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Der (Alp-)Traum des H.Von Thomas Molke, Fotos: © Bayreuther Festspiele / Enrico NawrathDie Holländer-Inszenierung von Dmitri Tcherniakov steht in diesem Jahr offiziell zum letzten Mal auf dem Programm der Bayreuther Festspiele. Nur im Jubiläumsjahr 2026, wenn alle 10 von Wagner für festspieltauglich gehaltenen Werke nebst der ersten Inszenierung des Rienzi auf dem Hügel zu erleben sein werden, kehrt die Produktion noch einmal zurück. Ob man traurig sein soll, in diesem Jahr Abschied von Tcherniakovs Lesart zu nehmen, mag unterschiedlich beurteilt werden. Musikalisch hat die Produktion auch im vierten Jahr ihre Meriten. Ob die Handlung szenisch viel mit Wagners romantischer Oper zu tun hat, ist fraglich. Das beginnt schon mit einem inszenierten Vorspiel, was, wie man am gleichen Ort in Tobias Kratzers Tannhäuser-Inszenierung erlebt, wunderbar aufgehen kann. Bei Tcherniakov tut es das aber leider nicht, und daran ist sicherlich nicht die pittoresk entworfene Bühne schuld, für die der Regisseur selbst verantwortlich zeichnet und die eine verschiebbare Häuserkulisse zeigt, die vielleicht in einer Hafenstadt liegen mag. Immerhin sollte die Geschichte ja schon irgendwie am Meer spielen, was zumindest der gesungene Text suggeriert. Tcherniakov deutet das Vorspiel als immer wiederkehrenden Traum des als H. bezeichneten Protagonisten, der sich als Alptraum entpuppt. Eine Frau in einem grünen Kostüm tritt mit einem kleinen Jungen auf und schickt ihn in eine Seitenstraße, während sie sich leidenschaftlich mit Daland vergnügt. Ob dieses Bild zur romantischen Sequenz des Vorspiels passt, ist Geschmacksache. Der Junge kehrt zurück und überrascht seine Mutter, was wohl als Zeichen für Daland gedeutet werden kann, dass ein Verhältnis mit einer Frau mit Kind Probleme mit sich bringt. Deswegen hat er die Beziehung in der nächsten Sequenz wohl beendet. H. ist nun ein durch die Straßen mäandernder Teenager, während seine Mutter verzweifelt versucht, den ehemaligen Geliebten abzupassen. Dann wird sie noch von der Dorfgemeinde regelrecht an den Pranger gestellt, so dass sie keinen anderen Ausweg sieht, als sich zu erhängen. Traumatisiert muss der Junge seine Mutter sehen, wie sie an einem Strick über die Bühne baumelt. Das wird als Motivation dafür gesehen, wieso H. nach vielen Jahren in die Kleinstadt zurückkehrt, um Rache zu nehmen. "Kennen wir uns irgendwoher?" Daland (Georg Zeppenfeld, Mitte) trifft mit dem Steuermann (Matthew Newlin, links) den Holländer (Michael Volle, rechts) in der Kneipe. Aber diese Rache findet in Tcherniakovs Inszenierung nicht statt. Zwar sieht man den erwachsenen H. zu Beginn des ersten Aufzugs in Gedanken versunken unter dem Fenster an der Stelle stehen, an der sich seine Mutter einst das Leben genommen hat. Auch Daland beobachtet ihn irritiert mit Blicken, die sich scheinbar die Frage stellen, ob er diesen Mann nicht irgendwoher kennt. Das ist aber auch schon alles, was in Beziehung zu der Anfangssequenz steht. Stattdessen lädt der Holländer die Seeleute, die sich nicht auf hoher See in Sehnsucht nach der Rückkehr in die heimatlichen Gestade befinden, sondern in Bierseligkeit in einer Kneipe den Weg vielleicht nicht mehr nach Hause finden, zu einer weiteren Lokalrunde ein. Die dramatische Schilderung des Holländers verkommt dabei eigentlich zu einer Farce. Auch dass Daland am Tresen für eine weitere Freibierrunde seine Tochter an den unbekannten Fremden verschachert, unterstreicht zwar erneut den negativen Charakter der Figur, mehr aber auch nicht. Nicht immer eine Meinung: Senta (Elisabeth Teige, rechts) und ihre "Mutter" Mary (Nadine Weissmann, links) Eine "Aufwertung" erfährt in Tcherniakovs Inszenierung die Figur der Mary, die hier Dalands Ehefrau und Sentas Mutter ist. Wahrscheinlich weiß sie von der im Vorspiel stattgefundenen Affäre ihres Mannes und lehnt es deshalb ab, die von Senta heiß ersehnte Ballade des Holländers zu singen. Ihrer Meinung nach sind es die Männer nicht wert, dass man sich für sie aufopfert und ihnen Treue bis in den Tod verspricht, da