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Festival d'Aix-en-Provence 2024

Songs and fragments

Eight Songs for a mad King

Musiktheater für eine Männerstimme und Ensemble
Libretto von Randolph Stow nach Worten von Georg III.
Musik von Peter Maxwell Davies (1934-2016)



Kafka-Fragmente

Komposition für Sopran und Violine
Texte von Franz Kafka
Musik von György Kurtág


In englischer und deutscher Sprache mit französischen und englischen Übertiteln
Aufführungsdauer: 1h 30' (keine Pause)

Premiere am 6. Juli 2024, Théâtre du Jeu de Paume, Festival Aix-en-Provence


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Festival Aix en Provence
(Homepage)

Wahnsinn mit Methode

Von Joachim Lange / Fotos von Monika Rittershaus

Mit "Wahnsinn" wird im Allgemeinen der vermutete oder tatsächliche Geisteszustand eines Menschen bezeichnet. Mit dem spontanen Ausruf "Wahnsinn!" kann man aber auch etwas absolut Außergewöhnliches und Überraschendes charakterisieren. Im Falle der Festspielpremiere, die dem seit einem Vierteljahrhundert zu den Spielstätten den Festivals gehörenden Théâtre du Jeu de Paume im Herzen von Aix-en-Provence vorbehalten war, trifft beides zu.

In dem intimen Doppelabend mit dem prosaischen Titel Songs and fragments ist im ersten Teil ein Fall von Wahnsinn explizit das Thema. Es geht um jene acht Lieder For a mad King, mit denen Peter Maxwell Davis (1934-2016) einen Fall royaler Geistesverwirrung aufgriff und die 1969 in London uraufgeführt wurden. In diesen acht Lieder für einen verrückten König bezieht sich der Komponist auf die Demenz von Georg III. von England (1738-1820), den sein Sohn ab 1811 als Prinzregent auf dem Thron vertreten musste. Ein König, der seinen Vögeln ernsthaft das Singen beibringen wollte, war an der Spitze des Weltreiches nicht mehr tragbar. Den Vögeln weist der Komponist immer wieder mal eigene Instrumente zu, manche Zitate (etwa aus Händels Messias) scheinen auch hinter der Nebelwand der vertonten Wahrnehmungsverwirrung wie ein Aufblitzen durch.

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Aber nicht nur, was der deutsche Bariton Johannes Martin Kränzle hier auf die Bühne bringt, sondern vor allem auch das Wie, zu dem ihn Regisseur Barrie Kosky animiert, angetrieben oder besser, was er an Ausdrucks-Potenzial bei diesem Sängerdarsteller entfesselt hat, ist im doppelten Wortsinn der pure Wahnsinn. Dass Kosky in der Lage ist, als Regisseur jede konkrete oder auch phantastisch greifbare wiedererkennbare Bilderwelt hinter sich zu lassen und sich voll auf den singenden und gestaltenden Menschen zu konzentrierten, hatte er exemplarisch mit seiner Frankfurter Salome demonstriert. Eine Frau allein im Lichtspott, die Wucht der Musik und die Phantasie der Zuschauer - das waren damals die Ingredienzien für eine packende Inszenierung.


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Diesmal treibt er diesen Minimalismus der Form für ein Maximum an Wirkung, zusammen mit dem Raum- und Lichtgestalter Urs Schönbaum, auf die Spitze. Nackt bis auf die Unterhose steht Kränzle im Lichtspott auf der leeren, schwarz ausgeschlagenen Bühne an der Rampe. Gleich nachdem Dirigent Pierre Bleuse mit den sechs Instrumentalisten des Ensemble Intercontemporain in einem regelrechten akustischen Schreckmoment den Saal geflutet hat, übernimmt Kränzle. Er liefert sich dem Wahnsinn eines Königs aus, der in einem der Lieder trotzig von sich behauptet, er sei nicht krank, sondern nur nervös. Der Sänger und Darsteller Kränzle liefert sich dabei und dafür aber vor allem selbst den Blicken des Publikums aus. Und schlägt es vom ersten Ton an in den Bann. An einer Hand überlange Fingernägel, eine Seite des Gesichts wirkt seltsam lädiert. Ansonsten setzt Kränzle seinen Körper, seine Stimme, die Mimik ein und betreibt eine Grenzgängerei des Ausdrucks bis zum Exzess. Er dringt dabei in Regionen vor, von denen man bislang gar nicht wusste, dass man sie erreichen kann. Mit abenteuerlichen Wechseln der Tonhöhe und von der normalen (wunderbar timbrierten) Singstimme in kreischende Höhen, ins Flüstern, Schreien, Stöhnen. Am Ende des letzten Liedes "A Spanish March" traktiert König Kränzle eine Violine und zerstört sie wie ein vom Wege abgekommener Rockstar auf Speed. Und doch schafft es Kränzle vor allem Empathie für diesen Georg zu wecken.

Foto kommt später

Im zweiten, etwas ausufernden Teil des Abends machen sich Sopranistin Anna Prohaska und Violinistin Patricia Kopatschinskaja im Duett von Stimme und Instrument die Kafka-Fragmente des 1926 geborenen Moderne-Seniors György Kurtág zu eigen, die 1987 bei den Wittener Tagen für neue Kammermusik uraufgeführt wurden. Im Programm ist dem Namen von Prohaska ein Sternchen angefügt, das darauf verweist, dass auch sie Teilnehmerin der einst von Stéphan Lissner etablierten Akademie des Festivals für Nachwuchskünstler war. Diese Akademie gehörte zu der von Lissner betriebenen Neuausrichtung der Festspiele, als er diese von 1998 bis 2006 leitete.


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beziehen. Wie Zwillinge treten die beiden aus dem Dunkel hervor und dann immer wieder ins Licht. In der Zersplitterung der Gedanken, manchmal nur knappen Sentenzen, die so durchs Dunkel der Bühne wirbeln, vom Scheinwerfer erfasst werden oder den Körper der Sängerin ergreifen, auch in der purzelnden Willkür der in vier Teile gruppierten 40 Fragmente, die mehr oder weniger wörtlich, existenziell und metaphysisch mit dem Gehen zu tun haben und zwischen 20 Sekunden und sieben Minuten lang sind, liegt per se schon eine Anmutung dessen, was man sich angewöhnt hat, kafkaesk zu nennen. Natürlich bewältigt Prohaska souverän den geforderten permanenten Wechsel zwischen lyrischem und Sprechgesang, Flüstern, Schreien oder auch Lachen, Atmen und Stöhnen. Das alles bei vollem Körpereinsatz.


FAZIT

Es gab Jubel für ein für Festivals geeignetes Programm mit zwei Stücken herausfordernder Moderne, für zwei außergewöhnliche Sängerdarsteller und für einen Regisseur, der erneut bewiesen hat, dass er alles kann.






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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Pierre Bleuse

Inszenierung
Barrie Kosky

Bühne und Licht
Urs Schönebaum



Ensemble intercontemporain


Solisten

Eight Songs of a Mad King

Un homme
Johannes Martin Kränzle

Kafka-Fragmente

Une femme
Anna Prohaska

Une violoniste
Patricia Kopatchinskaja


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