Gräuel des Krieges
Von Thomas Molke /
Fotos: © Clive Barda
Als die künstlerische Leiterin des Wexford Festival
Opera, Rosetta Cucchi, das Thema für das diesjährige
Festival geplant hat, dürfte wohl die am 13. Juni 2015 an der San Francisco
uraufgeführte Oper La ciociara (Two Women) von Marco Tutino nach dem
gleichnamigen Roman von Alberto Moravia aus dem Jahr 1957 und der Verfilmung mit Sophia Loren, Eleonora Brown und Jean-Paul Belmondo in den
Hauptrollen Ausgangspunkt gewesen sein, das Schicksal von Frauen im Krieg als
Thema zu wählen. Dass eine Protagonistin darin auch noch Rosetta heißt, ist
natürlich Zufall. So gibt es in diesem Jahr, wie schon 2018 mit Dinner at
Eight und 2014 mit Silent Night, neben unbekannten Werken aus dem 19.
und 20. Jahrhundert wieder eine zeitgenössische Oper. Es handelt sich zwar in
Wexford in diesem Jahr nicht um eine europäische Erstaufführung, aber dafür hat
der Komponist Tutino die Partitur für die Aufführung in Wexford überarbeitet, so
dass man die Produktion als "Weltpremiere der revidierten Fassung" bezeichnen
kann.
Giovanni (Devid Cecconi) begehrt Cesira (Na'ama
Goldman).
Die Geschichte spielt am Ende des Zweiten Weltkriegs in Italien
und handelt von dem Schicksal einer Mutter und ihrer Tochter Rosetta. Cesira,
die Mutter, führt nach dem Tod ihres Mannes einen Lebensmittelladen in Rom, und
will sich mit ihrer Tochter ins Hinterland zurückziehen, um sicherer vor den
Wirren des Krieges zu sein. Dazu sucht sie Hilfe bei dem besten Freund ihres
verstorbenen Mannes, Giovanni, der jedoch ganz andere Interessen an Cesira hat.
Nachdem Giovanni Cesira bei einem Luftangriff vergewaltigt hat, flieht sie in
eine Gegend um Rom, die den Namen Ciociarķa trägt. Dort trifft sie auf den
jungen Lehrer Michele und verliebt sich in ihn. Da Michele allerdings den
Partisanen nahesteht und dem verwundeten britischen Soldaten, John Buckley,
hilft, wird er von den Nationalsozialisten verhaftet und von Giovanni, der sich
als Faschist den Nazis angeschlossen hat, hingerichtet. Cesira und Rosetta
gelangen auf der Flucht zu einer verlassenen Kirche, in der sich eine Gruppe
marokkanischer Soldaten der französischen Armee niedergelassen hat. Dort kann Cesira nicht verhindern, dass die Soldaten sie und ihre Tochter vergewaltigen. Als
der Krieg vorüber ist, ist das Verhältnis der beiden Frauen zunächst zerstört.
Als es ihnen jedoch gelingt, Giovanni, der mittlerweile wieder das Lager
gewechselt hat, seiner gerechten Strafe zuzuführen, finden Tochter und Mutter
wieder zueinander und versuchen gemeinsam, die Gräueltaten des Krieges zu
verarbeiten.
Cesira (Na'ama Goldman) und Michele (Leonardo
Caimi, links) helfen dem verwundeten John Buckley (Allen Boxer, Mitte).
Marco Tutinos Musik hält den Bezug zum großen
italienischen Melodramma und trägt daher starke veristische Züge. Dabei findet
Tutino für die einzelnen Figuren individuelle Klangsprachen, die ganz auf ihren
Charakter abgestimmt sind. So hat mein Michele häufig große lyrische Bögen, die
an Puccini erinnern. Die Musik für Giovanni ist sehr düster und hart mit
umfangreichem
Einsatz von Schlaginstrumenten gehalten. Für Mama Sciortino, bei der Michele,
Cesira und Rosetta hoffen, Unterschlupf zu finden, da ihr Sohn Paolo ein
langjähriger Freund Micheles ist, komponiert Tutino einen sehr flatterhaften
Stil, da es dieser Frau völlig gleichgültig ist, den Freund ihres Sohnes dem im
Haus untergebrachten Nazi Fedor von Bock auszuliefern. Sie sorgt sich lediglich
darum, dass das Essen für alle reicht. Komplexer wird die Musiksprache bei
Cesira, die eine große Entwicklung in der Oper durchläuft. Ist sie zu Beginn
eine relativ kalte Geschäftsfrau, der einzig das Wohl ihrer Tochter am Herzen
liegt, ändern sich ihre Einstellungen durch die schrecklichen Erlebnisse, bei
denen man sich fragt, wie eine Frau das alles aushalten kann, und ihre Begegnung
mit Michele, der ihr neue Hoffnung gibt. Manche Schrecken zeichnet Tutino in der
Musik noch grausamer, als sie auf der Bühne überhaupt umgesetzt werden können.
