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Musikfest Berlin 2024

Oslo Philharmonic
Klaus Mäkelä, Leitung

Werke von Einojuhani Rautavaara, Kaija Saariaho und Dimitri Schostakowitsch

Aufführung in der Philharmonie Berlin am 1. September 2024

 

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Über Freiheit und Unfreiheit in der Musik

Von Christoph Wurzel / Fotos: © John Halv

Es ist eine beispiellose Karriere, die Klaus Mäkelä bisher hingelegt hat. Mit erst 29 Jahren ist er bereits Chefdirigent von Orchestern zweier europäischer Hauptstädte (Oslo und Paris), designierter Chefdirigent in Amsterdam und Chicago und gefragter Gastdirigent der Berliner und der Wiener Philharmoniker. Bei Streamingdiensten klassischer Musik wird der charismatische Künstler wie ein Popstar beworben. Weit überragt er inzwischen die stattliche Riege der jüngeren Dirigenten aus Finnland an Prominenz. Sein Repertoire ist überaus breit und enthält regelmäßig auch Werke abseits des Mainstreams.

Zum zweiten Mal war er nun beim Musikfest Berlin zu Gast. Vor zwei Jahren war es eine überragende Aufführung von Mahlers Sechster Symphonie mit dem Concertgebouw Orchester, zum diesjährigen Musikfest war er mit dem Philharmonischen Orchester Oslo gekommen und brachte zwei Werke finnischer Herkunft mit sowie die 5. Sinfonie von Dimitri Schostakowitsch.

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Klaus Mäkelä dirigiert die Oslo Philharmonic beim Musikfest Berlin 2024

Die intensive Pflege der Sinfonien von Dimitri Schostakowitsch zeichnet die Oslo Philharmonic in besonderer Weise aus, seit Mariss Jansons dort zwischen 1979 und 2000 Chefdirigent war. Die Kompositionen von Einojuhani Rautavaara findet man hierzulande kaum auf den Konzertprogrammen, eher schon die von Kaija Saariaho, die seit dem fulminanten Erfolg ihrer Oper L'amour de loin im Jahre 2000 bei den Salzburger Festspielen zu den prominentesten Gegenwartskomponistinnen zählt. Noch während der Planungen für das Musikfest verstarb sie im Juni 2023, so war die Aufführung in diesem Jahr ihrem Andenken gewidmet.

Ihre Komposition Vista ist ein gemeinsames Auftragswerk gleich vierer namhafter Orchester, der Philharmoniker aus Helsinki, Oslo, Berlin und Los Angeles, dessen Uraufführung im Mai 2021 in Helsinki unter der Leitung von Susanna Mälkki stattfand, der das Werk auch gewidmet ist. Die gut zwanzigminütige Komposition ist zweigeteilt. Der eher aus fließenden Bewegungen bestehende erste Teil ist mit Horizons überschrieben und legt die Assoziation von Flächen nahe, teils aus ruhigeren, teils aus schrillen Klängen. Die Musik scheint sich suchend in die Weite zu ergießen. Saariaho erinnerte sich bei der Komposition an den freien Blick über die Landschaft von einem Aussichtspunkt aus, den sie auf einer Autofahrt auf der Panoramastrasse in Kalifornien erlebt hatte. Der zweite, sich attacca mit einem mächtigen Orchestertutti anschließende Teil Targets dagegen erscheint rhythmischer und strukturierter. Diese abstrakte Musik machte es nicht leicht, ihr beim ersten Höreindruck verstehend zu folgen, für deren Aufführung das Orchester in all ihrer sinnlichen Klanglichkeit von Klaus Mäkelä allerdings eindringlich inspiriert schien.

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Klaus Mäkelä dirigiert die Oslo Philharmonic beim Musikfest Berlin 2024

Das ungewöhnliche Konzert für Vögel und Orchester Cantus Arcticus von Einojuhani Rautavaara dagegen, mit dem das Konzert eröffnet wurde, erschien sehr konkret und erschloss sich unmittelbar. Anders als Olivier Messiaen, dem der Gesang der Vögel die musikalischen Ideen gab, imitiert und beschreibt der Komponist mit seiner Musik weniger die Stimmen der Vögel, sondern originale, vom Tonband eingespielte Vogelstimmen konzertieren mit den Orchesterstimmen im eigentlich Sinn. In drei Sätzen werden so die Stimmen der Natur und die menschlich erzeugten Klänge zu gleichberechtigten Partnern in einer Symbiose aus Natur und Kunst; musikalische Ereignisse, bei denen es sich nicht um Esoterik handelt, sondern um Musik, die den Respekt vor der Natur lehrt. Ein bemerkenswertes Zusammentreffen ist es, dass sie im selben Jahr uraufgeführt wurde, in dem der Appell des Club of Rome für die Bewahrung der natürlichen Umwelt Die Grenzen des Wachstums veröffentlicht wurde.

