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Konzertante RaritätVon Thomas Molke / Fotos: © Rossini in Wildbad Giovanni Pacini gehört zu der Riege der Belcanto-Komponisten, die heutzutage größtenteils in Vergessenheit geraten sind. Hatte der im Februar 1796 in Catania als Sohn des Tenors und späteren Buffo-Stars Luigi Pacini geborene Komponist zu Beginn seiner Karriere auch noch stark mit der Übermacht Rossinis auf den Opernbühnen zu kämpfen, konnte er doch ab 1817 vor allem in Mailand große Erfolge feiern und verfestigte seinen Ruhm mit seinem Debüt an der Mailänder Scala 1818 mit dem Melodram Il barone di Dolsheim, das während der 1820er und 1830er Jahre regelmäßig auf den Spielplänen der italienischen Opernhäuser stand. Der Impresario Barbaja machte ihn daraufhin zum Leiter des Theaters in Neapel. Diesen Posten hatte zuvor kein Geringerer als Rossini innegehabt. In dieser Zeit feierte Pacini in ganz Italien große Erfolge mit zahlreichen Opere buffe und Opere semiserie. Als sein Stern dann 1835 zu sinken begann, änderte er seinen Stil und eroberte mit seiner Oper Saffo 1840 erneut die Bühnen, die bis zu dieser Zeit vor allem von Donizetti und Bellini beherrscht wurden. Einen Höhepunkt seiner ersten Schaffensperiode dürfte auch das am 8. März 1827 an der Mailänder Scala uraufgeführte Melodramma serio Gli arabi nelle Gallie markieren, das sich in über 80 Produktionen in allein einem Jahrzehnt über ganz Europa verbreitete und dem Tenor Giovanni David zu neuem Ruhm verhalf. Das Deutsche Historische Institut in Rom hat eine Partitur dieser vergessenen Oper editiert, die nun konzertant in Krakau und Bad Wildbad zur modernen Erstaufführung kommt und auch auf CD eingespielt wird. Schlussapplaus: von links: Mohamud (Francesco Bossi), Leodato (Diana Haller), Agobar (Michele Angelini), Ezilda (Serena Farnocchia), Gondaïr (Roberto Lorenzi), Zarele (Camilla Carol Farias) und Aloar (Francesco Lucii), dahinter der Philharmonische Chor Krakau Das Libretto beruht auf dem französischen Roman Le renégat von Charles-Victor Prévost, dem Vicomte d'Arlincourt, der 1822 in Paris erschienen und zwei Jahre später ins Italienische übersetzt worden ist. Pacinis Librettist Luigi Romanelli verdichtet den recht verzweigten Text, der im 8. Jahrhundert zur Zeit Karl Martells spielt, auf zwei Akte. Clodomiro, dessen Vater von Karl Martell um den Thron im Frankenreich gebracht worden ist und für tot gehalten wird, hat sich unter dem Namen Agobar zum Anführer der Araber emporgearbeitet und belagert mit den Sarazenen Gallien. Als er gerade ein Kloster stürmen will, trifft er auf die Fürstin Ezilda, die ihm bereits im Alter von 10 Jahren als Braut versprochen worden ist und die er immer noch liebt. Er verschont Ezilda und ihr Volk, was ihm vor allem der arabische General Mohamud übelnimmt, der daraufhin eine Verschwörung gegen den unliebsamen Emporkömmling anzettelt. Als Agobar sich Ezilda zu erkennen gibt, weist diese ihn schroff als Verräter zurück. Stattdessen schließt er Freundschaft mit Leodato, der ebenfalls heimlich in die Fürstin verliebt ist und, obwohl er als General im Dienst Karl Martells steht, dem ehemaligen Königshaus noch treu verbunden ist. Leodato erfährt von Mohamuds Verschwörung gegen Agobar und warnt ihn. Doch Agobar wird im Kampf gegen Karls Truppen von den Arabern getötet. Sterbend bereut er seine Taten und kehrt zu seinem einstigen Glauben zurück. Ezilda (Serena Farnocchia) und ihr Vertrauter Gondaïr (Roberto Lorenzi) Das Werk zeichnet sich musikalisch durch einen recht martialischen Stil aus, der vor allem im umfangreichen Blechbläser-Teil zum Ausdruck kommt. Neben Trompeten und Trommeln verwendet Pacini auch eine traditionelle Banda auf der Bühne, was die räumlichen und personellen Möglichkeiten in der Trinkhalle in Bad Wildbad sprengt. Von daher werden unter anderem die Bühnenmusiken vom Band eingespielt und bilden bei der Live-Aufführung eine Art Fremdkörper, was bei der CD-Einspielung vielleicht behoben werden kann. Im Gegensatz zu anderen Kompositionen der Zeit verzichtet Pacini bei der musikalischen Beschreibung des Konflikts zwischen den Franken und Arabern auf musikalische exotische Klischees, die sich in der europäischen Musiktradition der damaligen Zeit gefestigt hatten, und betont den kämpferischen Charakter. Bei den Stimmen setzt er auf große dramatische Ausschmückungen, die wie eine Vorstufe zum späteren Verdi wirken. Marco Alibrando arbeitet mit dem Orchester, der Szymanowski-Philharmonie Krakau, die einzelnen Klangfarben differenziert heraus. Michele Angelini als Agobar Stimmlich wird den Solistinnen und Solisten einiges abverlangt, was an zahlreichen Stellen starkes Forcieren erfordert. Besonders die Partie des Agobar weist einige Tücken auf. Pacini hatte sie dem Tenor Giovanni David in