Tutino bezeichnet in einem Artikel im Programmheft den Stil seiner Komposition sehr
passend als "die Musik, die sich selbst vergisst", was auch die Nähe zur Filmmusik
erklärt.
Die Tänzerin (Yiaimara Gomez Fabre)
Den Film scheint Cucchi bei ihrer Inszenierung auch im
Hinterkopf gehabt zu haben. So ist an der Rampe ein Stuhl aufgestellt, auf dem
der Name des Regisseurs Vittorio De Sica steht. Ihn lässt Cucchi auch zu Beginn
der Oper als Statisten auftreten und die ganze Geschichte, die wie ein Dreh an
einem Filmset startet, beobachten. Dabei wirft er zwischenzeitlich das Script
auf den Boden und deutet damit an, dass er das, was da eigentlich auf die Bühne
gebracht werden soll, nicht mehr ertragen kann. Dann steht er sogar auf, zieht
seinen Mantel an und will die Bühne verlassen, weil er wohl der Meinung ist,
dass man für diese Schrecken gar keine passenden Worte finden kann. Dass er sich
dann aber doch anders entscheidet, ist einer weiteren Figur geschuldet, die
Cucchi ebenfalls in ihrer Inszenierung einführt und deren Funktion einige Fragen
aufwirft. Es handelt sich dabei um eine farbige Tänzerin (Yiaimara Gomez Fabre), die zu Beginn in einem
Mantel, unter dem sie nur einen weißen Unterrock trägt, wie ein Geist über die
Bühne schleicht, und mit scharfem Ton verkündet, dass die Liebe nur den jungen
Menschen gehört. Erst wenn sie in einem großen musikalischen Intermezzo im zweiten
Akt voller Verzweiflung auf der Bühne tanzt, lässt sich erahnen, dass diese
Figur stellvertretend für alle Frauen und das Leid steht, das Frauen im Krieg
und anderen Notsituationen erleiden.
Cesira (Na'ama Goldman, links) will ihre Tochter
Rosetta (Jade Phoenix, rechts) schützen.
Cucchi verbindet Szenen auf der Bühne mit Filmsequenzen, die beispielsweise
Cesira und Rosetta auf ihrem Weg nach Sant'
Eufemia zeigen, wo Cesira einst aufgewachsen ist. Auch größere
Zeitsprünge werden mit Videoeinspielungen überbrückt. Im zweiten Teil gibt es
historisches Filmmaterial von dem Einmarsch der Alliierten, die über das Meer
nach Italien kommen. Diese Bilder verschwimmen mit der Ankunft der farbigen
Frau, die vielleicht als Flüchtling hier im wahrsten Sinne des Wortes an Land
gespült wird und Schutz sucht. Dass sie allerdings mit verbundenen Augen an eine
Wand gestellt wird, lässt vermuten, dass sie diesen Schutz hier nicht finden
wird. Die Bühne von Tiziano Santi zeigt zunächst ein Filmset. Der Gemüseladen
von Cesira wirkt in seinen Bruchstücken so, wie man es für
Filmaufnahmen benötigt. Sant' Eufemia im zweiten Teil des ersten Aktes wird
recht historisierend wie ein italienisches Dorf aus den 40er Jahren des letzten
Jahrhunderts dargestellt. Auch die Kostüme von Claudia Pernigotti sind der Zeit
angepasst, in der die Geschichte spielt.
