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Berufene InterpretationenVon Christoph Wurzele / Fotos von Monika Rittershaus
Der große Mahler-Dirigent Michael Gielen sah eine direkte Verbindung zwischen den beiden Stücken, mit denen an diesem Abend die Berliner Philharmoniker unter der Leitung von Daniel Harding zu den Osterfestspielen gekommen waren. Mahler sei, besonders mit seiner 5. Sinfonie (uraufgeführt 1904) unmittelbarer Vorfahre von Schönberg und seinen Fünf Orchesterstücken (in der Originalfassung von 1909). In beiden gehe es um die "Äußerung totaler Verzweiflung" - bei Schönberg vor allem im ersten Stück "Vorgefühle", im Schrillen und Gehetzten der Musik, wollte Gielen eine Vorahnung der kommenden europäischen Katastrophen von den Weltkriegen bis hin zur Judenvernichtung erkennen. Schönberg wie Mahler hätten die Gefährdungen jüdischer Exitenz in Europa gleichsam seismografisch erspürt. Sprechen auch Geschichte und Biografien beider Komponisten durchaus für diese These, so muss man solche Assoziationen nicht unbedingt beim Hören dieser Musik auch selbst nachvollziehen. Dass aber ihr emotionaler Gehalt auch Leiderfahrung und Verzweiflung umfasst, wurde in der Interpretation an diesem Abend durchaus spürbar. In Schönbergs Stücken arbeitete Daniel Harding mit den Philharmonikern deren breite Spannweite zwischen der an extreme Grenzen gehenden klanglichen Expressivität des ersten Stücks bis zur subtilen Farbklangmalerei des mittleren dritten Stücks ("Akkordfärbungen") bezwingend heraus. Was Schönberg hier dem Dirigenten aufgetragen hatte, ohne Hervorhebungen einzelner Themen nur die Klänge fließen zu lassen, befolgte Harding genau, und es entstand wie ein Bild aus feinsten Aquarellfarben ein leuchtendes Klanggemälde aus Tönen und Akkorden. Daniel Harding und die Berliner Philharmoniker in Baden-Baden
Auch Mahlers Fünfte Sinfonie überwältigte nach der Pause durch hochsensible Klanggestaltung und eine beispielhafte Ausdrucksintensität. Im eröffnenden strengen und erschütternden Trompetensignal setzte das Orchester die Stimmung, die diesen Trauermarsch bestimmt. Viel hatte diese Musik hier vom Revelge-Ton seines Wunderhorn-Liedes, wohlmöglich auch von der Erinnerung des Komponisten an seine Kindheit in der Granisonsstadt Iglau, wo er in der Nähe von Kaserne und Appellplatz aufwuchs. Musik, die - wie Gielen wiederum anmerkt - viel von den Schindereien der böhmischen Soldaten in der Kaiserlich-königlichen Armee Österreichs kündet. So auch der aufbäumende Ausbruch in den Trios, die extremen, harten Sprünge bis sich der Trauermarsch gleichsam aus der Erinnerung verflüchtigt und im zartesten pianissimo in den Violinen und der einsamen Höhe der Flöte ins Nichts verschwindet. "Stürmisch bewegt" folgten die Herausforderungen des zweiten Satzes mit seiner schroff auffahrenden Dynamik in enorm dicht gefügter Polyphonie. Den scharf zerklüfteten Satz gestaltete Harding zu einem Drama der Leidenschaften aus scharfen Kontrasten zwischen innerer Zerrissenheit und magischen Momenten, der enttäuschten Hoffnung auf einen Durchbruch im erlösenden Choral, der aber bald in sich zusammensackt und am Schluss auch wieder nur nahezu in musikalischer Sprachlosigkeit verlöscht - stark berührend in den Pizzicatotupfern der tiefen Streicher mit dem leisen Akzent der Pauke. Die von Mahler ausdrücklich vorgeschrieben Pause nutzte Harding nicht nur, um der üblichen Unruhe im Saal Raum zu lassen, sondern auch zur Sammlung von Orchester und Publikum auf das kommende Scherzo, in dem Mahler alle bisher gekannten Grenzen seiner Kompositionskunst überschreitet und zu Extremen verbindet. Harding feuerte das Orchester zu vorwärts stürmender Energie von hochgradiger Intensität an, in den Ländlerpassagen zu einer deutlich hörbar brüchigen Idylle und immer wieder zu Haltepunkten emotionalen Anhaltens wie dem elegischen Hornruf im 2. Trio. Dann das Adagietto - nur Streicher und Harfe: regelrecht gefährliche Musik, die, unerträglich zerdehnt, zu bloßer Sentimentalität verkommen kann, wenn Dirigent und Orchester nicht auch deren Widerhaken kenntlich machen. Mahler überschreibt ihn mit "sehr langsam", aber in sich hat der Satz zahlreiche Rückungen, ritardandi und dann wieder schreibt Mahler "drängender" vor - eine wundersame Dynamik, die Harding mit feinstem Gespür auf das Orchester übertrug und die ins Publikum überströmte. So bekam der Satz Duftigkeit und durch die überaus klangschön spielenden Musikerinnen und Musiker einen besonderen, seidigen Glanz. Mit leisen Anklängen an Vogelgesang und Naturlaute begann der Schlussatz, bevor er sich in den Taumel des Rondo-Allegro stürzte. Harding überging kein Detail, keine Nuance des breiten Ausdrucksspektrums. In allem polyphonem Trubel blieb die Musik vollkommen transparent und hochgradig genau durchgearbeitet. Dass Harding durch sein Dirigat viel mit dieser Musik mitteilen kann, war in jedem Moment erfahrbar. Und derart hohe Kunst des Mahler-Dirigierens wurde vom Publikum am Schluss mit überbordendem Jubel belohnt, in den sich die philharmonischen Musikerinnen und Musiker als überragende Tonkünstler eingeschlossen fühlen konnten. Zur Übersicht Osterfestspiele 2023Ihre Meinung ? Schreiben Sie uns einen Leserbrief |
AusführendeBerliner PhilharmonikerDirigent: Daniel Harding WerkeArnold Schönberg:Fünf Orchesterstücke op.16 Originalfassung 1909 Gustav Mahler: Symphonie Nr. 5 cis-Moll Zur Übersicht Osterfestspiele 2023
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