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Erlösung im TodVon Thomas Molke / Fotos: © Oliver Vogel Verdis Don Carlo ist nicht nur die berühmteste seiner vier Schiller-Vertonungen, sondern hat ihn auch wie kein anderes seiner Werke am längsten beschäftigt. Über einen Zeitraum von 20 Jahren hat er sich immer wieder mit diesem Stoff auseinandergesetzt und insgesamt sieben unterschiedliche Fassungen erstellt, teils in französischer, teils in italienischer Sprache. Mal umfassen die Versionen fünf Akte wie die Urfassung von Paris (1866) oder die 20 Jahre später entstandene Modena-Fassung, mal ist die Handlung auf vier Akte komprimiert und der erste Akt in Fontainebleau, der die Vorgeschichte des Dramas erzählt, gestrichen. So steht jedes Theater bei einer Produktion vor der schwierigen Frage, welche Fassung man denn nun auf den Spielplan stellen möchte. Bei den Opernfestspielen Heidenheim hat man sich für die häufig gespielte vieraktige Mailänder Fassung von 1884 entschieden, wahrscheinlich auch mit Blick auf die Länge des Stückes, da die Produktion für eine Freilichtaufführung im Rittersaal konzipiert ist. Eigentlich sollte die Oper hier bereits 2020 auf die Bühne gebracht werden, was aufgrund der Corona-Pandemie nicht möglich war. Als man im vergangenen Jahr den regulären Spielbetrieb in Heidenheim wieder aufnehmen konnte, entschied man sich allerdings, Verdis ausgefallenen Don Carlo noch ein Jahr zu verschieben. Vielleicht hatte man dabei auch im Hinterkopf, dass ein Jahr später mit Verdis siebter Oper, Giovanna d'Arco, eine weitere Schiller-Vertonung auf dem Programm stehen würde und man somit nicht nur einen Verdi-, sondern auch einen Schiller-Schwerpunkt präsentieren könnte. Während das Libretto von Verdis Giovanna d'Arco sehr stark von Schillers Drama abweicht, steht sein Don Carlo Schiller zwar wesentlich näher, dürfte von der realen Geschichte aber mindestens genauso weit entfernt sein wie Giovanna d'Arco. Historisch belegt ist lediglich, dass Don Carlos (in der italienischen Fassung der Oper Carlo), der Infant von Spanien und der älteste Sohn von Philipp II., mit Elisabeth de Valois verlobt war, bevor sein Vater sich entschied, sie selbst zu heiraten. Carlos verzweifelte Liebe zu seiner Stiefmutter und sein Einsatz für das unterdrückte Flandern gehören genauso in den Bereich der Fiktion wie die Figur des Rodrigo, der mit seinen aufrührerischen Gedanken für eine aufgeklärte Zeit steht. Nichtsdestotrotz hat Verdi hier ein Werk geschaffen, dass musikalisch von einem Glanzpunkt zum nächsten eilt und sicherlich zu den spannendsten Opern zählt, die Verdi in seiner langjährigen Karriere kreiert hat. Das Regie-Team um Georg Schmiedleitner vertraut im Großen und Ganzen auf die Kraft der Musik und des Stoffes, lässt es sich allerdings nicht nehmen, im Detail einzelne Akzente zu setzen, die sich einem rein klassischen Zugang widersetzen. Don Carlo (Sung Kyu Park, vorne kniend) vor dem Kloster Saint-Just (dahinter: Männerchor, auf der linken Seite: Alexander Teliga als Mönch) Stefan Brandtmayr schafft einen Raum, der den Gegebenheiten des Rittersaals angepasst ist und auch bei der Aufführung im Festspielhaus gut funktioniert. Im Zentrum steht ein Gerüst, welches das Spiel über drei Ebenen ermöglicht. Zwei rote breite Treppen führen von der ersten Ebene zur zweiten Ebene empor. Die Treppen befinden sich im ersten Teil auf der rechten und linken Seite des Gerüsts und werden für das Autodafé nach der Pause in der Mitte der Bühne verbunden. Für die Kerkerszene und den Schluss im Kloster Saint-Just werden die beiden Treppenelemente nur ein wenig auseinandergezogen und erzeugen so dazwischen einen nahezu klaustrophobischen Raum. An dem Gerüst sind mehrere Bildschirme angebracht, die zeigen, dass es sich hierbei um einen Überwachungsstaat handelt, in dem nichts verborgen bleibt. Die Bildschirme ermöglichen zum einen den Blick in andere Räume zur Überwachung, scheinen aber auch als Blick auf die Bühne zu funktionieren. So sieht man zu Beginn einen Mönch - oder ist es bereits der Großinquisitor? -, der über einen Bildschirm das Gespräch zwischen Carlo und seinem Freund Rodrigo belauscht. Vor dem Gerüst prangt ein riesiges zerbrochenes Peace-Zeichen, das in der roten Farbe und Form ein wenig an das Logo der Festspiele erinnert. Philipp II. (Pavel