Zwei Tenöre im Kampf um die Sopranistin
Von Thomas Molke /
Fotos: © Clive Barda
Gaetano Donizetti kann beim Wexford Festival Opera als eine Art
Hauskomponist bezeichnet werden. Seit der Gründung des Festivals im Jahr 1951
standen seine Werke nämlich bisher in insgesamt 17 Spielzeiten als
Hauptproduktionen auf dem Spielplan, wobei die kleineren Formate dabei noch gar
nicht mitgerechnet sind. Begünstigt wird diese Tatsache natürlich dadurch, dass Donizetti mit seinen rund 70 Opern einen breiten Fundus an größtenteils
vergessenen Belcanto-Schätzen hinterlassen hat, den es bei einem Festival, das
sich auf unbekannte Opern spezialisiert hat, zu entdecken gilt. Wenn man
bedenkt, dass selbst die heute aus dem Standardrepertoire nicht mehr
wegzudenkenden komischen Opern L'elisir d'amore und Don Pasquale
in Wexford bereits 1952 und 1953 präsentiert wurden, als deren Bekanntheitsgrad
noch relativ gering war, kann man dem Festival zu Recht bescheinigen, zur
Donizetti-Renaissance einen entscheidenden Beitrag geleistet zu haben. In diesem
Jahr stellt man im Rahmen des Mottos "Women and War" ein Frühwerk des
Komponisten aus Bergamo vor, das den Startschuss zu seiner folgenden Karriere
gab: Zoraida di Granata.
Almuzir (Konu Kim) will Zoraida (Claudia Boyle)
zwingen, ihn zu heiraten.
Dabei handelt es sich um Donizettis sechste Oper und die erste, die auch bereits
drei Jahre nach der Uraufführung 1822 außerhalb Italiens in Lissabon gespielt
wurde. Die Uraufführung stand allerdings unter keinem guten Stern.
Kurz vor der Premiere verstarb der für die Partie des Abenamet geplante Tenor
Americo Sbigoli an einem geplatzten Blutgefäß. Da es keinen adäquaten Ersatz
gab, transponierte Donizetti kurzerhand die Partie für einen Mezzosopran und
kürzte sie. Für
eine Wiederaufnahme 1824 weitete er die Partie für den Mezzosopran aus,
da ihm nun eine bessere Interpretin zur Verfügung stand. Nun präsentiert das Wexford Festival Opera als Koproduktion mit
dem Festival Donizetti in Bergamo beide Versionen, wobei in Wexford die
ursprünglich geplante Fassung von 1822 mit einem Tenor gespielt wird, die schon vor der
Uraufführung abgeändert worden war, und in Bergamo die zweite Fassung von 1824
mit der aufgewerteten Mezzo-Partie zu hören und sehen ist. Ein Vergleich der
beiden Versionen dürfte sicherlich lohnenswert sein.
Abenamet (Matteo Mezzaro) will sich das Leben
nehmen.
Das Libretto basiert unter anderem auf der historischen Novelle
Goncalve de Cordove ou Grenade reconquise von Jean-Pierre Claris de
Florian aus dem Jahr 1791. Die Geschichte spielt um 1480, als Granada in
Andalusien von den Moslems regiert wurde. Almuzir hat den König von Granada,
Zoraidas Vater, getötet und selbst die Macht übernommen. Er möchte Zoraida
heiraten, hat jedoch in Abenamet, einem getreuen Gefolgsmann des verstorbenen
Königs, einen Rivalen um die Gunst der Prinzessin. Nachdem er Abenamet zunächst
ins Gefängnis gebracht hat, plant er, ihn mit einer Intrige zu beseitigen. Im
Kampf gegen die angreifenden Spanier soll Abenamet die arabischen Truppen anführen und
dabei die Fahne führen. Sollte er sie verlieren, werde er mit dem Tode bestraft.
Mit Hilfe seines Dieners Ali Zegri sorgt Almuzir jedoch dafür, dass Abenamet
trotz siegreicher Rückkehr die Fahne verliert und zum Tode verurteilt wird. Zoraida erklärt sich bereit, Almuzir zu heiraten, wenn er Abenamet
freilässt. Dies versteht Abenamet jedoch falsch und hält Zoraida für untreu. Als sie ihm ihre
Liebe gesteht und gemeinsam mit ihm fliehen will, werden sie von Ali Zegri
überrascht. Abenamet kann fliehen, aber nun soll Zoraida hingerichtet werden. In
letzter Sekunde kann Abenamet sie vor dem Tod retten und die Intrige aufklären. Als er
sich anschließend schützend vor Almuzir stellt, bereut dieser seine Taten und
stimmt der Hochzeit zwischen Zoraida und Abenamet zu.
Abenamet (Matteo Mezzaro, Mitte) kämpft mit Ali
Zegri (Matteo Guerzè, 2. von links) um Zoraida (Claudia Boyle) (ganz links:
Almuzir (Konu Kim)).