die Kehle komponiert und ihm damit zu neuem Erfolg in Mailand verholfen. Michele Angelini meistert die Rolle mit einer kraftvollen Mittellage, hat aber in den Spitzentönen ein wenig zu kämpfen und wirkt stimmlich nicht ganz auf der Höhe. Auch die schnellen Läufe verlangen ihm einiges ab, so dass nicht jeder Ton ganz sauber kommt. Dennoch punktet er in seiner Arie im ersten Akt mit großer Dramatik und Kampfeslust, wenn er als triumphierender Anführer der Araber das Land seiner Ahnen betritt und sich an den Verrat an seinem Vater erinnert, der schließlich zu seiner Vertreibung geführt hat. Hier ist er noch vollkommen von Rachegelüsten beherrscht, auch wenn sein Vertrauter Aloar ihn vor allzu großer Kühnheit warnt. Bewegend gelingt ihm auch die große Schlussarie, wenn er in den Armen Ezildas stirbt, nachdem er zu seinem einstigen Glauben zurückgekehrt ist. Serena Farnocchia stattet die Partie der Ezilda mit dramatischem Sopran aus und punktet durch große Strahlkraft in den Höhen. Eindringlich gestaltet sie das große Gebet im ersten Akt, in dem sie um göttlichen Beistand gegen die Araber fleht. Wenn sie in Agobar ihren ehemaligen Bräutigam Clodomiro wiedererkannt hat, punktet sie mit dramatischen Koloraturen, die nicht nur als Ausdruck des virtuosen Belcanto eingesetzt werden, sondern die innere Unruhe der Fürstin ausdrücken, die sich ihrer Gefühle für Agobar / Clodomiro nicht recht bewusst ist.Diana Haller als Leodato Weiterer Höhepunkt des Abends ist Diana Haller als Leodato. Haller, die in Bad Wildbad bereits 2011 mit dem renommierten Internationalen Belcanto Preis ausgezeichnet worden ist und vor zwei Jahren hier den ersten Inge-Borkh-Gedächtnispreis verliehen bekommen hat, punktet mit dunkel gefärbtem Mezzosopran und großen dramatischen Ausbrüchen in den Höhen, die in keinem Moment angestrengt klingen. Schon ihre Auftrittskavatine, in der sie sieglos aus der Schlacht zurückkehrt und ihrer Enttäuschung darüber Ausdruck verleiht, der von ihr geliebten Fürstin Ezilda keinen Sieg präsentieren zu können, gestaltet Haller mit beweglicher Stimmführung. Auch im folgenden Duett mit Farnocchia, in dem Ezilda Leodatos Liebeswerben zurückweist, punktet Haller mit eindringlicher Interpretation. Ein weiterer musikalischer Glanzpunkt ist das große Duett mit Angelini im zweiten Akt, wenn Agobar und Leodato sich ihre Freundschaft versichern. Überhaupt nehmen in Pacinis Partitur neben den Arien die Duette eine besondere Stellung ein. Auch das Duett zwischen Ezilda und Agobar zu Beginn des zweiten Aktes, wenn die beiden einander erkennen, Ezilda Agobar allerdings als Verräter von sich weist, ist musikalisch eindringlich gestaltet. Als vierte Hauptpartie ist Roberto Lorenzi als Gondaïr zu nennen, der die Partie mit kraftvollem Bassbariton gestaltet und vor allem im großen Terzett im zweiten Akt mit Haller und Farnocchia punktet, wenn er erfährt, dass Agobar der für tot gehaltene Clodomiro ist. Auch im jeweiligen Finale des ersten und zweiten Aktes glänzt Lorenzi mit profunden Tiefen. Camilla Carol Farias als Zarele, Francesco Bossi (Mitte) als Mohamud und Francesco Lucii (links) als Aloar
In den kleineren Partien lassen
Francesco Bossi und Camilla Carol Farias aufhorchen, die beide in diesem Jahr
mit dem Internationalen Belcanto Preis ausgezeichnet worden sind. Bossi, der im
Signor Bruschino und Barbiere vor allem durch komödiantisches
Talent glänzte, beweist als Mohamud mit schwarzen Tiefen, dass er auch die Rolle
des Bösewichts beherrscht. Farias bildet als Äbtissin Zarele mit warmem
Mezzosopran einen Ruhepol für Ezilda, die Agobar als Verräter einerseits
ablehnt, andererseits ihre tiefen Gefühle für ihn nicht verleugnen kann.
Francesco Lucii rundet als Aloar das Ensemble mit hellem Tenor überzeugend ab.
Auch der von Piotr Piwko einstudierte Philharmonische Chor Krakau punktet mit
homogenem Klang als arabische Soldaten, Bergbewohner und Jungfrauen des
Klosters, so dass es für alle Beteiligten am Ende einhelligen Applaus gibt.
FAZIT
Es ist lobenswert, dass man ein absolut vergessenes Werk wie Pacinis Gli
arabi nelle Gallie in Bad Wildbad wiederentdecken kann und eine CD von
diesem Stück eingespielt wird. Für eine Aufnahme ins Repertoire empfiehlt sich
die Oper allerdings heute nicht mehr.
Weitere Rezensionen zu Rossini in
Wildbad 2023 |
ProduktionsteamMusikalische LeitungMarco Alibrando Musikalische Einstudierung und Assistenz Fortepiano Licht Choreinstudierung
Szymanowski-Philharmonie Krakau Philharmonischer Chor Krakau
Solistinnen und SolistenEzilda, Fürstin der Cevennen Leodato, Fürst von Auvergne,
Agobar,
Anführer der Araber Gondaïr, Vertrauter der
Fürstin
Zarele, Äbtissin Aloar,
Arabischer General Mohamud,
Arabischer General Bergbewohner beiderlei Geschlechts,
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