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Musikfestspiele
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Pfingstfestspiele Baden-Baden 2024

SWR Symphonieorchester
Leitung: Teodor Currentzis
Klavier: Kirill Gerstein


Musik von Dimitri Schostakowitsch und Igor Strawinsky

Aufführung im Festspielhaus Baden-Baden am 25. Mai 2024

 

(Homepage)

 

 

Goldstandard

Von Christoph Wurzel / Fotos: © Patricia Neligan und Andrea Kremper

Die Ära Currentzis beim SWR Symphonieorchester neigt sich dem Ende entgegen. Seit 2018 ist Teodor Currentzis Chef dieses Orchesters, das zu den bedeutendsten unter den Rundfunkorchestern in Deutschland gehört. Nach einer heftig umstrittenen Entscheidung des damaligen Intendanten war es 2016 aus der Fusion der beiden Orchester des Südwestrundfunks in Stuttgart und Baden-Baden / Freiburg hervorgegangen. Es folgte ein für viele schmerzlicher Prozess des Zusammenwachsens beider Klangkörper, die jeweils eine langjährige und recht unterschiedliche individuelle Tradition vorzuweisen hatten. Namhafte Dirigenten hatten sie geprägt, entscheidend zuletzt Roger Norrington in Stuttgart und Michael Gielen und Sylvain Cambreling in Baden-Baden und Freiburg.

Bereits Currentzis' künstlerischer Einstand mit Gustav Mahlers 3. Symphonie zu Beginn der Konzertsaison 2018 klang buchstäblich verheißungsvoll. Er hatte sich dem Kernrepertoire zumindest des einen Teils des Orchesters gestellt, das unter Michael Gielen in der Mahler- Interpretation Maßstäbe gesetzt hatte, und Currentzis hatte nicht nur diesen Standard erfüllt, sondern auch eigene Akzente gesetzt. (siehe unsere Rezension). Musik von Gustav Mahler hat Currentzis auch in der Folgezeit immer wieder in seine Programme genommen, stets konnten die Interpretationen überzeugen. Vor allem aber hat er auch des Repertoire erweitert und etwa zentrale Werke der russischen klassischen Moderne aufgeführt. Auch standen immer wieder Uraufführungen auf den Programmen, die oftmals weg vom Mainstream des üblichen Konzertbetriebs führten.

Nach dem Anfriffskrieg Russlands auf die Ukraine vor gut zwei Jahren geriet Currentzis als in Russland lebender Künstler ins Fadenkreuz der Kritik, da sein dortiges Orchester MusicaEterna von staatlichen Fördermitteln abhängt. Anders aber als Valery Gergiev oder Anna Netrebko hat sich Currentzis niemals pro Putin geäußert, allerdings auch nicht gegen ihn. Diese ausgebliebene eindeutige Positionierung reichte einigen Konzertveranstaltern, von Currentzis abzurücken, so wie jüngst die Wiener Festwochen. Andere hielten an ihm fest, wie die Salzburger Festspiele und auch der SWR. Mit dem Ende der laufenden Spielzeit gibt Teodor Currentzis sein Amt als Chefdirigent des SWR Symphonieorchesters ab.

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Das SWR Symphonieorchester und Teodor Currentzis (© Patricia Neligan)

Mag Currentzis aus persönlichen Gründen sich auch explizit nicht zum Völkerrechtsbruch Putins geäußert haben, aus seinen Programmen ließe sich gleichwohl ein Statement hinsichtlich der Gedanken von Humanität und Frieden ableiten. Im vergangenen Jahr führte er mit dem SWR Symphonieorchester von Schostakowitsch die 13. Symphonie "Baby Yar" auf, das Memorial des Komponisten an die 1941 von Einsatztruppen der deutschen Wehrmacht ermordeten ukrainischen Juden. Das letzte Projekt von Currentzis mit dem SWR Symphonieorchester wird in Kürze Benjamin Brittens War Requiem sein. Auch diese Entscheidung dürfte für sich sprechen.

Anlässlich der Pfingsfestspiele standen jetzt zwei Werke auf dem Programm, die ebenfalls auf Currentzis' persönliche Wahl hindeuten, das 2. Klavierkonzert von Schostakowitsch und Igor Strawinskys Le Sacre du Printemps - zwei herausfordernde Stücke für Dirigent und Orchester gleichermaßen.

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Kirill Gerstein mit dem SWR Symphonieorchester (© Andrea Kremper)

Sein 2. Klavierkonzert schrieb Schostakowitsch für seinen Sohn Maxim, der es an seinem 19. Geburtstag 1957 in Moskau aufführte. In diesem Werk für seinen jugendlichen Sohn scheint der Komponist an seine eigenen Jugendwerke mit ihrem voranstürmenden Drive und dem pointierten Rhythmus anzuknüpfen, die in der frühsowjetischen Zeit entstanden, als Avantgardekunst noch möglich war. Nach Stalins Tod konnte Schostakowitsch wieder aufatmen, der kulturpolitisch doktrinäre Druck auf ihn war weitgehend gewichen. So atmet dieses Konzert wieder freier und frischer. Versteckte Anspielungen oder Sarkasmus fehlen. Entsprechend flott gab Currentzis das Tempo in der kurzen Orchestereinleitung vor. In der Eröffung durch das Fagott schien für einen Moment Humor aufzublitzen. In markantem Staccato führte sich Kirill Gerstein am Flügel ein und der Satz stürmte unter schmetternden Marschtrompeten und pfeifemden Holzbläsern in fast atemlosem Tempo voran. Diesen Schwung behielt Gerstein mit virtuoser Präzision auch in der kurzen Kadenz. Ein scharfer Kontrast dazu dann das Andante, das Kirill Gerstein in schönstem Legato zu einer lyrischen Meditation werden ließ. Attacca ging's wieder in rasendem Allegro und wilder Jagd über die Tasten bis zur fulminanten Stretta, mit der das Konzert in einem Schlusseffekt abrupt endet. Vielleicht etwas ironisch gab Gerstein Rachmaninows Melodie als Zugabe, denn der kritische Realist Schostakowitsch schätze den träumenden Spätromantiker nicht.

Und dann Le Sacre, 1913 eine Riesenprovokation, heute immer noch ein Werk, das Staunen macht. Jeden Moment zogen Orchester und Dirigent ihr Publikum in Bann, gut dreißig Minuten Spannung zum Zerreißen. Die Musikerinnen und Musiker quasi auf der Stuhlkante, der Dirigent in vollem Körpereinsatz. Die Präzision war fulminant. Currrentzis beherrschte den Riesenapparat exzellent: das Holz jeweils fünffach, acht Hörner, zehn Kontrabässe und ein umfangreiches Schlagwerk - an solistischen Stellen ausdrucksstark, im Tutti gestaffelt und transparent. Was sicher nur nach harter Probenarbeit möglich war, kam doch wie selbstverständlich über die Bühne. Grandios, Goldstandard! Und der Jubel war mehr als berechtigt.

Das Programm

Dimitri Schostakowitsch
Klavierkonzert Nr. 2 F-Dur, op. 102

Igor Strawinsky
Le Sacre du Printemps
Bilder aus dem heidnischen Russland

SWR Symphonieorchester
Leitung: Teodor Currentzis

Kirill Gerstein, Klavier


Weitere
Informationen

erhalten Sie unter
Festspielhaus Baden-Baden
(Homepage)



Da capo al Fine

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