Veranstaltungen & Kritiken Musikfestspiele |
|
Die Welt wird Klangvon Stefan Schmöe / Fotos © Christian Palm, Ruhrtriennale 2023
Es gibt nicht viel Musik, die man in der Maschinenhalle der ehemaligen Zeche Zollern in Dortmund überzeugend aufführen kann. Im extrem langen Nachhall des Raumes verwischen allzu schnell die Konturen. Als 2016 der von Teodor Currentzis gegründete Chor MusicAeterna hier im Rahmen der Ruhrtriennale 2015 - 2017 u.a. mit der 40stimmigen Motette Spem in alium von Thomas Tallis gastierte, verloren sich Mehrstimmigkeit und Transparenz in einer clusterartigen Klangwolke. Auf der anderen Seite ist dieser akustisch so problematische Raum optisch das Schmuckstück unter den Industriehallen im Ruhrgebiet. Der 1902/1903 errichtete Bau mit markanten Jugendstil-Elementen ist fein herausgeputzt, als habe er niemals der Arbeit gedient (und war 1969 der erste derartige Industriebau, der unter Denkmalschutz gestellt wurde). Daher freut man sich, wenn die Ruhrtriennale ihn hin und wieder bespielt.
Dass der Raum aber auch akustisch zum Glücksfall werden kann, zeigt das aktuelle Projekt des Chorwerk Ruhr und seines Dirigenten Florian Helgath mit der Aufführung von Sergej Rachmaninows Großem Abend- und Morgenlobop. 37 aus dem Jahr 1915. Darin hat der Komponist 15 kirchenslawische Texte der Vigilien, der mit Gebeten und Lesungen ausgefüllten Nachtwache vor Festtagen (später oft auf einen Vigilgottesdienst am Vorabend zusammengezogen), für Chor a cappella vertont. Er bedient sich dabei traditioneller liturgischer Melodien (und orientiert sich an deren Stil, wenn er eigene hinzukomponiert). Ein dezidiert religiöser Komponist war Rachmaninow sicher nicht, und statt einer erzählerischen Textausgestaltung war er offensichtlich an einer immer wieder überwältigenden Klangpracht interessiert, wie er sie aus den Kirchenbesuchen seiner Kindheit kannte und in der etwa einstündigen Komposition noch einmal zur großen Form steigert.
Dem mystischen Klang kommt der Raum mit seinem Hall entgegen - und auch mit seiner eigentümlichen Stimmung beim Eintritt der Nacht, den man bei einem Konzertbeginn um 21 Uhr durch die großen Fenster der Maschinenhalle mitverfolgt. Auch hat sich der einmal mehr exzellente Chor hervorragend auf die Akustik eingestellt. In den klangsatten, getragenen Passagen blühen die Stimmen auf (bei den wenigen Fortissimo-Passagen kann das, jedenfalls auf den Zuhörerplätzen nahe der Bühne, die klanglichen Grenzen des Raumes sprengen). Wird die Musik schneller und die Notenwerde kleiner, so behält die Musik durch die klare und prägnante Artikulation ihre Kontur. Durch markante, aber nie überdeutliche Akzente erhalten Töne die vom Komponisten intendierte glockenhafte Wirkung, und das mit einer beeindruckend federnden Leichtigkeit. Der Chorklang mit geringem Vibrato ist licht und tragfähig. Der Sopran singt leuchtend hell und leicht, der Alt hat eine prägnante, leichtgeschärfte Färbung, die der slawischen Musik ganz ausgezeichnet ansteht. Die präsenten, nie aufdringlichen Männerstimmen werden verstärkt durch drei Oktavisten - Sänger, die den Grundton noch eine Oktave unter der Basslage singen und dem Klang dadurch ein besonderes Fundament geben (das hat schon bei frühen Aufführungen zu Problemen geführt, denn Oktavisten waren schon damals rar). Die Dynamik ist ungemein differenziert ausgestaltet, die Balance der Stimmen hervorragend austariert, die Intonation glockenrein.
Bei den meisten Gesängen steht der Chor auf einem Podest vor dem Publikum, zwischendurch dann an den Seiten rechts und links vom Publikum, dann weit entfernt am anderen Ende der Halle, und einmal wird offenbar aus den Kellern gesungen - mit frappierender Wirkung. An einigen Stellen werden zwischen zwei Gesängen Improvisationen für Trompete solo eingeschoben (auch, um den Chorist:innen die Ortswechsel zu ermöglichen). Tom Arthurs greift dabei an verschiedenen Orten des Raumes Motive des Gesangs auf, um diese vorsichtig tastend, manchmal allzu zögerlich, weiterzuentwickeln. Diese Einschübe erweisen sich auch als Ruhepole in Rachmaninows Klangfülle und sind schon deshalb sinnvoll, um das eigene Gehör neu zu justieren. Man muss die Texte im Einzelnen nicht nachvollziehen (das Mitlesen ist trotz des Abdrucks im Programmfaltblatt angesichts der matten Beleuchtung auch nicht möglich). Zwar baut die orthodoxe Liturgie auf das Wort, weshalb der Chor nicht von Instrumenten begleitet sein darf. Bei Rachmaninow werden die Worte, wird die gesamte Liturgie zu Klang, und hier zu einem Klang von überwältigender Intensität. Wer es erlebt hat, wird es so schnell nicht vergessen.
|
AusführendeTom Arthurs, TrompeteChorwerk Ruhr Dirigent: Florian Helgath WerkeSergej Rachmaninow:Das große Abend- und Morgenlob für Chor a capella op.37 weitere Berichte von der Ruhrtriennale 2021 - 2023 Homepage der Ruhrtriennale Die Ruhrtriennale in unserem Archiv |
- Fine -