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Nachtgedanken eines sehr jungen MädchensVon Stefan Schmöe / Fotos von Sigmund Rittershaus
Die Euphorie des Finales mag Dirigent Kirill Petrenko nicht teilen. Jedenfalls mischt sich in den C-Dur-Jubel eine scharfe, fast schrille Orchesterstimme ein wie ein Schrei inmitten des strahlenden Fortissimos. Wie Petrenko mit den, man muss es eigentlich nicht explizit erwähnen, durch und durch exzellenten Berliner Philharmonikern diese Klangfarben herausarbeitet, ohne den Kontext zu sprengen, das gehört zu den orchestralen Wundermomenten dieses Abends. Wie auch die satten, weichen Bläser in den choralartigen Passagen der Wächter; wie die organischen, gleichzeitig klaren Wechsel der Stimmungen; wie viele ungemein fein ausgearbeiteten Soli. Aber bei aller erlesenen Schönheit, auch dramatischer Schroffheit und zupackender Attacke im Detail wird nicht ganz klar, welche große Linie Petrenko in dieser merkwürdigen Oper verfolgt. Die des sich naiv gebenden Kunstmärchens sicher nicht; die liedhaften Elemente des fast schon ermüdend gutmütigen Färbers Barak, hier sicher kein später Nachfahre das Zauberflöten-Papageno, handelt Petrenko eher kurz angebunden ab, und auch die melodisch-emphatischen Aufschwünge kostet er nicht recht aus. Auf der anderen Seite betont er manche klangmalerischen Effekte eben als solche sehr stark (das Wasser wellt in den Harfen reichlich plakativ) und weniger als strukturelle Elemente. Und die Interpretation bewegt sich letztendlich ein wenig unbestimmt zwischen schlanker Moderne und opulenter Fin-de-Siecle-Überwältigungskunst und könnte an manchen Tutti-Stellen transparenter und durchhörbarer sein. Eine gewisse Ratlosigkeit, was man mit dieser monumentalen Oper anfangen soll, bleibt. Der Ausgangspunkt: Ein junges Mädchen macht sich im Schlafsaal Gedanken über das Phänomen der Mutterschaft. (Die Nonne wird darin zur kaiserlichen Amme werden.)
Nun unterlag dieses als Märchen verpackte Hohelied auf die Mutterschaft schon während des mühsamen Entstehungsprozesses der Frau ohne Schatten einem massiven Alterungsprozess. Mit dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges war das spätbürgerliche Familienidyll mit Kindern dahin und die gesellschaftliche Rolle der Frau eine gänzlich andere - und heute erscheint das Libretto erst recht als ein Relikt einer überkommenen Gesellschaftsordnung. Insofern hat Regisseurin Lydia Steier einen durchaus spannenden Ansatz gefunden, wenn sie die Perspektive einer jungen, vielleicht schwangeren Frau einnimmt und die Geschichte als ein Spiel mit unterschiedlichen Rollenmodellen vorführt. Dafür wählt sie allerdings einen denkbar radikalen Ansatz, indem die hinzugefügte stumme Hauptrolle ein Mädchen von vielleicht zwölf oder dreizehn Jahre ist und so gerade eben das gebärfähige Alter erreicht hat. Vivien Hartert, immer auf der Bühne, spielt die Partie mit bewundernswerter Präsenz und enormem Einsatz (und kann sicher nichts dafür, dass die Regie ihr manche arg pathetische Pose abverlangt). Die Ausgangssituation: Ein Schlafsaal offenbar in einer klösterlichen Einrichtung; die Mädchen werden von einer ziemlich antiquiert auftretenden Nonne, die auch Ohrfeigen verteilen kann, "behütet". Die Geschichte selbst wird dann wie ein (Alb-)Traum des Mädchens erzählt. Die Kaiserin (oben) wirft einen Blick in Prduktionsstätten und Verkaufsstore von "Barak*s Babies"
Die Kaiserin aus dem Geisterreich, die nach der Vereinigung mit dem Menschenkaiser auch nach fast zwölf Monaten keinen Schatten wirft (soll heißen: nicht schwanger geworden ist) und mit Hilfe der Amme (als die sich die Nonne aus dem Schlafsaal entpuppt) einer Menschenfrau ihren Schatten abkaufen will, erscheint engelsgleich, dabei aber mit Zügen einer Film-Diva der 1920er-Jahre (Kostüme: Katharina Schlipf). Der Färber Barak, im schlechtsitzenden Anzug, tritt als Fabrikant von Baby-Puppen auf - oder vielleicht auch "echten" Babys? Im Traum ist vieles möglich. Jedenfalls kommen etliche junge Paare und erstehen eines dieser Kinder. Und bei den Fabrikarbeiterinnen hängen weiße, offenbar blutbefleckte Schürzen, die auf eine Entbindung hindeuten. Und als wäre das noch nicht genug, hat Bühnenbildner Paul Zoller die Szenerie in knalliges Rosa verpackt. Baraks Frau, die Färberin, erscheint zwar mit hochtoupierten Haaren einigermaßen wohlhabend, aber das Paar ist ziemlich deutlich überzeichnet als proletenhafte Emporkömmlinge ohne Stil. Und der Kaiser tänzelt als wohlbeleibter Dandy durch die Szenerie. Dabei sieht er Barak verdächtig ähnlich; vielleicht muss man sich beide Männer als Facetten derselben Figur vorstellen: Einmal Egomane, einmal Familienmensch. Der Falke schließlich, mit dem der Kaiser einst die in eine Gazelle verwandelte Kaiserin jagte, tritt als Revue-Girl auf. So ist die Konstellation ziemlich komplex und ziemlich bunt geworden und mitunter auch ziemlich überfrachtet. Über diese Treppe ist die Färberin gerade dem ihr als Gegenleistung für den Schatten versprochenen Jüngling gefolgt. Die Kaiserin wirkt benommen, die Amme widerum darüber irritiert.
