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Bayreuther Festspiele 2023
24.07.2023 - 28.08.2023

Das Rheingold

Vorabend zum Bühnenfestspiel Der Ring des Nibelungen
Text und Musik von Richard Wagner

In deutscher Sprache

Aufführungsdauer: ca. 2 h 30' (keine Pause)

Wiederaufnahme im Festspielhaus Bayreuth am 26. Juli 2023
(Premiere der Produktion: 31.07.2022)


Bayreuther Festspiele 2011 / Übersicht

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"Rheinkind" statt Rheingold

Von Thomas Molke, Fotos: © Bayreuther Festspiele / Enrico Nawrath

Eigentlich sollte Der Ring des Nibelungen in der Inszenierung von Valentin Schwarz bereits 2020 Premiere feiern. Die Corona-Pandemie führte allerdings dazu, dass die Produktion erst zwei Jahre später zur Aufführung gelangen konnte, und so gibt es den neuen Bayreuther Ring in diesem Festspielsommer erst im zweiten Jahr. Schwarz bezeichnet das Werk in einem Interview im Programmheft als "Drama der Gegenwart" und will die Figuren mit einem "gegenwärtigen Identifikationspotential" inszenieren. Dafür verzichtet er in der Personenregie auf die "erhabene 'Göttlichkeit' " und den Ring als Ring. Stattdessen sucht er nach einer abstrakteren Lesart. Das geht mal mehr und mal weniger auf. Den Ring als Menschenkind zu betrachten, den Alberich nach seinen Vorstellungen formt, um unendliche Macht zu erlangen, ist von der Grundidee interessant, bietet aber auch zahlreiche Fallstricke, in denen sich dieser Ansatz verfängt und dann eben nicht mehr funktioniert.

Beim Anfangsbild hat man noch den Eindruck, es könne vielleicht eine konventionelle Lesart folgen. Während das Festspielorchester unter der Leitung des finnischen Dirigenten Pietari Inkinen mit feinster Präzision das Es-Dur-Vorspiel herausarbeitet, sieht man in einer Videoprojektion von Luis August Krawen zunächst eine zart wogende Wasseroberfläche. Doch statt in den Rhein taucht man wohl in einen Mutterleib ein, in dem an zwei Nabelschnüren ein Zwillingspaar heranwächst. Dabei soll es sich um Alberich und Wotan handeln, die bereits in diesem Stadium in Streit geraten. Der eine Zwilling verletzt den anderen und es fließt augenscheinlich Blut. Damit soll angedeutet werden, dass Wotan die Macht gewinnt und in luftigen Höhen ein luxuriöses Leben führt, während Alberich als Nachtalbe sein Dasein fristet. Wenn sich der Vorhang zum Auftritt der Rheintöchter hebt, sieht man ein riesiges Wasserbecken, das sich als Swimming Pool über die ganze Bühne erstreckt. Dahinter hüten die Rheintöchter als Erzieherinnen in hellblauen Kleidern, die sie wie Gouvernanten einer anderen Zeit erscheinen lassen, acht Mädchen und einen Jungen, der ein gelbes T-Shirt und eine schwarz-gelbe Kappe trägt, was Fußball-Fans im Publikum eher an Borussia Dortmund als an das Rheingold denken lässt.

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Alberich (Ólafur Sigurdarson) mit den Rheintöchtern Woglinde (Evelin Novak, links), Floßhilde (Simone Schröder, Mitte) und Wellgunde (Stephanie Houtzeel, rechts) und den Kindern im Rhein

Wieso Alberich bereits von Anfang an in diesem Becken steht und dem Gesang der Rheintöchter lauscht, bevor die Musik eigentlich ganz klar sein Erscheinen herausarbeitet, erklärt sich nicht. Stattdessen greift er schon beim ausgelassenen Spiel der Rheintöchter der einen oder anderen, die zufällig an ihm vorbeikommt, unter den Rock. Evelin Novak, Stephanie Houtzeel und Simone Schröder finden als Woglinde, Wellgunde und Floßhilde stimmlich harmonisch aufeinander abgestimmt zusammen, auch wenn die Textverständlichkeit noch ausbaufähig wäre, zumal ja Bayreuth als nahezu einziges Haus immer noch auf eine Übertitelung der teilweise recht sperrigen Texte verzichtet. Aber die "Wagnerianer", die zum Hügel pilgern, kennen ja in der Regel die Stücke sehr genau. Das riesige Becken ist mit der in den Hintergrund projizierten Landschaft zwar recht schön anzusehen, erschwert aber das Spiel der Figuren. So wirkt es fast unglaubwürdig, dass die Rheintöchter dem Alben stets entwischen. Auch wenn sie mit nassen Handtüchern, die sie zuvor ins Wasser getaucht haben, auf Alberich einschlagen, ist nicht ganz nachvollziehbar, wieso der Albe sich diese Demütigung gefallen lässt. Stimmlich punktet Ólafur Sigurdarson in der Partie des Alberich, die er hier schon im vergangenen Jahr interpretiert hat, mit kraftvollem Bariton. Als Schatz raubt er dann nur den Jungen im gelben T-Shirt, während die Mädchen sich im dritten Bild aber ebenfalls in Nibelheim befinden.

