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Weltenbrand im SchwimmbeckenVon Thomas Molke, Fotos: © Bayreuther Festspiele / Enrico Nawrath"Zurück vom Ring" sind Hagens letzte Worte in der Götterdämmerung, bevor er von den Rheintöchtern in die Tiefen des Rheins gezogen wird. Dieser Ausspruch hat sich mittlerweile zu einer geflügelten Redewendung entwickelt, die man manchem Regie-Team nach einer Inszenierung von Wagners Mammutwerk zurufen möchte. Das gilt wohl auch für Valentin Schwarz und sein Team in Bayreuth, wenn man den Buhorkan vernimmt, mit dem das Team nach der Götterdämmerung empfangen wird. Eigentlich passt der Spruch bei Schwarz jedoch nicht ganz. In seiner Lesart gibt es nämlich gar keinen Ring, dafür jedoch eine Idee, die beim gesungenen Text immer wieder an ihre Grenzen stößt. Schwarz überlässt die symbolbehafteten Elemente der Tetralogie allein der Musik und zeichnet die Geschichte als "Familiendrama der Gegenwart". Da ist der Ring der Macht ein Kind, dem die Zukunft gehört, aber nicht ein bestimmtes Kind. Das wechselt im Verlauf der vier Abende. Ist es im ersten Teil der kleine Hagen, von dem sich Alberich ewige Macht verspricht, ist es in der Götterdämmerung der Sohn von Siegfried und Brünnhilde, den die Rheintöchter zur Wiederherstellung der natürlichen Ordnung zurückgewinnen wollen. Für diesen Ansatz muss man das Stück schon arg gegen den Strich bürsten, was ein Großteil des Publikums mit lautstarken Unmutsbekundungen goutiert. Szenen einer (unglücklichen) Ehe: Brünnhilde (Catherine Foster) und Siegfried (Andreas Schager) Zunächst fragt man sich, wieso Brünnhilde und Siegfried überhaupt ein Kind haben sollen. Da muss ja in Schwarz' Inszenierung wesentlich mehr Zeit zwischen dem Ende von Siegfried und dem Beginn der Götterdämmerung vergangen sein als im Libretto. Aber wenn man an einen Ring als Symbol der Macht nicht glaubt, ließe sich bei einem eigenen Kind schon eher nachvollziehen, wieso man sich davon nicht trennen will. Ganz so groß scheint die Liebe Brünnhildes und Siegfrieds im Verlauf des Stückes zu dem Kind dann aber auch wieder nicht zu sein, weil es zahlreiche Momente gibt, in denen sie so in ihrer eigenen Gefühlswelt gefangen sind, dass das Kind eigentlich keine Rolle für sie spielt. Bei Siegfried ist diese Gleichgültigkeit direkt zu Beginn des Vorspiels zu erkennen. Brünnhilde und er haben sich auseinandergelebt, gehen sich eigentlich nur noch auf die Nerven, so dass sein Auszug "zu neuen Taten" für Siegfried die Gelegenheit darstellt, aus dem lästigen Ehejoch zu entfliehen. Brünnhilde scheint im Gegenzug allzu froh zu sein, dass Siegfried endlich geht. Den Ring (das Kind) ihr dabei als "Liebespfand" zu überlassen, klingt wie bittere Ironie. Die Szene findet in dem Kinderzimmer statt, in dem schon Siegmund und Sieglinde bis zu ihrer Trennung aufgewachsen sind. Die Fotos von Siegmund und Sieglinde sind um ein glückliches Familienfoto von Brünnhilde und Siegfried und weitere Details ergänzt wie die Kappe des jungen Hagen, die man schon aus dem Rheingold kennt, das Schwert Nothung oder besser gesagt den Spieß, den Siegfried aus der Gehhilfe gezogen (geschmiedet) hat, die ihm der Wanderer als Geburtstagsgeschenk im Siegfried hinterlassen hat. Natürlich darf auch das Modell von Walhall, die leuchtende Pyramide im Quader, nicht fehlen. Wenn der Vorhang sich hebt, bringt Brünnhilde das Kind gerade zu Bett und liest ihm noch eine Geschichte vor. Schon vor dem Auftritt der Nornen merkt man, dass Brünnhilde und Siegfried sich nichts mehr zu sagen haben. Die Nornen erscheinen dann als Traumgebilde des Kindes und entsteigen seinem Bett bzw. dem Bett im Nachbarzimmer. In ihren gesichtslosen silbrigen Kostümen wirken sie mit ihren krallenartigen Händen wie Ungeheuer eines schrecklichen Albtraums. So böse können sie allerdings nicht sein, reicht doch eine Norn dem Kind ein Eis. Während der Nornenszene tritt dann auch Alberich