Das ist die andere Ebene der Inszenierung: Wenn auch nicht als Märchen aus der Es-war-einmal-Zeit, so will Lydia Steier die Geschichte doch in großen, überwältigenden Bildern erzählen. Dafür muss man als Zuschauer allerdings tapfer manchen Kitsch ertragen. So etwa etliche Heiligenfiguren, die mitunter auch lebendig werden wie der Geisterbote, der hier als eine Statue des heiligen Georgs auftritt. Natürlich stellt Maria mit dem Jesuskind ein Topos von Mütterlichkeit schlechthin dar (ein Gemälde hängt im Schlafsaal der Mädchen), und daher ergeben beständige Querverweise nicht nur auf den Katholizismus durchaus Sinn. Warum die Regie hier und da Elemente des Revue-Theaters einbaut, erscheint schon weniger zwingend. Gleichwohl gibt es auch hier durchaus vieldeutige Querverbindungen. Der rote Kopffederschmuck des Revue-Girl-Falken etwa spielt farblich an das Blut auf den Kitteln der Babyfabrikarbeiterinnen an. Kaiser mit kaiserlichen Jagdfalken
Lydia Steier entwirft ein komplexes Geflecht aus Bildern und Assoziationsketten, aber so recht gelingt es der Regie nicht, die ausgelegten Fäden zu einem schlüssigen Gesamtbild zusammenzufügen. Dazu kommt die Länge der Oper, die manche Wiederholung und Redundanz der Bilder bewirkt und vor allem im dritten Akt zäh auf der Stelle tritt, wenn es darauf ankommt, wie sich vor allem die Kaiserin entscheidet - nimmt sie den Schatten und stürzt Färberin und Färber ins Unglück, oder verzichtet sie und lässt fluchgemäß den Kaiser zu Stein werden? Damit ist die Perspektive des jungen Mädchens nicht mehr so streng einzuhalten. Am Ende findet sich das Kind in einer Landschaft mit Sandhügeln wieder und bewirft sich minutenlang mit Erde, während die erlösten Paare das vermeintlich glückliche Ende besingen. Vom Schluss her betrachtet, geht Lydia Steiers Regiekonzept nicht auf. Verzweiflung? Am Ende ist auch dem Mädchen aus dem Schlafsaal mit dieser Inszenierung nicht wirklich geholfen.
Dabei wird, vor allem von den Frauen, großartig gesungen. Miina-Liisa Värelä ist eine energische, großformatige Färberin, Michaela Schuster eine zupackende, ungemein präsente Amme, und beide achten auch in den mühelos bewältigten dramatischen Attacken auf eine kultivierte Stimmführung. Elza van den Heever singt eine entrückte, trotzdem nicht leichtgewichtige Kaiserin mit lichtem, nicht zu hellem Timbre, was eine Distanz zu Amme und Färberin schafft. Die Balance zwischen den Stimmen ist somit gut ausgelotet und entspricht sehr schön den unterschiedlichen Sphären, in denen sie sich bewegen. Wolfgang Koch hat mit sonorem Bariton für den Barak ein paar unkontrollierte und viele schöne Töne, gerade wenn er Phrasen liedhaft klar aussingt, und Clay Hilley ist mit nicht allzu schwerem, dennoch angemessen gewichtigem und sicherem Tenor ein unangestrengter Kaiser.
Tolle Sängerinnen und Sänger, ein großartiges Orchester und einige Ratlosigkeit angesichts des Werkes - trotz eines nicht uninteressanten Ansatzes bekommt Lydia Steier die Frau ohne Schatten nicht in den Griff. Ihre Meinung ? Schreiben Sie uns einen Leserbrief |
ProduktionsteamMusikalische LeitungKirill Petrenko
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Videodesign
Choreographie
Licht
Solisten
Der Kaiser
Die Kaiserin
Die Amme
Barak
Die Färberin, seine Frau
Ein Mädchen
Der Geisterbote
Ein Hüter der Schwelle des Tempels
Die Erscheinung eines Jünglings
Die Stimme des Falken
Eine Stimme von oben
Der Einäugige
Der Einarmige
Der Bucklige
Stimmen der Ungeborenen
Stimmen der Wächter
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- Fine -