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Lichte Wunder des Zusammenspiels
Von Stefan Schmöe / Fotos: Peter Wieler
Werden Dirigenten und Dirigentinnen überschätzt? Wer gemeinhin eines Thielemann oder Currentzis, einer Mallwitz oder Gražinytė-Tyla wegen die Konzertsäle aufsucht (zugegeben: So verfahren wir auch meistens) , der erlebt an diesem Abend: Es geht auch ohne die Person auf dem Podest vor dem Orchester. Und das bei einem durch und durch romantischen Programm. Das Kammerorchester Basel kommt mit ein paar Handbewegungen von Konzertmeister Daniel Bard aus und spielt mit einer Präzision und Feinabstimmung, die einem den Atem verschlägt. Aber vielleicht ist es ja gerade diese Notwendigkeit, exakt aufeinander zu hören und jede kleine Veränderung aufzunehmen. Wie in Gabriel Faurés viersätziger Orchestersuite Masques et Bergamasques die Holzbläser die Motive von einem Instrument zum nächsten weiterreichen, wie duftig leicht Fauré dieses 1919 uraufgeführte Werk instrumentiert hat und das in der umwerfenden Interpretation dieses Orchesters mit höchster Transparenz hörbar wird, das ist ein Ereignis.
Betörend schön ist auch der Ton der Flötistin Isabelle Schöller in Faurés populärer Pavane, bei der sich am Ende in den samtenen Streichern kleine Intonationseintrübungen einschlichen, die angesichts der hohen Perfektion auch schnell auffallen - vor Maurice Ravels Le Tombeau de Couperin ("Das Grabmal des Couperin") wurde kurz neu gestimmt. Ursprünglich hatte Ravel das Werk als sechssätzige Suite für Klavier komponiert, ein wehmütiger Rückblick auf die Vergangenheit zwischen 1914 und 1917 unter dem Eindruck des Ersten Weltkriegs (die einzelnen Sätze widmete der Komponist im Krieg gefallenen Freunden); 1919 erstellte er daraus eine viersätzige Orchestersuite. Gerade bei einem Klavierfestival hätte man sich natürlich auch die Originalfassung vorstellen können (oder eine Gegenüberstellung beider Versionen). Aber auch hier fasziniert die superbe Leichtigkeit, die Feinabstimmung, das gemeinsame "Atmen" des Orchesters bei einer Musik, die (wie die Faurés) mit barocken Formen spielt, aber diese Variante des Neoklassizismus in ein impressionistisch schillerndes Gewand verpackt. Der Charme der Interpretation liefert ein starkes Argument für die Orchesterfassung.
Wäre da nicht Jan Lisiecki, von dem man ebenso gerne die Klavierversion gehört hätte, der aber erst nach der Pause als Solist in Frederic Chopins f-Moll-Konzert auftrat. Der Kanadier polnischer Abstammung ist gerade einmal 28 Jahre alt und gastiert an diesem Abend bereits zum 15. Mal beim Klavier-Festival Ruhr - und unterstreicht, dass an ihm in Sachen Chopin derzeit kaum ein Weg vorbeigeht. Ein paar Details mag es im Elan an Abgeklärtheit fehlen; so geraten die ersten Einsätze im zweiten und dritten Satz eine Spur zu forsch und fallen aus der Klangbalance heraus. Aber Lisiecki verfügt über eine erlesene Anschlagkultur, mit der er im Piano zaubern kann. Aber viel mehr: Er besitzt dieses spezifische Gespür für die Musik Chopins, das man mit Worten nicht beschreiben kann, das Gefühl für genau das richtige Maß an Freiheit, die Chopin unbedingt einfordert, bei gleichzeitiger Disziplin: Lisiecki spielt außerordentlich poetisch, aber er verliert sich nicht darin. Er kostet die virtuosen Passagen aus, aber nie wird Virtuosität zum Selbstzweck oder steht über der musikalischen Struktur.
Das Wechselspiel zwischen Klavier und Orchester ist sehr genau ausgehört. Lisiecki nimmt die Impulse aus dem Orchester mit hoher Präzision auf, spinnt sie weiter (und umgekehrt werden auch die solistischen Phrasen von den Orchestermusikern sensibel fortgeführt). Diesem Konzert eilt ja der Ruf voraus, das Orchester bereite vor allem wirkungsvoll eine Bühne für den Solisten. Hier hört man ein nuanciert durchgestaltetes Miteinander bis ins kleinste Detail. Wie Lisiecki in der Reprise des ersten Satzes das Ende eines langen Liegetons des Horns abwartet, vermeintlich nicht mehr als eine Klangfarbe, um sich genau daran zu orientieren, dann ist das eines dieser Details, die den Abstand schaffen zu "gewöhnlichen" Interpretationen.
Leider beließ es Lisiecki bei einer einzigen Zugabe, Chopins verträumten Nocturne Es-Dur op.9/2, entspannt und gesanglich gespielt, sparsam in den Freiheiten bezüglich Tempo und Lautstärke - und mit wunderbarer, schwebender Leichtigkeit. Der introvertierte Schluss verbot weitere Ovationen. Ein stiller Ausklang eines großen Konzerts.
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Klavier-Festival Ruhr 2023 Konzerthaus Dortmund 5. Mai 2023 AusführendeKammerorchester BaselKonzertmeister: Daniel Bard Jan Lisiecki, Klavier ProgrammGabriel Fauré:Masques et Bergamasques op. 112 Pavane Maurice Ravel: Le Tombeau de Couperin Frederic Chopin: Konzert für Klavier und Orchester Nr. 2 f-Moll op. 21 Zugabe: Frederic Chopin: Nocturne Es-Dur op. 9/2 Klavierfestival Ruhr 2023 - unsere Rezensionen im Überblick
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