auf und trägt ebenfalls eine silbrige Gesichtsmaske, die aus zahlreichen Fäden besteht. Was er hier soll, erschließt sich nicht wirklich. Will er hier bereits das Kind stehlen? Stattdessen nähert er sich den Nornen, wie er es schon bei den Rheintöchtern im Rheingold erfolglos versucht hat. Eine weitere Reminiszenz an die Rheintöchter ist, dass die Nornen kein Seil spannen, sondern mit Wasserspielzeug hantieren. Okka von der Damerau, Claire Barnett-Jones und Kelly God überzeugen als Nornen mit wunderbarer Textverständnis und intensivem Spiel. Wenn das Seil schließlich reißt, raubt Alberich dem Kind eine Wasser Pumpgun, mit der das Kind zunächst die Nornen und Alberich geärgert hat. Die Gibichungenhalle im ersten Aufzug scheint dann in einem weiteren Raum des großen Göttersitzes zu liegen, den man schon aus den vorherigen Teilen kennt. Wieso gerade Weihnachten gewesen ist, erklärt sich nicht, stört jedoch auch nicht weiter. Die Gibichungen scheinen gerade erst in dieses moderne Gebäude eingezogen zu sein, wie die zahlreichen geöffneten Kartons, die noch überall herumstehen, andeuten. Was Gutrune und Gunther in Schwarz' Inszenierung eigentlich mit Hagen zu tun haben, wird nicht erklärt Gunther trägt noch immer das gelbe T-Shirt, das wohl seit dem Rheingold mitgewachsen ist. Damit stellt er optisch einen Gegensatz zu Gunther und Gutrune dar, die als neureiche Schickimicki-Personen gezeichnet werden und im Spiel ein wenig an die Geissens aus der unsäglichen RTL-Serie erinnern. Zahlreiche Requisiten, die man für eine konventionelle Inszenierung hätte verwenden können, stellen sie wie Statussymbole in ihrem neuen Heim aus. An der Rückwand hängt ein großes Porträt der drei mit einem auf einer Safari erlegten Zebra. Genauso platt wie die Anspielungen auf die Sendungen diverser Privatsender ist auch das Shirt, das Gunther trägt und die Aufschrift "Who the fuck is Grane" trägt. In diesen Kreisen schmückt man sich zwar mit kulturellen Gütern, kennt sie aber wohl nicht wirklich. Blutsbrüderschaft der anderen Art: Siegfried (Andreas Schager, rechts) und Gunther (Michael Kupfer-Radecky, links) Natürlich bedarf es auch keines Vergessenstrankes, den Gutrune Siegfried reichen muss. Er erliegt ihren Reizen in ihrem lindgrünen mondän geschnittenen Kostüm auch so. Dass er dabei allerdings seiner "geliebten Gattin" Brünnhilde zuprostet, macht hier natürlich gar keinen Sinn, auch nicht, dass die anderen offensichtlich mitbekommen, dass er von Brünnhilde spricht. Den von Gutrune erhaltenen Kelch, der eine widerliche grüne, schleimige Flüssigkeit enthält, schüttet er dann über Grane aus, der Siegfried als treuer Gefährte begleitet hat. Was das soll, bleibt genauso unklar wie der Einfall, Grane anschließend foltern zu lassen und sein Blut für den Schwur zwischen Siegfried und Gunther zu verwenden. Aber Schwarz wird noch geschmackloser. Er lässt Grane anschließend enthaupten. Der Kopf wird dann später in einer Plastiktüte wieder auftauchen. Immerhin lässt die gesangliche Leistung keine Wünsche offen. Mika Kares begeistert mit tiefschwarzem Bass als Hagen, dem man die Rachepläne zumindest stimmlich in jedem Moment abnimmt. Michael Kupfer-Radecky zeichnet den Gunther zwar als recht albernen und unsympathischen Charakter, punktet aber mit kraftvollem Bariton und guter Textverständlichkeit. Bei Aile Asszonyi als Gutrune lässt die Diktion zumindest am Anfang ein wenig zu wünschen über. Dafür überzeugt sie aber mit vollem Sopran und verführerischem Spiel. Fragen wirft dann auch die letzte Szene des ersten Aufzugs auf, die wieder im Kinderzimmer spielt. Waltraute, die ihre Schwester aufsucht, wirkt, als sei sie einer Anstalt entflohen. Da verwundert es nicht, dass Brünnhilde Waltrautes Ansinnen, den Ring (das Kind) den Rheintöchtern zu geben, von sich weist. Christa Mayer und Catherine Foster liefern sich stimmlich in der Szene einen großartigen Schlagabtausch. Mayer punktet