sie sie selbst auch nicht halten können. Stattdessen möchte sie lieber die Frauen des Dorfes ein unverbindliches Lied singen lassen. Gesponnen wird in der aktuellen Inszenierung natürlich nicht. Stattdessen treffen sich die Damen zu einer Art Chorprobe vor den Häusern. Diese Probe wird von Senta als rebellischer junger Frau ein wenig torpediert, und so trägt sie kurzerhand die Ballade selbst vor. Ob diese Haltung, die sie hier vertritt, zu einer selbstbewussten jungen Frau passt, darf aber ebenfalls hinterfragt werden. Allein ist Senta im zweiten Aufzug mit dem Holländer dann nicht. Stattdessen findet das intensive Gespräch in einer Art Wintergarten beim Essen statt, während Daland und Mary Suppe schlürfend der ganzen Szene beiwohnen. Hier geht es ein wenig unter, wie sehr Mary die ganze Situation missfällt. Am Schluss setzt sie jedenfalls dem ganzen Spuk ein Ende. Wenn der Holländer im dritten Aufzug Senta der Untreue beschuldigt und einen regelrechten Feuerzauber auslöst, bei dem sich die Fenster der Häuser durch loderndes Feuer in eine Art Tor zur Unterwelt verwandeln, tritt Mary mit einem Gewehr auf und knallt den Holländer kurzerhand ab. Mit der in der Musik erklingenden Erlösung hat das nichts zu tun. Erik (Eric Cutler) setzt Senta (Elisabeth Teige) unter Druck. Dass die Produktion dennoch frenetisch gefeiert wird, dürfte an der hervorragenden Besetzung liegen, die keine Wünsche offen lässt. Da ist zunächst Michael Volle in der Titelpartie zu nennen, der diese Rolle nun im zweiten Jahr übernimmt. Mit wunderbarer Diktion und kraftvollem Bariton begeistert er auf ganzer Linie. Die Krücke, die er ab dem zweiten Aufzug mit sich trägt, ist kein Regie-Einfall Tcherniakovs sondern der Tatsache geschuldet, dass Volle sich bei einer anderen Aufführung verletzt hat. Doch auch diese Einschränkung baut Volle szenisch überzeugend in die Produktion mit ein und stirbt am Ende nach dem Schuss sehr bühnenwirksam. Georg Zeppenfeld hat über den Zeitraum von vier Jahren die Partie des Daland in der Produktion interpretiert und glänzt mit tadellosem Bass, der in der Deutlichkeit kaum zu übertreffen ist. Auch szenisch setzt er die Rolle überzeugend um. Das muss man selbst dann anerkennen, wenn man das Konzept Tcherniakovs nicht mag. Eric Cutler kehrt in diesem Jahr als Erik in die Produktion zurück und gestaltet die Partie mit starkem Heldentenor, der Senta ganz schön unter Druck setzt. Die Dorfgemeinschaft (Chor hinten) fordert den Holländer (Michael Volle, vorne rechts) und seine Männer (Chor in der Mitte) heraus. Mit Elisabeth Teige und Nadine Weissmann trifft man ebenfalls auf "alte Bekannte" in der Produktion. Teige punktet als Senta mit vollem dramatischem Sopran. Nur die Textverständlichkeit lässt in den kraftvollen Höhen ein wenig zu wünschen übrig. Weissmann stattet die Partie der Mary, die in dieser Produktion Sentas Mutter ist, mit sattem Mezzosopran aus und macht szenisch deutlich, wie wenig sie den Holländer mag, so dass irgendwie nachvollziehbar wird, wieso sie dem Spuk schließlich mit dem Schuss ein Ende bereitet. Als Steuermann debütiert Matthew Newlin mit geschmeidigem, in den Höhen sehr sicheren Tenor. Auch der von Eberhard Friedrich einstudierte Festspielchor leistet Gewaltiges. Zwar mag man die Polonaise beim berühmten "Steuermann"-Chor szenisch ein bisschen albern finden, aber musikalisch geht das Stück vor allem im Dialog mit dem anschließenden Chor der Holländer-Mannschaft in der Interpretation der Sängerinnen und Sänger unter die Haut. Oksana Lyniv trägt mit dem Festspielorchester aus dem Graben ebenfalls erneut dazu bei, dass diese Produktion musikalisch umjubelt wird.
Manchmal wünscht man sich, dass ein Regie-Team doch ein bisschen mehr der zu inszenierenden Vorlage vertraut und nicht wieder nach einer Neudeutung sucht, die - mal wieder - nicht aufgeht.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Regie und Bühne
Kostüme
Licht
Chorleitung
Dramaturgie
Festspielchor Solistinnen und Solisten
Daland
Senta
Erik
Mary
Der Steuermann
Der Holländer
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- Fine -