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Verwechslungsspaß im Bagni GioachinoVon Thomas Molke / Fotos: © Patrick Pfeiffer Il signor Bruschino ist die letzte von fünf Farse, die Rossini zu Beginn seiner Karriere für das Teatro San Moisè in Venedig komponierte. Nachdem er 1810 mit La cambiale di matrimonio dort noch als Einspringer debütierte, erzielte er mit seiner zweiten Farsa L'inganno felice 1811 einen so großen Erfolg, dass der damalige Impresario am Teatro San Moisè, Antonio Cera, Rossinis Mutter in einem Brief attestierte, dass das Genie Cimarosas in Rossini übergegangen sei, und den jungen Mann gleich für drei weitere Farse ans Teatro San Moisè verpflichtete. Doch mit L'inganno felice wurden auch andere Opernhäuser auf das junge aufstrebende Talent aufmerksam und boten dem Schwan von Pesaro größere und weitaus lukrativere Opernaufträge an, denen Rossini natürlich ebenfalls nachkommen wollte, was seinem Erfolg und auch seiner Sympathie am Teatro San Moisè nicht gerade zuträglich war. Von daher lässt sich vermuten, dass es eher einer Intrige Ceras als der mangelnden musikalischen Qualität geschuldet war, dass diese letzte Farsa, die Rossini parallel zum Tancredi für das benachbarte Teatro Felice komponierte, ein absoluter Flop war und direkt nach der Premiere am 27. Januar 1813 abgesetzt und gegen Stefano Pavesis Ser Marcantonio, einem Vorläufer von Donizettis Don Pasquale, ausgetauscht wurde. Gemutmaßt wird jedoch auch, dass Rossini von dem Libretto nicht allzu viel gehalten und er es abgelehnt habe, als es ihm bereits für den ersten der drei Folgeaufträge für das San Moisè vorgelegt worden sei. Dass er Il signor Bruschino schließlich doch noch vertont habe, sei nur dem akuten Zeitmangel geschuldet. In Bad Wildbad kann man sich nun in einer überarbeiteten Inszenierung, die 2009 hier im Kurhaus zu erleben war, von den Qualitäten dieser "Jugendsünde", wie Rossini das Werk selbst in einem Brief bezeichnete, überzeugen. Das Libretto von Giuseppe Foppa basiert auf der fünfaktigen französischen Komödie Le fils par hasard, ou Ruse et folie von René de Chazet und Maurice Ourry aus dem Jahr 1809 und trägt den Untertitel Il figlio per azzardo. Der alte Gaudenzio möchte sein Mündel Sofia aus wirtschaftlichen Gründen mit dem Sohn eines gewissen Signor Bruschino verheiraten, den er allerdings noch nie gesehen hat. Sofia liebt jedoch den jungen Florville, dessen Vater ein Erzfeind Gaudenzios ist und den Gaudenzio ebenfalls nicht kennt. Florville will die Hochzeit um jeden Preis verhindern. Zugute kommt ihm dabei, dass der junge Bruschino einen etwas zweifelhaften Lebenswandel hat und auf dem Weg zu Gaudenzio in der Schenke des Gastwirtes Filiberto so hohe Schulden gemacht hat, dass er dort nun hinter Schloss und Riegel gehalten wird, bis die Schulden bezahlt sind. Florville gibt sich Filiberto gegenüber als Bruschinos Vetter aus und zahlt einen Teil der Schulden mit der Auflage, den jungen Bruschino auf keinen Fall freizulassen. Des Weiteren erhält er von Filiberto ein Schreiben des jungen Bruschino, mit dem er sich Gaudenzio gegenüber als Bruschinos Sohn ausgeben kann. Allerdings taucht der alte Bruschino auf, der natürlich bestreitet, dass Florville sein Sohn sei, was für große Verwirrung sorgt. Da scheinbar mehrere Beweise dafür sprechen, dass der alte Bruschino seinen Sohn nur aus Wut auf dessen Lebenswandel verleugnet, glaubt Gaudenzio dem alten Bruschino nicht. Völlig erbost begibt sich der alte Bruschino schließlich selbst auf die Suche nach seinem Sohn und macht ihn in der Schenke ausfindig. Als er jedoch erfährt, dass Florville der Sohn von Gaudenzios Erzfeind ist, beschließt er, sich an Gaudenzio zu rächen, und spielt die Maskerade mit. So werden Sofia und Florville vermählt, bevor der richtige junge Bruschino auftritt und Gaudenzio erkennen muss, dass sein Mündel den Sohn seines Erzfeindes geheiratet hat. Chaos im "Bagni Gioachino": von links: Filiberto (Francesco Bossi), Kriminalkommissar (Filiberto Bruno), Bruschino padre (Emmanuel