Im ersten Satz Sumpf weisen zu Beginn zwei Flöten in langen auf- und absteigenden Skalen auf die darauf erklingenden Vogelstimmen, die sich bald wie in einer klassischen Exposition mit dem orchestralen Gesang verbinden. Regelrecht romantische Vorstellungen werden hier evoziert. Der Komponist schrieb, beim Hören solle man "an den Herbst und an Tschaikowsky" denken. Die Oslo Philharmonic spielte diese Stimmung volltönig aus und Mäkelä dirigierte den Klang ruhig und flüssig. Der zweite Satz Melancholie beginnt mit dem Gesang der Vögel und steigert sich zu einem anschwellenden Adagio höchster Expressivität. Ziehende Schwäne stellt der abschließende Satz dar. Rufe der Tiere in den Holzbläsern mischen sich mit den Naturlauten vom Tonband, tiefe Streicher malen die trägen Flügelschläge der Tiere. Ein ganzer Schwarm von Schwänen scheint sich aufzuschwingen und verschwindet allmählich am Horizont - Celesta, Glocken, das leise Tamtam, Harfe und Geigen im Flageolett spüren ihrem Flug musikalisch nach. Anrührende Musik war das, hochsensibel empfunden und klanglich wunderschön gespielt.

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Klaus Mäkelä dirigiert die Oslo Philharmonic beim Musikfest Berlin 2024

Reine Schönheit dagegen lässt Dimitri Schostakowitsch in seiner 5. Sinfonie kaum zu, das heißt die Umstände, unter denen sie entstand, ließen sie nicht zu. Seit dem Verdikt "Chaos statt Musik", das die Prawda über seine Oper Lady Macbeth von Mzensk 1936 verhängt hatte, lebte Schostakowitsch in ständiger Furcht vor Verfolgung durch den stalinistischen Staat. Seine individuelle Freiheit im Komponieren war bedroht. In seiner 5. Sinfonie setzte er sich dialektisch damit auseinander. Er tarnte sie gleichermaßen als "klassische" Stilübung, unterlief aber zugleich deren Gehalt und zwar so subtil, dass die Zensur dies nicht bemerkte. Die Uraufführung war ein großer Erfolg, die linientreuen Kritiker verstanden sie richtig (und damit falsch) als das heroische Ringen vom Dunkel zum Licht. So wie Mäkelä sie in Berlin präsentierte, wurde deutlich: Es ist Camouflage, das Klassisch-Romantische nur Anstrich, das Dur-Finale nur scheinbar eine Apotheose. Damit hat der Dirigent den Komponisten ganz auf seiner Seite. In sichereren Zeiten des Tauwetters in der Sowjetunion bekannte Schostakowitsch später: Der Jubel sei unter Drohungen erzwungen. "So als schlage man uns mit einem Knüppel und verlange dazu: Jubeln sollt ihr, jubeln! Und der geschlagene Mensch erhebt sich, kann sich kaum auf den Beinen halten". Der Dirigent Kurt Sanderling, der Schostakowitsch persönlich nahe stand, erklärte es musikalisch: Im vermeintlichen Schlussjubel strebt die Musik immer wieder ostentativ auf das hohe A hin. Im Russischen wird der Buchstabe "ya" ausgesprochen - und das bedeutet "Ich".

Alle vier Sätze waren in Mäkeläs Lesart angeschärft, prononciert und kompromisslos im Klang. Die Musik sprach aus, was Schostakowitsch in Worten nicht sagen konnte: brutale Härte besonders im ersten Satz, an Mahler geschulte Ironie im lärmenden Scherzo, eine grüblerische Melancholie im Largo und die alles zertrampelnde Gewalt im letzen Satz, der in diesem (un-)missverständlichen Finale endet, das scheinbar die Unterwerfung des Komponisten unter die kulturpolitische Parteilinie darstellen soll, aber eben doch Selbstbehauptung bedeutet. Schier atemberaubend und bezwingend gestaltete Mäkelä diese Aussage über die ganze Sinfonie hinweg, die er auswendig dirigierte und so in engster Kommunikation mit dem Orchester umso intensiver ausgestalten konnte.

Der Jubel war überwältigend. Klaus Mäkelä hatte seine überragende Qualität und seine Stellung als Shooting Star unter den jungen Dirigenten eindrucksvoll bewiesen.



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Das Programm

Einojuhani Rautavaara
Cantus arcticus op. 61 (1972)

In memoriam
Kaija Saariaho
Vista für Orchester (2019)

Dimitri Schostakowitsch
Sinfonie Nr. 5 f-Moll op. 47
(1937)

 


 
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