Kudinov, rechts) und der Großinquisitor (Randall Jakobsh, links) Während die Kostüme von Cornelia Kraske bei den Mönchen mit den weißen Gewändern einen starken Kontrast zum düsteren Handeln der Inquisition bilden, ist fraglich, was sich die Regie beim Großinquisitor gedacht hat. Die weite vorn geöffnete weiße Robe lässt ihn mit den schwarzen langen Handschuhen eher weiblich als geschlechtslos erscheinen, was im Kontrast zur Härte der Figur steht. Auch die dunkelroten Gewänder der Gesellschaftsdamen der Königin wirken mit den weißen Hüten, die in der Form an Lampenschirme erinnern, ein wenig unpassend. Hinzu kommt, dass die Personenregie im ersten Akt die Hofgesellschaft in einer ausgelassenen Fröhlichkeit zeigt, die eigentlich nicht zum gesungenen Text passt, nachdem die Damen eher im Schatten Erholung von der Hitze suchen. Dass sie bei der "Schleier"-Arie der Prinzessin Eboli ein bisschen auftauen, was dann vom Auftritt der Königin sofort wieder unterbunden wird, passt zwar ganz gut, aber ob man die Chordamen dabei mit roten Schleiern übertrieben im Takt tanzen lassen muss, ist dann doch fraglich. Während Philipp II. und Elisabeth bei ihren öffentlichen Auftritten in wunderschöne schwarze Roben gekleidet sind, zeichnet Carlos silbern glitzernde Hose ihn eher als eine Art Fremdkörper in dieser Gesellschaft. Ein Fremdkörper ist auch Rodrigo, der mit seinen langen Haaren und dem modernen Kostüm bewusst nicht in dieses Bild passt. Seine silberne Jacke soll wohl die Verbindung zu Carlo darstellen. Musikalisch bleiben keine Wünsche offen, und die Aufführung jagt von einem Höhepunkt zum nächsten. Die Herren des Tschechischen Philharmonischen Chors Brünn unter der Einstudierung von Michael Dvořák begeistern direkt zu Beginn des ersten Aktes mit düsterem Gesang, der einem einen Schauer über den Rücken jagt. Randall Jakobsh, der sowohl den Mönch als auch später den Großinquisitor singt, punktet bereits im ersten Akt mit kräftigem, dunklem Bass, der schon Vorfreude auf die Szenen des Großinquisitors macht. Dass er dabei einen Wagen mit einem riesigen Totenkopf inmitten zahlreicher Blüten und Kerzen über die Bühne schieben muss, nimmt man dabei gerne in Kauf. Auch Sung Kyu Park lässt in der Titelpartie keine Wünsche offen. Schon in der Auftrittsarie "Io l'ho perduta!" glänzt er mit tenoralem Schmelz und sauber ausgesungenen Höhen, die die Verzweiflung des jungen Mannes spürbar machen. Ivan Thirion tritt als Rodrigo durch den Saal auf, vielleicht um anzudeuten, dass diese Figur gewissermaßen aus einer anderen Welt kommt. Das große Freundschafts-Duett meistern Thirion und Park mit Bravour und ernten zu Recht frenetischen Beifall. Dabei sieht man Elisabeth und den König mit ihrem Gefolge durch den Saal ziehen. Hier zeichnet die Personenregie Elisabeth ein wenig zu fröhlich, wenn sie freundlich lächelnd ins Publikum winkt. Elisabeth (Lada Kyssy) als scheinbar unnahbare Königin im Überwachungsstaat Auch Eboli geht für die berühmte "Schleier"-Arie mit Tebaldo ins Publikum und verteilt in der ersten Reihe Rosen. Zlata Khershberg zeichnet die junge Prinzessin absolut lebenshungrig und findet einen leicht ironischen Zugang zur erzählten Geschichte, den sie mit leicht übertriebenen Koloraturen und großem Spielwitz unterstreicht. Mit Sophie Bareis als Tebaldo findet sie im Refrain zu einem harmonischen Klang. Die ausgelassene Stimmung wird von Lada Kyssy als Elisabeth mit einem eiskalten Auftritt unterbrochen. Nun darf Kyssy die Königin so präsentieren, wie sie im Stück angelegt ist und hält die Maskerade der unglücklichen Frau bis zum Ende mit eindringlichem Spiel aufrecht. Ein weiterer musikalischer und szenischer Glanzpunkt ist das Duett zwischen ihr und Carlo, in dem sie sich erfolgreich seinem Werben widersetzt. Kyssy punktet hier mit dramatischem Sopran, während Park mit kraftvollem Tenor dagegenhält. Auch das folgende Gespräch zwischen Philipp II. und Posa wird von Pavel Kudinov als König und Thirion stimmlich und darstellerisch großartig umgesetzt. Kudinov gestaltet glaubhaft und intensiv, wieso der König Vertrauen zu Posa fasst, so dass bei seiner ansonsten recht unnahbar und kalten Interpretation die Warnung vor dem Großinquisitor beinahe liebevoll klingt. Hat sich Khershberg im ersten Akt noch wie ein verliebtes junges Mädchen gezeigt, als sie die Hoffnung