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Klangvokal 2024/2025
Musikfestival Dortmund

La Bellezza ravveduta nel trionfo del Tempo e del Disinganno
(Die Schönheit bereute im Triumph der Zeit und der Erkenntnis)


Oratorium in zwei Teilen (Rom 1707)
Libretto von Kardinal Benedetto Pamphilj
Musik von Georg Friedrich Händel

in italienischer Sprache

Aufführungsdauer: ca. 2 h 45' (eine Pause)

Aufführung im Reinoldihaus in Dortmund am 12. März 2025, 19.30 Uhr

 

 

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Spiel mit dem Spiegel

Von Thomas Molke / Fotos: © Céline-Christine Spitzner / Fiona Bischof

Als Georg Friedrich Händel im Frühjahr 1706 nach Italien aufbrach, hatte er bereits in Hamburg Erfolge als Opernkomponist gefeiert, die er im "Geburtsland der Oper" vertiefen wollte. Die Voraussetzungen dafür waren aber zunächst nicht allzu günstig, da in Rom seit 1697 eine päpstliche Anordnung existierte, die Opernaufführungen untersagte. Aber selbst unter den Kirchenmännern gab es einige, die nach Wegen suchten, dieses Verbot zu umgehen. Zu diesen gehörte unter anderem Kardinal Benedetto Pamphilj, der dem jungen Händel sehr zugetan war und ihm 1707 einen Text zur Vertonung eines Oratoriums vorlegte, das von Petrarcas Trionfi inspiriert war, einem Werk, in dem die Fragen der Ewigkeit erörtert wurden. Der Theatermensch Händel erkannte sofort, wie viel Opernpotenzial in dem Stoff steckte, und so verwundert es nicht, dass in den vergangenen Jahren Händels erstes Oratorium auch häufig szenisch auf der Bühne zu erleben war. Erinnert sei hier an eine bemerkenswerte Inszenierung von Kobie van Rensburg am Landestheater Niederbayern in der Spielzeit 2009/2010 unter Einsatz der Blue-Screen-Technik, an eine recht moderne Deutung und Übertragung der Geschichte auf die Gegenwart in der Spielzeit 2018/2019 am Theater Aachen, an die Hauptproduktion bei den Pfingstfestspielen in Salzburg 2021 mit Cecilia Bartoli in einer ihrer Paraderollen als Piacere sowie an eine kammerspielartige szenische Umsetzung im Nationaltheater Mannheim in der Spielzeit 2021/2022. Auch die Aufführung, die jetzt im Rahmen der Konzertsaison des Klangvokal Musikfestivals im Reinoldihaus Dortmund unter der musikalischen Leitung von René Jacobs zu erleben ist, enthält szenische Elemente.

Jacobs ist sogar der Meinung, Händels Partitur sei noch brillanter als die Opern des Barockmeisters. Immerhin hat Händel sich später in London noch zweimal mit diesem Frühwerk beschäftigt und es für London komplett überarbeitet. 1737 kam im Covent Garden Theatre eine um einen Chor erweiterte Fassung unter dem Titel Il trionfo del Tempo e della Verità heraus, die Händel 1757 zu der englischsprachigen Version The Triumph of Time and Truth umarbeitete. In diesen späteren Fassungen fehlte unter anderem die wohl bekannteste Arie aus dem Oratorium, "Lascia la spina", weil das Londoner Publikum diese bereits unter einem anderen Titel, "Lascia ch'io pianga", aus Händels erster Oper für London, Rinaldo, in bester Erinnerung hatte. Dabei war die Melodie eigentlich schon im Oratorium nicht neu. Händel hatte sie zumindest instrumental als Sarabande in seiner allerersten Oper Almira in Hamburg verwendet.

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Piacere (Kateryna Kasper, vorne rechts), Disinganno (Paul Figuier, hinten rechts) und Tempo (Thomas Walker, hinten links) kämpfen um Bellezza (Sunhae Im, vorne links). (© Céline-Christine Spitzner)

Behandelt wird in dem Stück ein dramaturgisch an eine Oper erinnernder Konflikt zwischen vier allegorischen Figuren. Bellezza (die Schönheit) lässt sich aus Angst vor der eigenen Vergänglichkeit mit Piacere (dem Vergnügen) ein. Als Gegenspieler von Piacere treten Tempo (die Zeit) und Disinganno auf. Für letztere Figur lässt sich schwer eine passende Übersetzung finden. Im Wörterbuch findet man die Bedeutungen "Ernüchterung" und "Enttäuschung", die die metaphorische Figur jedoch nur bedingt beschreiben. Auch der im Programmheft gewählte Begriff "Erkenntnis" trifft nicht ganz zu. "Disinganno" ist die Verneinung des Wortes "inganno", was Täuschung bedeutet. Gemeint ist damit die Täuschung, der Bellezza durch Piacere erliegt. Disinganno bedeutet dann eigentlich, dass dieses Trugbild der Täuschung aufgelöst wird und Bellezza auf den rechten Pfad der Tugend gelangt, was wiederum eine gewisse Erkenntnis voraussetzt, weshalb wohl diese Übersetzungsvariante gewählt worden ist.