als Waltraute mit sattem Mezzosopran und gestaltet die Erzählung sehr eindringlich. Foster hält als Brünnhilde mit kämpferischem Sopran und leuchtenden Höhen dagegen. Wenn Siegfried anschließend in Gestalt Gunthers in Brünnhildes Gemach eindringt, ist es nicht Siegfried, der kommt, sondern Gunther. Siegfried steht nur hinter einem Fenster und singt den Text. Die Bedrohung des Kindes ist schließlich der Auslöser dafür, dass sich Brünnhilde Gunther ergibt. Für die schonungslosen Klänge in der Musik findet Schwarz recht brutale Bilder. Man fragt sich nur, wieso im Anschluss daran das Kind Brünnhilde zunächst einmal egal ist und wieder von Siegfried angenommen wird, der mit seiner neuen Frau Gutrune eigentlich gar nichts damit anfangen kann. Brünnhilde (Catherine Foster) und Hagen (Mika Kares) planen Siegfrieds Tod. Der zweite Aufzug spielt dann in einer Art Sporthalle, in der Hagen nicht schläft, sondern mit einem Boxsack trainiert. Wenn Alberich erscheint, um ihn an seinen Auftrag zu erinnern - man weiß bei Schwarz eigentlich gar nicht, worin dieser Auftrag bestehen soll -, zieht sich der Albe ebenfalls Boxhandschuhe über und fordert Hagen zu einer kleinen Partie heraus. Musikalisch glänzen Kares als Hagen und Ólafur Sigurdarson als Alberich mit wunderbar dunklen Tiefen. Der Chor trägt dann zahlreiche Masken und Speere wie bei einem Kostümfest. Soll das die Aussage des Regie-Teams sein: "Seht mal, wir könnten das Stück auch mit klassischen Kostümen inszenieren, aber wir wollen es nicht."? Gutrune stellt nun in einem schwarzen Lederkleid mit übergroßen Flügeln ihre sexuellen Reize noch mehr zur Schau. Brünnhilde hat die Augen verbunden, bis sie Siegfrieds Namen hört. Irritierend ist, dass sie das Kind gar nicht mehr zur Kenntnis nimmt. Andreas Schager, der bis jetzt als Siegfried in der Götterdämmerung mit kraftvollem Tenor gepunktet hat, gerät in der Schwurszene mit Brünnhilde bei den Höhen leicht an seine Grenzen und wirkt sehr angestrengt. Vielleicht hat er sich aber auch ein bisschen zu viel zugemutet. Immerhin stand er nicht nur zwei Tage zuvor als Siegfried auf der Bühne, sondern hat an dem eigentlich freien Tag auch noch die Partie des Parsifal gesungen. Foster, Kares und Kupfer-Radecky lassen beim anschließenden Terzett, in dem sie Siegfrieds Tod beschließen, keine Wünsche offen, auch wenn szenisch nicht ganz klar ist, was Schwarz mit der Figur des Gunther hier aussagen will. Er hat nämlich die Plastiktüte mit dem Kopf des toten Grane erhalten, und scheint schon jetzt zu ahnen, dass der Plan, Siegfried zu töten, falsch ist. Die Zeit ist auch an den Rheintöchtern nicht spurlos vorbeigegangen (von links: Woglinde (Evelin Novak), Floßhilde (Simone Schröder) und Wellgunde (Stephanie Houtzeel)). Der dritte Aufzug spielt in einem Schwimmbecken, das nicht mehr in Betrieb ist. Ein riesiger Bauzaun umgibt das Areal. Die in den Hintergrund projizierte Landschaft suggeriert, dass wir uns an dem gleichen Ort befinden, an dem das Rheingold am Vorabend begonnen hat. Wieso allerdings das Kind, das Erda im Rheingold zu sich genommen hat, hier auf dem Boden des leeren Schwimmbeckens mit dem Modell von Walhall sitzt, erschließt sich genauso wenig wie die Tatsache, dass Siegfried hier mit seinem Kind angeln geht. Im Boden des Schwimmbeckens befindet sich nämlich noch ein weiterer Teich. Die drei Rheintöchter, die von Anfang an in diesem leeren Becken liegen, wirken in ihren roten Kostümen wie in die Jahre gekommenen Walküre, bei denen auch weitere Schönheitsoperationen nicht mehr allzu viel ausrichten können. Stimmlich überzeugen Evelin Novak, Stephanie Houtzeel und Simone Schröder als Rheintöchter mit homogenem Klang, auch wenn die Personenregie äußerst störend ist. Völlig albern stecken sie die Köpfe zu einer Art Ritualtanz zusammen. Schließlich entschwinden sie durch ein Loch an der Seite des Beckens. Durch dieses Loch wird auch später das Kind nach