hat, Carlos Liebesbekundungen könnten ihr gelten, entwickelt sie sich im zweiten Akt zur unberechenbaren Furie, wenn sie erkennt, dass Carlo nicht sie sondern seine Stiefmutter liebt. In dem großen Terzett mit Thirion und Park schleudert sie ihre ganze Wut mit kraftvollem Mezzosopran heraus und macht deutlich, dass sie eine ernstzunehmende Gegnerin ist. Danach benötigt man erst einmal eine Pause. Eklat beim Autodafé: Carlo (Sung Kyu Park, vorne links) bedroht seinen Vater Philipp (Pavel Kudinov, vorne rechts) (dahinter: Elisabeth (Lada Kyssy) und Posa (Ivan Thirion) und der Chor). Für das Autodafé wird der Chor dann über alle Ebenen verteilt und punktet mit fulminantem Klang. Ob die zum Tode verurteilten Ketzer die sechs Gesandten aus Flandern sein müssen, die von schwarzen gesichtslosen Gestalten mit verdeckten Köpfen hereingeprügelt werden, ist Geschmacksache. Umso deutlicher wird allerdings, dass der König ihren Bitten kein Gehör schenkt. Auf der Treppe lässt er ihnen die Kehlen durchschneiden, während Sophie Bareis als Stimme vom Himmel in weißem Kostüm mit engelsgleichem Sopran aus dem Saal erklingt. Im Anschluss daran wird erst einmal die Treppe vom vergossenen Blut gereinigt, bevor sich Philipp in seiner großen Arie "Ella giammai m'amo" seinem Selbstmitleid ergibt. Kudinov punktet hier mit dunklem, dabei aber sehr gefühlvollem Bass, so dass man mit dem König durchaus mitfühlt. Eboli liegt während dieser Arie auf der Treppe. Ihr nackter Rücken zeigt eine riesige Schlange, die wohl für die Intrige steht, die sie mit dem Raub der Schatulle in Gang gesetzt hat. Auch das anschließende Duett zwischen dem König und dem Großinquisitor geht unter die Haut. Jakobsh und Kudinov liefern sich stimmlich einen wunderbar dunklen Schlagabtausch, bei dem höchstens das Kostüm des Großinquisitors stört. Glaubhaft gestaltet Khershberg anschließend ihre Reue für den Verrat an der Königin, was in einer großartigen Interpretation der Arie "O don fatale" gipfelt, bei der sie sich schließlich auch die lästige Perücke vom Kopf reißt. Carlo (Sung Kyu Park, rechts) und Rodrigo (Ivan Thirion, links) im Kerker In der folgenden Kerkerszene kommt es dann zu einem bewegenden Abschied zwischen Posa und Carlo. Thirion begeistert hier mit beweglichem Bariton in seiner großen Sterbeszene. Wenn das Volk unter Ebolis Anführung das Gefängnis stürmt, kommt der Chor mit großen "Libertà"-Fahnen durch den Eingang zum Saal, während Eboli auf der oberen Ebene Carlo zu retten versucht. Der Großinquisitor tritt durch den Saal auf und gebietet dem Tumult Einhalt. Eboli wird abgeführt, und man sieht auf einem Bildschirm, wie sie in einem Hinterzimmer hingerichtet wird. Von daher bleibt unklar, wie Carlo eigentlich aus dem Kerker entkommt. Er geht einfach wie die restlichen Figuren am Ende des Aktes ab. Im letzten Akt kann Kyssy als Elisabeth in ihrer großen Arie mit höhensicherem Sopran glänzen, bevor sie auf Carlo trifft und die beiden bewegend voneinander Abschied nehmen. Hier könnte sich nun die Besetzung des Großinquisitors und des Mönchs bzw. der Stimme Karls V. mit einer Person als Problem erweisen, da es ja eigentlich die Stimme Karls V. ist, die Carlo in die Klostermauern entschwinden lässt. Doch Schmiedleitner glaubt nicht an diesen Schluss und wählt einen anderen Ansatz. Elisabeth und Carlo nehmen sich gemeinsam das Leben und finden im Tod auf der Treppe ihre Erlösung. Dies alles wird von den Stuttgarter Philharmonikern unter der Leitung von Marcus Bosch mit viel Gefühl fürs Detail umgesetzt, so dass es für alle Beteiligten großen und verdienten Jubel gibt. FAZIT Sieht man von kleinen unnötigen Regie-Einfällen ab, findet Schmiedleitner zu einer bewegenden Umsetzung der Geschichte, die musikalisch auf ganzer Linie überzeugt.
Weitere Rezensionen zu
den
Opernfestspielen Heidenheim 2023 |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Lichtdesign
Choreinstudierung
Dramaturgie
Stuttgarter Philharmoniker
Tschechischer
Philharmonischer
Solistinnen und Solisten*rezensierte Aufführung Philipp II., König von Spanien Don Carlo, sein Sohn Rodrigo, Marquis von Posa Großinquisitor / Mönch Elisabeth, Prinzessin von Valois Prinzessin Eboli Tebaldo / Stimme vom Himmel Graf von Lerma Herold Sechs Gesandte aus Flandern Statisterie
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