Die Wohnung von Pasquale Sciortino ist ein enger Raum in einer
Guckkastenbühne, aus dem es kein Entrinnen gibt. So läuft Michele hier in die
Falle. Für den folgende Szene wird die Bühne dann geteilt. Auf der linken Seite
sieht man die Zelle, in der Michele zunächst von den Nationalsozialisten
gefoltert und später von Giovanni erschossen wird. In der Mitte befindet sich
eine Steinwand, die bisweilen einen durchlässigen Einblick in die dahinter
liegende verfallene Kirche zeigt, in der Cesira und Rosetta von den
marokkanischen Soldaten vergewaltigt werden.
Dass die Inszenierung unter die Haut geht, liegt nicht nur an der
Musik, die vom Wexford Festival Orchester unter der Leitung von Francesco
Cilluffo ausdrucksstark umgesetzt wird, und der bewegenden Geschichte, die
erzählt wird, sondern vor allem auch an den großartigen Darsteller*innen. Na'ama
Goldman setzt die Entwicklung Cesiras von einer kalt berechnenden zu einer tiefe
Gefühle empfindenden Frau glaubhaft um und begeistert auch stimmlich mit
dramatischem Mezzosopran, dem sie zahlreiche verschiedene Klangfarben verleiht.
So kann sie schneidend kalt klingen, wenn sie mit Giovanni zu tun hat und findet
weiche, nahezu verletzliche Töne, wenn es um ihre Tochter geht. Der
schrecklichste Moment ist, wenn sie zusehen muss, wie ihrer Tochter von den
Soldaten Gewalt angetan wird und sie sie erstmals nicht schützen kann. Jade
Phoenix stattet die Partie der Rosetta mit mädchenhaftem Sopran und einer
herrlichen Naivität im Spiel aus, die durch die Vergewaltigung im zweiten Teil
gebrochen wird. Die Zerstörung, die dieses Erlebnis in dem jungen Mädchen
auslöst, wird von Phoenix intensiv umgesetzt. Danach wirft sie sich wie
eine Dirne den Männern an den Hals und findet erst wieder mit ihrer
Mutter zusammen, als diese ihr erzählt, dass Michele tot ist.
Leonardo Caimi punktet als Michele mit hellem Tenor und großer
Strahlkraft. Devid Cecconi gibt den bösen Giovanni mit schwarzem Bariton und
diabolischem Spiel. Auch die übrigen Darsteller*innen und der von Andrew Synnott
einstudierte Chor überzeugen in den kleineren Partien auf ganzer Linie, so dass
es für alle Beteiligten großen Beifall am Ende gibt, in den sich auch bei der
zweiten Aufführung Rosetta Cucchi als Regisseurin und der Komponist Marco Tutino
einreihen.
FAZIT
Diese Oper geht unter der Haut, was zum einen an der Musik Tutinos liegt, die in
großen Teilen nach den Verismo-Komponisten des beginnenden 20. Jahrhunderts und
Filmmusik klingt, und zum anderen an der von Rosetta Cucchi packend erzählten
Geschichte.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Francesco CilluffoInszenierung
Rosetta Cucchi Bühne
Tiziano Santi Kostüme
Claudia Pernigotti Licht
Daniele Naldi Chorleitung
Andrew Synnott Orchester des Wexford Festival Opera Chor
des Wexford Festival Opera Solistinnen und Solisten
Cesira
Na'ama Goldman
Rosetta
Jade Phoenix
Michele
Leonardo Caimi
Giovanni
Devid Cecconi
Fedor von Bock
Alexander Kiechle John
Buckley
Allen Boxer Lena
Carolyn Dobbin Pasquale Sciortino
Conor Prendiville Maria Sciortino / Una Donna
Erin Fflur Un Ragazzo
Julian Henao Gonzalez Una Popolana
Grace Maria Wain Soldato Marocchino 1
Meilir Jones Soldato Marocchino 2
Christian Loizou Soldato Marocchino 3 / Uomo
Will Searle Vittorio De Sica
Peter McCamley Tänzerinnen und Tänzer
Luisa Baldinetti
Andrea Bassi
Yiaimara Gomez Fabre
Roberto Capone
Miryam Tomè
Andrea Zanforlin
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