Franco), Gaudenzio (Giorgio Caodura), Sofia (Eleonora Bellocci) und Florville (Hyunduk Kim) Das Regieteam um den Intendanten Jochen Schönleber verlegt die temporeiche, verrückte Handlung in ein Strandbad der 1960er Jahre, das den Namen "Bagni Gioachino" trägt. Der Orchestergraben stellt gewissermaßen das Schwimmbecken dar. Während sich Antonino Fogliani, der die Produktion 2009 musikalisch leitete, damals vor der Ouvertüre eine Badekappe aufsetzte, wählt José Miguel Pérez-Sierra eine Taucherbrille, mit der er sich mit dem Philharmonischen Orchester Krakau in die Ouvertüre "stürzt". Und die weist wie das komplette Stück bereits einige Skurrilitäten auf. So müssen die Violinistinnen und Violinisten zwischendurch mit ihrem Bogen auf den Notenständer klopfen. Schönleber, der die Solistinnen und Solisten bereits während der Ouvertüre auftreten lässt, integriert diesen Moment auch gekonnt in das Spiel des Ensembles. So steigt beispielsweise Sofia in einem Moment in das "Becken" und hat nach dem Bad Wasser im Ohr, das sie sich dann im Takt hinauszuklopfen versucht. Auch die Vorgeschichte wird während der Ouvertüre inszeniert. So sieht man den jungen Bruschino, der im Stück eigentlich erst ganz am Ende auftaucht, bereits zu Beginn recht betrunken durch das Bad taumeln, bevor er vom Wirt Filiberto wegen der nicht beglichenen Rechnungen festgesetzt wird. Der alte Bruschino tritt auf und wird scheinbar über die geplante Hochzeit zwischen seinem Sohn und Sofia mit Gaudenzio einig. So ist durch das abwechslungsreiche, komödiantische Spiel bereits nach der Ouvertüre die Grundlage für die nun folgenden Verwicklungen gelegt.
Eine Frau, die weiß was sie will: Sofia (Eleonora
Bellocci) mit Bruschino padre (Emmanuel Franco)
Gaudenzio (Giorgio Caodura) verkündet Marianna
(Camilla Carol Farias) siegesgewiss seinen Plan.
Auch die beiden großen Buffo-Partien sind wunderbar besetzt. Giorgio Caoduro hat
bereits beim Rossini Opera Festival in Pesaro 2021 als Gaudenzio mit
dunklem Bariton überzeugt. In seiner Auftrittsarie, in der er hofft, für sein
Mündel mit dem jungen Bruschino eine lukrative Partie gefunden zu haben zeigt er
sich auch in Bad Wildbad stimmlich absolut beweglich. Mit großem Spielwitz
punktet er bei der Verwirrung darüber, dass der alte Bruschino seinen
vermeintlichen Sohn nicht als diesen anerkennt. Emmanuel Franco darf schon fast
als "alter Hase" in Bad Wildbad bezeichnet werden, den man allerdings mit den
weißen Haaren und der ihm verpassten großen Leibesfülle gar nicht wiedererkennt.
Mit überbordender Komik gestaltet er den "ruppigen" Alten, der ständig die
unerträgliche Hitze beklagt oder von Rheuma geplagt wird, was ihn allerdings
nicht daran hindert, in den Kühlschrank zu klettern. Stimmlich punktet er mit
beweglichem Bariton. Die übrigen kleineren Partien sind mit Stipendiat*innen der
Akademie BelCanto gut besetzt. Camilla Carol Farias beweist als Marianna, dass
man auch ohne Arie mit großem Spielwitz eine enorme Bühnenpräsenz entwickeln
kann. Francesco Lucii gibt den ständig betrunkenen jungen Bruschino mit
herrlicher Komik. Das Philharmonische Orchester Krakau lotet unter der Leitung
von José Miguel Pérez-Sierra die Finessen der abwechslungsreichen Partitur mit
viel Feingefühl aus und rundet den Abend wunderbar ab, so dass es zu Recht
großen Beifall für alle Beteiligten gibt.
FAZIT
Die Inszenierung in Bad Wildbad zeigt, dass Rossinis Farsa durchaus ihre Meriten
hat und lässt vermuten, dass das Stück bei der Uraufführung nicht wegen
musikalischer oder szenischer Qualitäten der Vorlage durchgefallen ist.
Weitere Rezensionen zu Rossini in
Wildbad 2023 |
ProduktionsteamMusikalische LeitungJosé Miguel Pérez-Sierra Regie Regieassistenz Bühne, nach einer Idee von Anton Lukas Mitarbeit Bühnenbild Kostüme Licht
Philharmonisches Orchester Krakau
Musikalische Assistenz und Tafelklavier
Solistinnen und SolistenGaudenzio Sofia Bruschino
padre Bruschino figlio
Kriminalkommissar Florville
Filiberto
Marianna
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- Fine -