojanischen Helden den Aufbruch nach Italien befehlen. Ein starker Nachklang barocker Ombra-Szenen wie auch der französischen Revolutionsmusik war hier spürbar. Gesungen wurde durchweg auf höchstem Niveau, teilweise überragend. Der Monteverdi Choir zeigte seine besondere Qualität in der enormen Vielseitigkeit der Rollen, die Berlioz dem Chor zugewiesen hat, sei es als Volksmasse oder als Kommentator. Im ersten Teil war Alice Coote als Cassandre mit vokaler Intensität eine starke, unerbittliche Warnerin vor dem bevorstehenden Unheil, das den Trojanern droht, wenn sie blind dem scheinbaren Abzug der Griechen vor ihren Mauern vertrauen. Beschwörend fleht sie ihren Geliebten Chorèbe an, aus Troja zu fliehen, um sein Leben zu retten. Doch dieser erkennt nicht ihre visionäre Kraft. Der Bariton Lionel Lhote sang die Partie mit großer Emphase in schönen Linien und mit beseeltem Ton. Eine verhängnisvolle Rolle in beiden Teilen kommt dem trojanischen Helden Aeneas / Énée zu. Er fordert die Trojaner auf, das Pferd in ihre Mauern zu holen, was den Fall der Stadt besiegelt. Und er wird im zweiten Teil die karthagische Königin Dido verlassen, um einer Mission zu folgen, die ihm ominöse Stimmen mehrmals eingeben, nämlich weiter zu segeln, um dort ein neues Reich zu gründen: "Italie!". Michael Spyres sang diese herausfordernde Rolle mit großer vokaler Pracht - selbstbewusst, fordernd und im Liebesduett mit Dido auch zugewandt und empfindsam. Doch letzlich entscheidet er sich gegen sie. Im großen Monolog am Schluss aber war dann bei ihm eher vokale Ermattung zu spüren als kraftvoller Aufbruch. Überragende Gestalt des zweiten Teils der Oper ist Dido - eine Figur von antiker Größe: groß als Königin eines aufstrebenden Reichs, groß als Liebende, groß im Zorn und der Verzweiflung, groß im Abschied und im Sterben. Paula Murrihy war in dieser Rolle grandios. Ihr vokaler Farbenreichtum, die Flexibilität der Ausdrucksmöglichkeiten, ihre schauspielerische Erscheinung waren hinreißend und der Beifall am Schluss ein Orkan der Begeisterung. Ensemble Doch auch kleinere Rolle waren hervorragend besetzt. Als Didos Schwester Anna bestach Beth Taylor mit schön gerundetem Alt und jugendlicher Ausstrahlung. Die beiden lyrischen Partien des Sängers Iopas und des Matrosen Hylas waren mit dem Tenor Laurence Kilsby hervorragend besetzt. Das Lied des Iopas gestaltete er in Begleitung von Flöte und Harfe zu einem pastoralen Idyll und das Lied des Seemanns zu einer anrührenden Klage sehnsuchtsvollen Heimwehs. Mit besonderem Charme erschien Adéle Charvet in der Rolle des Ascagne, Énées Sohn. Markant und eindringlich war Alex Rosen in der Rolle von Didos Berater Narbal, der sie vergeblich davor warnt, die Trojaner könnten Karthago bald wieder verlassen. Nach Énées überstürtzer Abreise von Karthago beschließt die verlassene Dido den Freitod. Eine feierliche Totenzeremonie bildet das Finale der Oper in einem auf der Opernbühne seltenen grandiosen Pathos des ganzen Orchesters. Dido ruft Hannibal als zukünftigen Rächer ihres Schicksals an und ersticht sich auf einem Scheiterhaufen mit dem Schwert des Aeneas und der Chor schwört Rom ewige Rache. Hier fuhren Orchester, Solisten und Chor nochmals alle dramatische Wucht auf und machten diese Aufführung in einem ununterbrochenen Spannungsbogen zu einem überwältigenden Erlebnis. FAZIT
Eine Großtat! |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Bewegungsregie
Lichtdesign
Orchestre Révolutionnaire Monteverdi Choir
Solistinnen und SolistenCassandre Énée Didon Chorèbe / Sentinelle I Ascagne Priam Narbal / L'Ombre d'Hector / Panthée / Un chef grec Anna Iopas / Hylas Hécube
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- Fine -