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Regiment in der afrikanischen WüsteVon Thomas Molke / Fotos: © Pádraig Grant
Marie (Isabel Garcia Araujo) will zurück zum Militär zu Sulpice (James Wafer, rechts) und Tonio (Chris Mosz, links). Gaetano Donizetti, der beim Wexford Festival Opera nahezu den Stand eines Hauskomponisten hat und von dem in diesem Jahr als große Produktion Zoraida di Granata zu erleben ist, hatte nach großen Erfolgen in Italien zu Beginn der 1840er Jahre auch die Bühnen Frankreichs erobert. Als in allen vier Opernhäusern der französischen Metropole quasi zeitgleich Werke des Komponisten aus Bergamo auf dem Spielplan standen, sprach Berlioz von einem "wahren Invasionskrieg". Dabei beherrschte Donizetti aber nicht nur den italienischen Stil, sondern schuf mit seiner Opéra-comique La fille du régiment auch ein Werk, das in Frankreich bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs den Status einer Nationaloper genoss und regelmäßig am Abend des 14. Juli zur Erinnerung an den Sturm auf die Pariser Bastille 1789 auf den Spielplan gestellt wurde. Die schmissige Cabaletta "Salut à la France" galt quasi als zweite Nationalhymne, die häufig vom Publikum mit der "Marseillaise" angestimmt wurde. Nach dem Ersten Weltkrieg verlor man das Interesse an diesem Werk, was wohl dem hier und da etwas zu plump aufscheinenden Patriotismus geschuldet war. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg erfuhr die Oper wieder etwas mehr Aufmerksamkeit, unter anderem durch Joan Sutherland in der Titelpartie und Luciano Pavarotti in der Rolle des Tonio. Aus Liebe zu Marie verpflichtet sich Tonio (Chris Mosz, 2. von rechts) beim Militär (links: Michael Conway und Meilir Jones, rechts: Stephen Walker). Erzählt wird die Geschichte der Marketenderin Marie, die als kleines Kind von den Soldaten des 21. Regiments aufgenommen worden ist und seitdem als "Regimentstochter" ein glückliches Leben führt. Ihr einziges Problem besteht darin, dass sie sich in den Zivilisten Tonio, einen jungen Burschen aus Tirol, verliebt hat, als Tochter des Regiments aber nur einen Soldaten aus der Truppe heiraten darf. Tonio überlegt daher nicht lange und tritt, obwohl er als Tiroler eigentlich ein Feind der Franzosen ist, dem Regiment als Soldat bei, um diese Auflage zu erfüllen. Doch da erscheint die Marquise de Berkenfeld und erkennt in Marie ihre uneheliche Tochter, die das Ergebnis einer Liaison mit einem französischen Hauptmann ist. Marie gegenüber gibt sie sich als Tante aus und nimmt sie mit auf ihr Schloss, um sie in die adelige Gesellschaft einzuführen und mit dem einflussreichen Duc de Crackentorp zu vermählen. Marie kann sich zwar nur schwer an das Leben im Schloss gewöhnen, ist aber bereit, aus Pflichtgefühl den Duc zu heiraten. Kurz vor der Unterzeichnung des Ehevertrags stürmt Tonio mit dem Regiment in das Schloss und offenbart Maries Vergangenheit im Regiment. Damit ist eine adelige Ehe undenkbar geworden. Die Marquise lenkt ein und ist bereit, Tonio die Hand ihrer Tochter zu gewähren. Die Marquise de Berkenfeld (Carolyn Dobbin) vertraut Sulpice (James Wafer) ihr Geheimnis an. Da die Oper im Jerome Hynes Theater ohne Übertitel präsentiert wird, hat man sich entschieden, nur den gesungenen Text in französischer Sprache zu lassen und für die gesprochenen Dialoge eine englische Übersetzung zu präsentieren. Das ist zwar für das Verständnis der Handlung hilfreich, passt jedoch nicht wirklich zusammen. Vielleicht hätte man hier auch für den gesungenen Text eine englische Übersetzung wählen sollen. Auch erweist es sich als schwierig, mit einem Klavier die farbige Klangfülle der Partitur einzufangen. Rebecca Warren begleitet die Aufführung zwar absolut gefühlvoll und eindringlich, kann aber am Klavier weder den von den Hörnern im Original angestimmten Klang der Berge zum Ausdruck bringen, noch mangels Masse die teilweise recht martialische Musik in opulenten Farben präsentieren. Natürlich wirkt auch ein Regiment, das aus drei Soldaten und dem Sergeant Sulpice besteht, etwas zu klein, aber mehr ist in diesem Rahmen auf der Bühne im Jerome Hynes Theater eben nicht möglich. Und auch mit diesen Einschränkungen machen alle Beteiligten das Beste aus der Situation. Heather Hadrill inszeniert zur Ouvertüre in Teilen auch die Vorgeschichte der Oper. Auf der Bühne steht eine Wiege mit Marie als Baby. Nacheinander treten nun einzelne Soldaten und Sulpice auf, um sich auf den neuen Tag im Regiment vorzubereiten. Dabei versäumt es keiner, zunächst einen besorgten Blick in die Wiege zu werfen, und als dann das Baby auch noch anfängt zu schreien, sind die übrigen Pflichten Nebensache, und jeder will das Baby auf seinem Arm wieder in den Schlaf wiegen. Das ist alles niedlich und humorvoll umgesetzt. Den Ort der Handlung verlegt Hadrill in die nordafrikanische Wüste, inspiriert von militärischen Aktionen Frankreichs, bei denen tatsächlich Frauen als "Regimentstöchter" das Heer als Krankenschwestern oder Köchinnen begleitet haben. Das ist zwar nicht gerade zwingend, führt aber dazu, dass Lisa Krugel ein pittoreskes Bühnenbild entwerfen kann, dass ein wenig an Tausendundeine Nacht erinnert. In diesem Ambiente wird die Geschichte mit großem Spielwitz erzählt. Isabel Garcia Araujo ist eine burschikose Marie, die mit leuchtendem Sopran und strahlenden Spitzentönen überzeugt. Dass ihr das Leben im Regiment viel mehr zusagt als die adelige Gesellschaft bei ihrer vermeintlichen Tante zeigt Araujo mit großem komödiantischem Talent, wenn sie in ihrer Gesangsstunde zu Beginn des zweiten Aktes immer wieder in den Marschgesang abdriftet. Beim "Salut à la France" lässt sie es dann noch einmal so richtig krachen. Carolyn Dobbin gestaltet die Marquise de Berkenfeld als leicht überkandidelte Adelige mit großem Komik-Potenzial. James Wafer überzeugt als Sergeant Sulpice mit warmem Bariton und macht deutlich, dass er für seine Marie alles tun würde. Chris Mosz verfügt als Tonio über einen hellen Tenor, der sich in seiner großen Arie problemlos zu den zahlreichen hohen Cs emporschwingt und auch ansonsten mit weicher Stimmführung tenoralen Schmelz verströmen lässt. So wird es nachvollziehbar, wieso Marie ihr Herz an ihn verloren hat. Zu Recht gibt es für alle Beteiligten am Ende großen und verdienten Beifall.
FAZIT Donizettis La fille du régiment passt zwar thematisch sehr gut zum Motto "Women and War" ist als "Pocket Opera" aber nur bedingt geeignet, weil doch einiges vom Charme des Werkes verlorengeht.
Weitere Rezensionen zum
Wexford Festival Opera 2023 |
ProduktionsteamMusikalische Leitung und KlavierRebecca Warren Inszenierung Bühne und Kostüme Licht
Solistinnen und Solisten*rezensierte AufführungMarie
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- Fine -