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Salzburger Festspiele 2023

Le nozze di Figaro

Commedia per musica in vier Akten
Libretto von Lorenzo Da Ponte
nach der Komödie La Folle Journée ou Le Mariage de Figaro von Pierre-Augustin Caron de Beaumarchais
Musik von Wolfgang Amadeus Mozart

in italienischer Sprache mit deutschen und englischen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 3h 45' (eine Pause)


Premiere am 27. Juli 2023 im Haus für Mozart

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Salzburger Festspiele
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Eine triste Ballade von der Liebesgier der gescheiterten Existenzen

Von Stefan Schmöe / Fotos © Salzburger Festspiele /Matthias Horn

Regisseur Martin Kušej lässt keinen Zweifel: Die Gesellschaft, deren wilden Treiben wir an diesem Abend zusehen werden, ist durch und durch verkommen. Zur Ouvertüre wird das gesamte Personal, arrangiert als Standbild, gezeigt, und die einzig relevante Frage lautet: Wer konsumiert hier welche Droge? Zunächst deutet noch ein Wandteppich auf arkadische Landschaften hin, der kehrt später halb heruntergefallen kurz wieder. Arkadien ist bestenfalls ein Zitat aus besseren Mozartzeiten. Bereits in der ersten Szene misst Figaro, ein schmieriger Geselle, nicht die Wände seines neuen Zimmers aus, sondern zählt die Anzahl der geleerten Drinks an der raumfüllenden Bar. Im Folgenden führt die Reise durch leere Zimmer mit Betonwänden, Badezimmer, Heizungskeller und Tiefgarage - klar konturierte Räume der Unbewohnbarkeit (Bühne: Raimund Orfeo Voigt). Zuhause ist in dieser Welt niemand.

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10, 15, 20 Drinks ... Figaro und Susanna in der ersten Szene

Bevor Graf Almaviva persönlich in Erscheinung tritt, fällt eine Leiche durch die Tür des Nachbarszimmers, offensichtlich vom Chef persönlich liquidiert. Wenn er später wiederholt von Bestrafungen redet, dann sind wohl Exekutionen gemeint. Die Gräfin singt, so scheint's zunächst, ihre berühmte Auftrittsarie "Porgi, amor" unbekleidet in der Badewanne, was an sich eine ganz lustige Pointe wäre, die zudem auf Hindemiths Neues vom Tage mit der Lobeshymne auf die Warmwasserversorgung im Angesicht der Ehekatastrophe verweisen würde. Aber es ist dann doch ein nacktes Double, das in der Wanne sitzend dem Publikum den Rücken zuwendet, während Sängerin Adriana Gonzáles im Kabinett nebenan Gustav Courbets Skandalbild Der Ursprung der Welt aus dem Jahr 1861 betrachtet, das die Vulva einer Frau zeigt. Vielleicht hat die Sängerin ja angesichts des Badewannen-Regieeinfalls interveniert; schlüssig ist die Dopplung nicht. Sie singt mit großer Stimme, etwas unscharf im Forte, sehr intensiv und beeindruckend im Piano und Pianissimo. Ansonsten wirkt diese Gräfin innerhalb des Regiekonzepts merkwürdig deplatziert - wer ist diese traurige Frau im Gesamtgefüge?

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Kein Zweifel, wenn die Gräfin die verschlossene Türe nicht umgehend öffnet, muss sie mit einem Kopfschuss rechnen - Graf und Gräfin Almaviva im Finale des zweiten Aufzugs

Der Graf ist immerhin nicht nur ein brutaler Killer, sondern auch ein viriler Draufgänger, der bei Susanna leichtes Spiel hat. André Schuen singt ihn mit elegantem, jugendlichem Bariton (und man wünschte, die Regie gäbe ihm mehr Raum, den stimmlichen Charme auch szenisch auszuspielen, zumal Schuen eine blendende Bühnenerscheinung ist). Darum ist doppelt rätselhaft, warum man dreieinhalb Stunden lang einer verworrenen Handlung folgen soll - nicht nur geben sich die Frauen ohnehin allzu bereitwillig den um sie buhlenden Herren hin, auch dem Pagen Cherubino; und im hier vorgeführten Milieu dürfte der Boss nicht lange fackeln, den gewünschten Geschlechtsverkehr notfalls Kraft seiner Machtposition zu erzwingen (zwischenzeitlich leistet er sich die Dienste einer Prostituierten, es geht ihm wohl gar nicht so sehr um Susanna). Es rumpelt gehörig Inszenierung, die eine Gruppe gescheiterter Existenzen vorführt, die mit Mozarts Humanität rein gar nichts am Hut haben, die in ihrer konturlosen Oberflächlichkeit aber auch nicht sonderlich interessant werden.