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Ratlosigkeit bei den Göttern: von links: Wotan (Tomasz Konieczny), Froh (Attilio Glaser), Freia (Hailey Clark), Donner (Raimund Nolte) und Loge (Daniel Kirch)

Beeindruckend vollzieht sich dann der Wechsel vom ersten zum zweiten Bild. Das Becken verschwindet im Bühnenboden, und aus dem Hintergrund erscheint ein zweistöckiges Edel-Apartment, das in einer luxuriösen Ausstattung die Welt der "Götter" zeigt, die sich hier in ihrem Wohlstand ein wenig zu langweilen scheinen. Auf der linken Seite befindet sich in der ersten Etage eine Art Büro mit einem Bett, auf der rechten Seite führt eine Treppe aus dem Salon wohl zur Burg Walhall, die die Riesen errichtet haben. Erda gehört zum Personal und beobachtet schon jetzt als Dienstbotin das Geschehen. Die Riesen erscheinen mit einer Luxuskarosse, die unter dem Büro auf der linken Seite geparkt ist. Bei ihrem Auftritt wird eine Art Garagentor geöffnet. Neu besetzt ist in diesem Jahr die Partie des Wotan mit Tomasz Konieczny, der mit kraftvollem Bassbariton und guter Textverständlichkeit punktet. Wie im Vorjahr begeistert Christa Mayer als Fricka mit sattem Mezzosopran, und auch Raimund Nolte und Attilio Glaser lassen als Donner und Froh wie im Vorjahr keine Wünsche offen. Hailey Clark verfügt als Freia über einen leuchtenden Sopran. Wieso sie als Göttin der Jugend ewig mit einer braunen Decke gewärmt wird, erschließt sich nicht wirklich. Jens-Erik Aasbø und Tobias Kehrer überzeugen als Riesen Fasolt und Fafner mit tiefschwarzen Bässen.

Daniel Kirch legt die Partie des Loge nicht nur mit hellem Tenor an, sondern unterstreicht auch in der Personenregie die Windigkeit der Figur. Dabei zeigt ihm Schwarz allerdings keine allzu große Sympathie. Zwar unterstützt Loge Wotan bei seinem Vorhaben, die Riesen mit dem geraubten Gold zu entlohnen, nimmt es aber relativ gleichgültig auf, dass die Götter mit dem Einzug in Walhall ihrem Ende entgegengehen. In der Zeichnung der Figur hat man schon überzeugendere Regie-Arbeiten gesehen. Auch die Beziehung zwischen Fasolt und Freia wirft einige Fragen auf. Entsteigt sie im vierten Bild dem Auto relativ traumatisiert, wundert man sich später, als Fafner Fasolt erschlägt, wieso sie der Tod des Riesen betroffen machen soll.

Nibelheim ist im dritten Bild eine videoüberwachte Kindertagesstätte, in der acht Mädchen in feinen rosa Kleidchen an Tischen in einem Glaskasten sitzen und unter Mimes Aufsicht Bilder malen. Arnold Bezuyen verfügt als Mime über einen hellen Tenor. Der Junge nimmt hier eine besondere Stellung ein und steht für Alberichs Macht über die Nibelungen. Aber soll er jetzt den Ring und gleichzeitig die Tarnkappe darstellen? Zur Tarnkappe scheint Schwarz nämlich in seinem Ansatz keine wirkliche Idee zu haben. Das Geschmeide ist ja von Mime hergestellt worden. Hat er den Jungen unterrichtet? Wieso richtet sich der Junge dann im nächsten Augenblick gegen ihn? Wenn Alberich "die Tarnkappe aufsetzt", um sich unsichtbar zu machen und Mime zu malträtieren, sucht er zu dem Jungen im Glaskäfig Handkontakt und scheint darüber enorme Kraft zu erlangen. Das geht nicht wirklich auf. Auch die Verwandlungen in Anwesenheit von Loge und Wotan funktionieren nur bedingt. Wenn Alberich die beiden in Angst und Schrecken versetzen soll, tauscht Alberich die Pistole, die er bei sich trägt, gegen ein Maschinengewehr mit einem langen Magazin aus, das als Kette durchaus einen riesigen furchteinflößenden Wurm ersetzen kann. Dass sich Loge und Wotan darüber amüsieren, lässt sich eigentlich nur so erklären, dass Alberich mit dem Maschinengewehr hinter der Scheibe steht und damit vielleicht nicht wirklich Schaden anrichten kann. Zur Kröte fällt Schwarz dann jedoch nichts etwas ein. So bleibt völlig unklar, wie Loge und Wotan Alberich überwältigen und den Jungen und ihn aus Nibelheim herausführen können.

