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Bayreuther Festspiele 2024

Tristan und Isolde

Handlung in drei Aufzügen
Text und Musik von Richard Wagner


in deutscher Sprache

Premiere im Festspielhaus Bayreuth am 25. Juli 2024

Aufführungsdauer: ca. 6h 10' (zwei Pausen)


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Bayreuther Festspiele
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Rumpelkammer des Unbewussten

Von Stefan Schmöe, Fotos: © Bayreuther Festspiele / Enrico Nawrath


Eine Augenblickssache? Als Isolde in dem schwer verwundeten Fremden den Mörder ihres Verlobten Morold erkennt, will sie ihn töten - aber es kommt bekanntlich anders: "Er sah mir in die Augen". Da ließ sie das Schwert wieder fallen. Das hat sich bereits vor dem Einsetzen der Opernhandlung abgespielt, als Tristan, am Gift von Morolds Schwert siechend, zielstrebig bei Isolde Rettung gesucht hat. Für das Regieteam um Thorleifur Örn Arnarsson und für den Dirigenten Semyon Bychkov bildet dieser Blick, von dem Isolde im ersten Aufzug ihrer Begleiterin Brangäne berichtet, den alles entscheidenden Auslöser für Wagners "Handlung in drei Aufzügen". Aber was wird eigentlich ausgelöst? Liebe? Ein in diesem Kontext höchst komplizierter Begriff. Vielleicht (darauf zielt die Regie offenbar ab) die Vorstellung, in seiner eigentlichen Wesensart verstanden zu werden und sich gleichzeitig hingeben und damit ausliefern zu wollen. Sigmund Freud hat das später in der Kombination von Eros und Thanatos dargestellt.

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Schiffspassage zu König Marke im ersten Aufzug: Isolde mit einem Kleid, das erst einmal angemessenen Abstand gebietet. Links schaut Brangäne zu, im Hintergrund Tristan und Kurwenal.

Dieser Kipppunkt, auch wenn er in der Vergangenheit liegt, müsste freilich stärker inszeniert sein, er müsste an dieser Stelle von Isoldes Erzählung auf der Bühne greifbar werden und nicht nur im Programmheft oder in Einführungsvorträgen. Für Isoldes Zustand im ersten Aufzug, von Brautwerber Tristan zur Hochzeit mit König Marke verschifft, haben Bühnenbildner Vytautas Narbutas und Kostümbildnerin Sibylle Wallum eine ausdrucksstarke Form gefunden: Isolde trägt ein riesiges weißes Kleid, das sie wie eine Insel umgibt, das sie aber abwirft und wie ein verletzter Vogel - oder ein Engel mit gebrochenen Flügeln - dasteht. Das Kleid ist mit Wörtern übersät, als wolle sie ihr Leben hineinschreiben. Tristan legt nur ein Stück seines panzerartigen dunkelroten Anzugs ab, er öffnet sich weniger. Einen Liebestrank brauchen sie nicht, um sich nahe zu kommen, und bleiben einander doch so fern. Im zweiten Aufzug reden sie aneinander vorbei, die hehren Entwürfe passen nicht zueinander. Irgendwann gibt Isolde ihrem unter dem Einfluss Schopenhauers dozierenden Gegenüber eine schallende Ohrfeige. Eine merkwürdige Szene, denn die unpassende Geste gehört zum Vokabular des bürgerlichen Schwanks und wirkt in ihrer Banalität fehl am Platze. Hinzu kommt die bescheidene Textverständlichkeit bei fehlenden Übertiteln, zu denen sich die Festspiele nach wie vor nicht durchringen mögen (die aber hier, soweit man das Libretto nicht nahezu auswendig beherrscht, außerordentlich sinnvoll wären). Was genau mag Isolde so entzürnt haben, dass sie zu derart handgreiflichen Mitteln übergeht?


Vergrößerung in neuem Fenster Zunehmende Annäherung: Tristan und Isolde im ersten Aufzug.

Tristan und Isolde bleiben monadisch isoliert. Das spiegelt sich auch indirekt im Gesang. Andreas Schager imponiert als Tristan einmal mehr mit einer Riesenstimme, bei der heldentenoraler Glanz von baritonaler Samtigkeit leicht grundiert wird, die nicht allzu schwer, aber keineswegs zu leicht klingt, beweglich bleibt, über ein mehr als akzeptables Piano verfügt, vor allem aber über schier unendliche Kraftreserven. Und die, sobald Schager ihr freien Lauf lässt, eben sehr laut wird. Camilla Nylund ist im Gegensatz dazu eine vergleichsweise lyrische Isolde ohne die hochdramatische Heroinenaura. Sie verfügt über ein betörendes Piano und Pianissimo (so mild und leise und doch intensiv gesungen hört man den Beginn des "Liebestods" ganz selten), das sie bruchlos und immer klangschön bis an die großen dramatischen Ausbrüche führt, die kontrolliert und klar fokussiert bleiben. Wenn sie aber mit Tristan die Nacht der Liebe besingt, dann ist Andreas Schager einfach deutlich lauter. Die Stimmen verschmelzen nicht, sie singen aneinander vorbei.

