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Debussy mit abgründigem Humor
Von Stefan Schmöe / Fotos von Dana Schmidt
Wenn Samuel S. Pickwick Esq. PPMPC fremde (man darf hier annehmen: französische) Gefilde betritt, dann stampft erst einmal ziemlich tumb die britische Hymne in den Bässen. Claude Debussy setzt sich im neunten Préludes aus dem zweiten Band seiner Sammlung mit der komischen Romanfigur von Charles Dickens auseinander, und das kann unmöglich ernst gemeint sein, wie der pompös-würdevolle Herr hier einschreitet. Wenn Jean-Yves Thibaudet diesen Beginn spielt, dann meint man, den Komponisten lachen zu hören über das bewusst schlecht inszenierte Pathos, das zunächst in seiner Deutlichkeit herausfällt, dann aber gnädig von Debussys Kompositionstechnik aufgefangen wird: da darf er sich zu so manchen anderen skurrilen Gestalten in dieser Sammlung gesellen wie den hinreißenden Minstrels.
Wobei die wohl weniger Gaukler oder Spielleute sind, sondern auf die amerikanischen minstrel shows anspielen, in denen Weiße mittels black facing vermeintliche Stereotypen der Afro-Amerikaner nachstellten - eine reichlich rassistische Angelegenheit also. Im Erscheinungsjahr der Préludes 1913 stellte das kein Problem dar, und bei diesen Werken darf man sich ohnehin nie zu sicher sein, was genau da gemeint ist. Die musikalische Entwicklung jenseits des Atlantiks hat der Komponist aber ganz offensichtlich zur Kenntnis genommen, und Verbindungen zu Gershwin & Co. lässt Thibaudet immer wieder anklingen. Auch das macht den Reiz dieser Musik aus, die sich in der Gattungsbezeichnung unschuldig traditionell gibt und dann doch ganz anders ist. Zwei Bände mit je zwölf Kompositionen hat Debussy herausgegeben, ein deutlicher Bezug auf Bach und dessen Wohltemperiertes Klavier und Chopins Préludes, die beide in ihren jeweils 24 Werken alle 24 Tonarten aufgreifen. Damit allerdings hatte Debussy, bei dem die klassische Tonalität immer wieder ins Schwimmen gerät, wenig am Hut; vielmehr dürfte er mit der magischen Zahl 24 einen kompositorischen Anspruch formuliert haben, den er ganz anders einlöst. 24 Charakterstücke, deren "Titel" allerdings immer erst am Ende eines Stückes stehen - ist das nun eine spezielle Form der Programmmusik, oder wird die Hörerschaft an der Nase herumgeführt? Musikalisch gibt sich der Komponist hier selbst oft genug als Gaukler.
Jean-Yves Thibaudet, der beide Bände in der von Debussy vorgegebenen Reihenfolge spielt, stellt den absonderlichen Humor der Werke ins Zentrum seiner Interpretation, keineswegs derb, sondern immer kultiviert und mit viel Charme. Er erzählt 24 kleine Geschichten, die sich mitunter auch ganz groß geben wie die La cathédrale engloutie (Die versunkene Kathedrale), die zu imperialer Größe anwächst, bis sie mit fahlen Farben verschwindet - eine kraftvolle, an keiner Stelle romantisierende Interpretation. Zarte verschwimmende Klänge sind ohnehin nicht Thibaudets Sache, da spielen andere Pianist:innen subtiler. Thibaudet dagegen bleibt auch in Debussys Klangmalereien und schwirrenden Klangflächen bei aller Farbigkeit klar und prägnant. Wo das Adjektiv "impressionistisch" einst als beißend spöttische Kritik an der vermeintlichen Konturlosigkeit der Musik galt, konstruiert er präzise Stimmungsbilder, die keineswegs formlos wirken, sondern konzentrierte Miniaturen von jeweils ganz spezifischem Charakter.
Es ist Thibaudets zwölftes Konzert beim Klavier-Festival Ruhr, wo er 1993 debütierte. Dabei hat er den zweiten Band von Debussys Préludes schon 1999 und 2004 zur Aufführung gebracht - der Komponist und insbesondere die Préludes bilden ein Herzstück seines Repertoires. Das zeigt sich auch in der Souveränität, mit der er die Stücke musikalisch, aber auch technisch mit großer Virtuosität (die er nicht in den Vordergrund rückt, aber durchaus lustvoll ausspielt) beherrscht. Es gelingt ihm ganz ausgezeichnet, den Klang in verschiedene Register aufzuspalten und die vitale Mehrstimmigkeit der Musik hervorzuheben. Er stellt gegensätzliche Motive und Klängflächen pointiert gegeneinander, ohne die Zusammenhänge zu verlieren Mit bestechender Nonchalance spielt er vermeintlich naive Motive wie etwa die Terzfiguren in der Melodielinie von Le vent dans le plain (Der Wind in der Ebene; Nr. I/3), und diese feine Ironie durchzieht fast jede der Nummern. Man muss oft lächeln über den hintergründigen, manchmal skurrilen Humor Debussys. Schade, dass Thibaudet dann aber den Abend mit einer ziemlich banalen Zugabe (Salut d'amour, ein Salonstückchen von Edward Elgar), bei der er bestenfalls routiniert gegen die Sentimentalität anspielt, deutlich unter Wert beendet.
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Klavier-Festival Ruhr 2023 Anneliese Brost Musikforum Bochum 21. Juni 2023 AusführendeJean-Yves Thibaudet, KlavierProgrammClaude Debussy:Préludes (Band I und II) Zugabe: Edward Elgar: Salut d'amour op. 12 Klavierfestival Ruhr 2023 - unsere Rezensionen im Überblick
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