Vergrößerung in neuem Fenster Irgendwie landen sie im Finale des zweiten Akts im Keller: Die Gräfin, Figaro, Susanna und der Graf

Sicher gibt es ein paar spannende Momente. Gelungen ist etwa die Szene, in der Figaro in seinen Widersachern Marzelline (stimmlich eher blass: Kristina Hammarström) und Bartolo (mit vokalem Furor: Peter Kálmán) seine Eltern erkennt - an der Bar, wo sich alle sturzbetrunken schlapp lachen über die neue Situation. Und die zart gebaute, fast zerbrechlich auftretende Lea Desandre, mit recht heller, atemlos vibrierender Stimme eindrucksvoll singend, ist ein Glücksfall für die Inszenierung, weil sie schon optisch einen Kontrast setzt, zwei Köpfe kleiner als der hünenhafte Figaro (Krzysztof Bączyk gibt ihn stimmlich solide). Das unterstreicht die Außenseiterstellung der Figur, der Gräfin wie Susanna umgehend verfallen. Die Susanna selbst ist vergleichsweise konventionell gezeichnet; zu Beginn noch erotisch in Leder, wechselt sie schnell ins brave Dienstmädchenkleid. Sabine Devieilhe singt mit agilem, wenn auch etwas zu leichtem und soubrettenhaftem Sopran. Weil sie heftig mit dem Grafen wie mit Cherubino flirtet, stellt sich schnell der Verdacht ein, dass es um ihre Beziehung zum eher tumben Figaro nicht so sehr gut bestellt ist. Und das ist ein Problem der Inszenierung: Wenn sowieso bei erstbester Gelegenheit geknutscht wird, was das Zeug hält, dann ist die Fallhöhe bei vermeintlicher Untreue denkbar gering.

Obwohl die Geschichte an einem Tag spielt, ist Kušej nichts an einer kontinuierlichen Erzählweise gelegen, im Gegenteil. Immer wieder isoliert er einzelne Szenen, indem er das Licht komplett ausschalten lässt (selbst im Orchestergraben, wo das Hammerklavier notfalls im Dunklen weiterspielt). Dass er dabei auch das wegen seiner Stringenz vielgerühmte Finale des zweiten Aktes auseinanderreißt (das Publikum applaudiert verwirrt über den vermeintlichen Schluss), ist dann doch einigermaßen ärgerlich. Insgesamt ergibt sich ein Kaleidoskop von kurzen Momenten, die letztendlich mehr Redundanz als Entwicklung zeigen. Wobei dem großen Versöhnungsfinale natürlich überhaupt nicht zu trauen ist - und die Oper um ihren Kern gebracht wird.

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Vierter Akt: Figaro und Susanna im Garten

So bleibt auch der Witz Mozarts und da Pontes meist auf der Strecke. Das liegt auch am Dirigat von Raphaël Pichon, der sich mit dem Ensemble Pygmalion als Spezialist für Barockmusik hervorgetan hat. Dabei bemüht sich Pinchon durchaus um eine spritzige Wiedergabe, was sich mitunter im abrupten Wechsel der Artikulation, manchmal auch des Tempos, niederschlägt, und auch die Sängerinnen und Sänger wechseln oft bewusst den Tonfall, wenn die Situation es verlangt. Nur ist die Bühnenwirklichkeit eine andere als auf dem Notenpapier. Die Phrasierungen klingen oft erlesen schön, aber es fehlt die Lebendigkeit (und immer wieder weicht das gesungene Tempo geringfügig vom Orchester ab, da fehlt Pinchon vielleicht doch die Erfahrung des Theateralltags mit allen Tücken). Zudem sucht Pinchon einen großen, festspieltauglich würdevollen Ton, den die Wiener Philharmoniker natürlich bereitwillig liefern. Das klingt oft arg feierlich und statisch, selbst bei flotten Tempi, wobei Pinchon auch salbungsvoll langsam werden kann. Pinchon lässt die Sängerinnen und Sänger bei den Arien manche geschmackvolle Verzierungen singen, und die Continuo-Gruppe bekommt ungewöhnlich viele Freiheiten, was den Kontrast zwischen Rezitativen und Arien abschwächt zugunsten einer durchlaufenden Klangspur. Aber Mozarts Esprit, die Leichtigkeit, die den Figaro bei allem Ernst auch auszeichnet, findet er trotz allen Bemühens nicht.


FAZIT

Der soundsovielte Figaro in Salzburg ist keiner, dessen es unbedingt bedurft hätte - Raphaël Pichon dirigiert tolle große Oper, aber (zu) wenig Musikkomödie, und die angestrengt bemühte Regie von Martin Kušej verliert sich auf den eben doch ziemlich ausgetretenen Regietheaterpfaden in Belanglosigkeit.






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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Raphaël Pichon

Inszenierung
Martin Kušej

Bühne
Raimund Orfeo Voigt

Kostüme
Alan Hranitelj

Licht
Friedrich Rom

Chor
Jörn Hinnerk Andresen

Dramaturgie
Olaf A. Schmitt



Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor

Wiener Philharmoniker


Solisten

Il Conte di Almaviva
Andrè Schuen

La Contessa di Almaviva
Adriana González

Susanna
Sabine Devieilhe

Figaro
Krzysztof Bączyk

Cherubino
Lea Desandre

Marcellina
Kristina Hammarström

Bartolo
Peter Kálmán

Basilio
Manuel Günther

Don Curzio
Andrew Morstein

Barbarina
Serafina Starke

Antonio
Rafał Pawnuk


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