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Man muss schon genau hinschauen, um Tristan und Isolde in der herabgesunkenen Nacht der Liebe des zweiten Aufzugs wiederzufinden.

Wenn auch auf den Liebestrank verzichtet wird, ein Todestrank muss her: Den nimmt am Ende des zweiten Aufzug Tristan ein (Rivale Melot macht keinerlei Anstalten, Tristan zu töten), und Isolde im dritten. Allein aus Liebe stirbt es sich eben doch nicht. Der Selbstfindungsprozess, den beide durchlaufen, führt sie im zweiten und dritten Aufzug in tiefere Gefilde des Schiffes aus dem ersten Aufzug, wo sich bereits eine Bruchstelle auf dem Deck abzeichnete. Im Inneren befindet sich allerlei Gerümpel; Kunstwerke vergangener Zeiten, aber auch Getrieberäder und Rohrleitungen: Offenbar sind wir im Maschinenraum des individuellen wie des kulturellen Unterbewussten angekommen. Es bleibt allerdings unklar, ob die Ausstattung, auf den nüchternen Bühnenboden mehr gestapelt als arrangiert, bewusst antiillusionistisch gehalten ist oder das Regieteam schlicht die große Bühne nicht richtig in den Griff bekommt. Jedenfalls wird die Angelegenheit zunehmend unübersichtlich und nicht mehr allzu poetisch. Auch die Beleuchtung mit dem typisch gelben Natriumlicht, das früher gern für Straßenbeleuchtungen verwendet wurde, gibt sich wenig romantisch. Und zwischen all' dem Plunder auf der Bühne geht das Personal zunehmend verloren, zumal die Personenregie konventionell und wenig ausgefeilt bleibt. Die Nebenfiguren werden in diesem Kontext, der fast alle äußere Handlung tilgt, zu Stichwortgebern degradiert. Das trifft am stärksten den König Marke, den Günther Groissböck fast liedhaft sonor anlegt und damit einen Gegensatz bildet zum kraftprotzend heldenbaritonalen Kurwenal von Olafur Sigurdson und der hochdramatischen (und an Furor der Isolde überlegenen) Christa Mayer als Brangäne. Matthew Newlin steuert einen sehr schönen, melancholisch-lyrischen jungen Seemann bei.


Vergrößerung in neuem Fenster Und auch hier ist es nicht leicht, das Liebespaar (vorne etwas links von der Mitte) am Ende des dritten Aufzugs zwischen Versatzstücken der Erinnerung zu entdecken.

Dirigent Semyon Bychkov sucht einen lyrisch strömenden Zugang mit immer wieder sehr langsamen Tempi, wobei dem Orchester keineswegs die Begleitung, sondern die eigentliche Erzählung übertragen ist. Die Musik richtet sich nicht nach dem Text, sondern bildet den entscheidenden Strom des Unterbewussten. Gerade Übergänge, die oft zu Bruchstellen werden, gelingen Bychkov sehr schön. Wagners "unendliche Melodie" reißt nie ab und füllt die Leerstellen der Inszenierung, was nicht das Schlechteste ist. Es fehlt nicht an Energie in den dramatischen Passagen, und die Sänger werden vom Orchester sanft getragen. Der Farbreichtum des auf bayreuthtypisch hohem Niveau spielenden Festspielorchesters hat man bei anderen Dirigenten noch stärker ausgeprägt erlebt. Aber alles in allem gelingt eine musikalisch großformatige Interpretation, an der das Premierenpublikum deutlich mehr Gefallen fand als an der mit einigen Unmutsbekundungen bedachten Regie.


FAZIT

Arnarssons psychologisierende, auf erzählerische Momente weitgehend verzichtende Regie verliert sich nach überzeugendem Beginn zunehmend in optisch unübersichtlicher Kleinteiligkeit. Musikalisch auf sehr gutem Niveau.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Semyon Bychkov

Inszenierung
Thorleifur Örn Arnarsson

Bühne
Vytautas Narbutas

Kostüme
Sibylle Wallum

Licht
Sascha Zauner

Chor
Eberhard Friedrich

Dramaturgie
Andri Hardmeier

Statisterie, Chor und Orchester
der Bayreuther Festspiele


Solisten

Tristan
Andreas Schager

Marke
Günther Groissböck

Isolde
Camilla Nylund

Kurwenal
Olafur Sigurdarson

Melot
Birger Radde

Brangäne
Christa Mayer

Ein Hirt
Daniel Jenz

Ein Steuermann
Lawson Anderson

Ein junger Seemann
Matthew Newlin


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