Siegfrieds Tod fliehen. Wenn Hagen mit seinen Mannen erscheint, wirken diese noch recht alkoholisiert von den Hochzeitsfeierlichkeiten des vergangenen Tages und lassen sich völlig erschöpft oberhalb des Beckens am Bauzaun nieder. Gunther führt immer noch Granes Kopf in der Plastiktüte mit sich und wirkt absolut traumatisiert. Schager meistert die folgende Erzählung mit sauberen Höhen und scheint sich in der Pause ein wenig regeneriert zu haben. Getötet wird er von Hagen nicht mit einem Speer. Den gab es ja nur bei den Hochzeitsgästen. Hagen verwendet den Schlagring, mit dem Fafner im Rheingold bereits Fasolt erschlagen hat und den der Waldvogel ihm nach Fafners Tod gereicht hat. Dass ein Held wie Siegfried damit zur Strecke gebracht werden soll, wirkt sehr unglaubwürdig. Gutrune scheint bei ihrem Auftritt am oberen Rand des Schwimmbeckens ebenfalls noch einen Kater von den ausgelassenen Feierlichkeiten zu haben. Die große Sorge um ihren Gatten Siegfried nimmt man ihr nicht wirklich ab. Zu "Siegfrieds Trauermarsch" scheint Hagen einen Moment lang seine Tat zu bereuen. Er nimmt das verstörte Kind zu sich und verharrt mit ihm eine Weile neben dem toten Siegfried, bevor er ihn beinahe liebevoll zudeckt und das Kind das Weite sucht. Von daher bleibt im Folgenden eigentlich unklar, worum Gunther und Hagen streiten. Der Streit währt aber auch nur kurz und scheint nicht tödlich zu enden. Gunther verlässt die Bühne genau wie Gutrune später, während Hagen von Brünnhilde umgehauen wird. Brünnhilde (Catherine Foster, oben Mitte mit Gutrune (Aile Asszonyi) auf der linken Seite und Floßhilde (Simone Schröder) rechts dahinter) ist gekommen, um Siegfried (Andreas Schager, unten) zu bestatten. Sie erscheint nun mit dem Kind und den drei Rheintöchtern am oberen Rand des Schwimmbeckens. Die drei Rheintöchter tragen Masken und Speere, die optisch an die mythologischen Götter erinnern. Während Brünnhilde in das Schwimmbecken hinabsteigt und Granes abgeschlagenen Kopf liebkost, überschüttet sie sich mit Benzin. Nach einem großartigen Schlussgesang von Foster stünde also einem Weltenbrand nichts mehr im Wege, denkt man. Aber Schwarz hat sich etwas anderes überlegt. Das Kind entwischt den Rheintöchtern, die anschließend leblos am oberen Beckenrand liegen. Hagen erhebt sich noch einmal und drückt sich zu seinen letzten Worten gegen den Bauzaun. Brünnhilde legt sich mit Granes Kopf neben Siegfried. Dann sieht man die in den Hintergrund projizierte Landschaft hinter dem Becken versinken. Eine herabgelassene Wand gibt den Blick auf zahlreiche Neonleuchten an einer schwarzen Wand frei. Dazwischen hat sich übrigens Wotan erhängt. Ganz zum Schluss werden die beiden Embryonen im Mutterleib auf die Rückwand des Schwimmbeckens projiziert, die man bereits im Vorspiel des Rheingolds gesehen hatte. Hatten sie sich da allerdings verletzt, halten sie sich nun fest umschlungen. Soll damit doch noch die Hoffnung auf eine bessere neu anbrechende Zeit angedeutet werden? Das Publikum kann das Schlussbild szenisch allerdings nicht versöhnen. Musikalisch begeistert Pietari Inkinen auch im letzten Teil des Rings mit dem Festspielorchester mit eindringlichem Spiel. Wenn man die Augen schließen würde, würde man einen wundervollen Ring erleben können. Aber dafür fährt man ja nicht nach Bayreuth.
Auch wenn das Grundkonzept von Schwarz' Inszenierung einen gewissen Reiz hat, geht die Umsetzung leider überhaupt nicht auf und kann einen Großteil des Publikums nicht erreichen. Immerhin ist die musikalische Umsetzung gut.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Regie
Bühne
Mitarbeit technische Umsetzung
Kostüme
Licht nach
Licht Wiederaufnahme 2023
Video
Chorleitung
Dramaturgie
Festspielchor Solistinnen und Solisten
Siegfried
Gunther
Alberich
Hagen
Brünnhilde
Gutrune
Waltraute
1. Norn
2. Norn
3. Norn
Woglinde
Wellgunde
Floßhilde
Grane
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- Fine -