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Wotan (Tomasz Konieczny) und Erda (Okka von der Damerau) mit dem "Ersatzgold" (im Hintergrund rechts: Christa Mayer als Fricka)

Auch die Auslösung Freias kann nicht wirklich überzeugen. Als Gold wird den Riesen ein Mädchen aus Nibelheim angeboten, welches Mime als Schatz gebracht hat. Hier wird aber nichts aufgestellt, was Freia verdecken könnte. Von daher liegen hier gesungener Text und Darstellung vollkommen auseinander. Der Junge, der oben im Büro spielt, wird dann von den Riesen bemerkt und anstelle des Mädchens eingefordert. Als Wotan sich weigert, wird das der Hausangestellten Erda zu viel. Sie lässt ein Tablett fallen und spricht ihre Warnung aus. Okka von der Damerau präsentiert sich dabei stimmlich mit wunderbarer Diktion und dunkel gefärbtem Mezzosopran als Glanzpunkt des Abends. Zwar versteht man in der Inszenierung nicht, wieso Wotan anschließend fragt "Wer bist du, mahnendes Weib?", aber vielleicht hat er sie als Dienstbotin bis jetzt nicht zur Kenntnis genommen. Das Mädchen sucht Schutz bei Erda und geht mit ihr ab, was wohl schon einen Bezug zur Walküre herstellen soll. Handelt es sich hierbei um Brünnhilde?

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Fasolt (Jens-Erik Aasbø, rechts) und Fafner (Tobias Kehrer, links) streiten um den "Ring".

Nach dem Tod Fasolts und dem Abgang Fafners mit dem Jungen driftet die Inszenierung ein wenig in Klamauk ab. Donner holt seinen Golfschläger hervor, mit dem er zuvor den Riesen gedroht hatte, und holt zu einem großen Schlag aus, den jedoch ein Schmerz im Rücken verhindert, so dass das ausgelöste Gewitter, das die Luft reinigen soll, nur ein kleiner winziger Stoß ist. Wotan ist der einzige, der die Treppe zu Walhall emporsteigt und auf der oberen Ebene zum Gesang der Rheintöchter albern herumtanzt, was völlig unmotiviert ist. Die Rheintöchter sind nicht mehr zu sehen, sondern nur zu hören. Freia setzt sich die Waffe an den Kopf und drückt beim Fallen des Vorhangs wohl ab. Sie wird also nicht mit in Walhall einziehen. Wirft die Inszenierung auch einige Fragezeichen auf, lässt die musikalische Seite keine Wünsche offen. Inkinen führt das Festspielorchester feinfühlig durch die Partitur, arbeitet die zahlreichen Motive, die hier bereits das erste Mal anklingen sehr differenziert heraus und ist sicherlich mitverantwortlich für den tosenden Applaus, der nach dem Fallen des Vorhangs im Festspielhaus ausbricht.

FAZIT

Valentin Schwarz' Regie-Ansatz hat gute Ideen, die bei der Umsetzung allerdings an ihre Grenzen stoßen und an vielen Stellen mit dem gesungenen Text nicht in Einklang zu bringen sind.

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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Pietari Inkinen

Regie
Valentin Schwarz

Bühne
Andrea Cozzi

Mitarbeit technische Umsetzung
Bühnenbild

Stephan Mannteuffel

Kostüme
Andy Besuch

Licht nach
Reinhard Traub

Licht Wiederaufnahme 2023
Nicol Hungsberg

Video
Luis August Krawen

Dramaturgie
Konrad Kuhn



Festspielorchester

Statisterie


Solistinnen und Solisten

Wotan
Tomasz Konieczny

Donner
Raimund Nolte

Froh
Attilio Glaser

Loge
Daniel Kirch

Fricka
Christa Mayer

Freia
Hailey Clark

Erda
Okka von der Damerau

Alberich
Ólafur Sigurdarson

Mime
Arnold Bezuyen

Fasolt
Jens-Erik Aasbø

Fafner
Tobias Kehrer

Woglinde
Evelin Novak

Wellgunde
Stephanie Houtzeel

Floßhilde
Simone Schröder


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