Das Regie-Team um Bruno Ravella verzichtet auf einen religiösen
Bezug in der Inszenierung und betrachtet die Geschichte universeller. Im Zentrum
steht das Liebesdreieck Abenamet - Zoraida - Almuzir, das unabhängig von der
politischen Orientierung oder ethnischen Zugehörigkeit ist. Deswegen wählt Gary
McCann für die Figuren auch moderne Kostüme, die bei Zoraida in den Farben eine
große Ausdruckskraft besitzen. Zunächst trägt sie ein Kleid in sattem Blau. Wenn
sie dem gefangenen Abenamet als Vision in seinen Träumen erscheint, tritt sie
barfuß in weißem Kleid auf und erinnert an eine Art Geist. Als sie am Ende
verbrannt werden soll, trägt sie ebenfalls ein weißes Kleid, um ihre Unschuld zu
unterstreichen. Als Kulisse wählt McCann eine verfallene Burg, die in der
Gestaltung durchaus aus der Zeit stammen könnte, in der die Geschichte spielt.
Die zahlreichen Steine auf dem Boden deuten an, dass das Gebäude vielleicht
Opfer eines Angriffs geworden ist. Von der Decke hängt ein zunächst
undefinierbares schwarzes Gerüst herab, das sich in den großen Szenen von Abenamet und Zoraida auf diese herabsenkt und dabei fast wie ein Spinnennetz
wirkt. Erst am Ende wird klar, dass es sich hierbei um ein buntes Fenster
gehandelt hat, das ebenfalls bei einem Angriff zerstört worden ist. Wenn Zoraida
und Abenamet am Ende doch noch zusammenkommen und Almuzir seine Schandtaten
bereut, wird dieses Fenster in neuer Form aus dem Schnürboden herabgelassen.
Soll das die Hoffnung auf eine bessere Zukunft bedeuten?
Als zusätzliche Figuren fügt Ravella zwei Tänzerinnen ein,
deren Sinn sich nicht wirklich erschließt. Sind sie dem Motto des Festivals, "Women
and War", geschuldet, weil Ravella vielleicht der Meinung war, dass die Frauen
in diesem Stück mit Zoraida und ihrer Dienerin Ines unterrepräsentiert sind?
Sollen es Dopplungen von Zoraida und Ines sein, weil sie zumindest ähnlich
gekleidet sind? Dagegen spricht, dass sie beim lieto fine zu zwei Soldaten aus
dem Chor gehen und mit ihnen zwei weitere Paare auf der Bühne bilden. Ansonsten
erzählt Ravella die Geschichte in einer stringenten Personenregie und verfügt
dafür auch über eine großartige Besetzung.
Happy End (in der Mitte von links: Ali Zegri
(Matteo Guerzè), Almuzir (Konu Kim), Abenamet (Matteo Mezzaro), Zoraida (Claudia
Boyle), Ines (Rachel Croash) und Almanzor (Julian Henao Gonzalez), rechts und
links daneben der Herrenchor)
Musikalisch ist die Oper sehr anspruchsvoll. Bei der Partie des
Abenamet verwundert es nicht, dass Donizetti bei dem Tod des eingeplanten Tenors
nicht sofort einen Ersatz zur Verfügung hatte. Matteo Mezzaro verfügt als
Abenamet über einen in der Mittellage sehr kräftigen Tenor, der in den Höhen
jedoch stellenweise etwas abflacht. Besonders die Übergänge machen ihm
Schwierigkeiten. Wenn er sich nur in der höheren Stimmlage bewegen kann, besitzt
sein Tenor eine große Strahlkraft. Vielleicht hätte man hier aber doch lieber
einen Mezzosopran als Hosenrolle wie bei der Uraufführung 1822 gehört. Konu Kim glänzt als Bösewicht Almuzir mit stählernem
Tenor und atemberaubenden Höhen, die er auch ohne scheinbare Anstrengung trifft,
wenn er mitten in einer Arie auf einen Tisch klettert. Wie Almuzirs Charakter
ist auch die Gesangslinie sehr hart angesetzt, was Kim absolut glaubhaft umsetzt. Julian Henao
Gonzalez lässt als Abenamets Vertrauter Almanzor mit beweglichem, weichem Tenor
aufhorchen, und Matteo Guerzè punktet als weiterer Bösewicht Ali Zegri mit
schwarzen Tiefen.
Einen weiteren musikalischen Höhepunkt bilden die beiden
Frauen. Da ist zunächst Claudia Boyle zu nennen, die in der Titelpartie
begeistert. Mit strahlenden Höhen unterstreicht sie Zoraidas treue Liebe zu
Abenamet und gestaltet die Partie mit großen dramatischen Bögen. In ihrer Musik
sind bereits zahlreiche Donizetti-Heroinen angelegt, die in den weiteren ernsten
Werken folgen sollten, nur dass ihr im Gegensatz zu Lucia, Anna Bolena und
Lucrezia Borgia ein glückliches Ende bleibt. Auf dieses muss man aber in der
Oper recht lange warten. Die Musik ist zwar wunderschön, hat aber bei einer
reinen Spielzeit von gut drei Stunden durchaus ihre Längen. Rachel Croash glänzt
als Zoraidas Vertraute Ines ebenfalls mit leuchtendem Sopran. Der Herrenchor
unter der Leitung von Andrew Synnott rundet die sängerische Leistung des Abends
überzeugend ab. Diego Ceretta führt das Orchester des Wexford Festival Opera mit
präziser Hand durch die melodienreiche Partitur, so dass es am Ende begeisterten
Applaus für alle Beteiligten gibt.
FAZIT
Mit Zoraida di Granata hat das Wexford Festival Opera wieder eine
echte Rarität für Belcanto-Fans ausgegraben. Spätestens jetzt ist man neugierig
geworden auf Donizettis zweite Fassung des Stückes, die 2024 in der gleichen
Inszenierung in Bergamo zu erleben sein wird.
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