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Disinganno (Paul Figuier, 2. von rechts hinten) versucht Bellezza (Sunhae Im, vorne links) und Piacere (Kateryna Kasper, 2. von links) zu trennen (hinten rechts: Thomas Walker als Tempo). (© Fiona Bischof)

Musikalisch findet der im Titel genannte Triumph von Tempo und Disinganno gar nicht statt. Die beiden kommen am Ende nicht noch einmal zu Wort, nachdem sich Piacere mit einer fulminanten Rachearie von Bellezza losgesagt hat. Stattdessen gehört das Finale allein der bekehrten Bellezza. Vielleicht wählt man deshalb auch im Programmheft den wesentlich umfangreicheren Titel La Bellezza ravveduta nel trionfo del Tempo e del Disinganno (Die Schönheit bereute im Triumph der Zeit und der Erkenntnis). Auch Jacobs lässt in der Aufführung Bellezza und Piacere dominieren, indem sie auf der Bühne vor dem B'Rock Orchestra positioniert sind, während Tempo und Disinganno aus dem Hintergrund agieren und nur in einzelnen Szenen zu den beiden anderen Figuren vor das Orchester treten. Auch die Kostüme unterstreichen den szenischen Ansatz. Im ersten Teil tritt Bellezza in einem dunkel gehaltenen Kleid mit Blumenmuster auf, während Piacere durch helle Farben auf Bellezza äußerst verlockend wirkt. Nachdem am Ende des ersten Teils bei Bellezza erste Zweifel aufgekommen sind, erscheint sie im zweiten Teil in reinem, geläuterten Weiß, während Piacere nun in Schwarz auftritt. Diese Symbolik wird auch in einem Spiegel übernommen, der zunächst eine schwarze Umrandung hat. Erst Disinganno bringt im zweiten Teil die wahre Erkenntnis mit einem weißen Spiegel. So begeistern die vier Solistinnen und Solisten trotz Textbuch in der Hand mit eindrucksvoller szenischer Umsetzung der Geschichte.

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Schlussapplaus: vorne in der Mitte von links: Kateryna Kasper (Piacere), René Jacobs und Sunhae Im (Bellezza), hinten in der Mitte von links: Paul Figuier (Disinganno), Clemens Flick (Orgel) und Thomas Walker (Tempo) mit dem B'Rock Orchestra (© Fiona Bischof)

Mit dem B'Rock Orchestra arbeitet Jacobs eindrucksvoll heraus, dass Händel für Piacere und Bellezza die wesentlich faszinierendere Musik komponiert hat, so dass man als Publikum eigentlich auch lieber Piacere folgen würde als Tempo und Disinganno. Mit der Sopranistin Sunhae Im und der Mezzosopranistin Kateryna Kasper hat man für die Aufführung auch zwei großartige Interpretinnen gefunden. Mit schillerndem Sopran und zart angesetzten Höhen unterstreicht Im den zunächst wankelmütigen Charatker Bellezzas. Schon in ihrer Auftrittsarie "Fido specchio", in der sie sich selbstverliebt im Spiegel betrachtet, begeistert Im mit sauber angesetzten Spitzentönen. Ein weiterer musikalischer Höhepunkt ist ihre Arie "Io sperai trovar nel vero", in der sie in atemberaubenden Koloraturen in einen Dialog mit der Solo-Oboe tritt und dabei ihren inneren Kampf zwischen Reue und Vergnügen intensiv auslotet. Am Ende begeistert sie mit nahezu transzendenten Höhen als geläuterte Bellezza.

Kateryna Kasper verfügt als Piacere über einen vollen und warmen Mezzosopran, der es mit seinem lieblichen Klang versteht, den Zuhörer einzuwickeln. Ein Höhepunkt ist natürlich die großartige Arie "Lascia la spina", die Kasper mit sehr weicher, melancholischer Stimmführung ansetzt. Hier merkt man, dass Piacere schon nahezu besiegt ist und sich quasi ein letztes Mal dagegen aufbäumt, Bellezza zu verlieren. Während sie im ersten Teil mit atemberaubenden Koloraturen zu verführen versucht, zeigt sie im zweiten Teil, dass Piacere keine gute Verliererin ist. Fulminant gestaltet sie die große Drohung in der Arie "Tu giurasti di mai non lasciarmi", in der sie mit halsbrecherischen Koloraturen Bellezza der Treulosigkeit beschuldigt. Grandios gestaltet sie auch Piaceres Abgang am Ende und reißt das Publikum mit atemberaubenden Läufen regelrecht von den Sitzen. Bewegend gelingt Kasper und Im das Duett im ersten Teil des Oratoriums, wenn Bellezza und Piacere noch unzertrennlich sind und einer Instrumentalsonate lauschen.

Paul Figuier stattet die Partie des Disinganno mit weichem Countertenor aus, der anders als bei der Tenorpartie des Tempo im Klang Piacere sehr nahekommt, was hervorhebt, dass es schließlich Disinganno ist, der Bellezza auf den "richtigen" Weg führen kann. Thomas Walker punktet als Tempo mit weichem Tenor, der im Vergleich zu den hohen Stimmen recht nüchtern klingt. Im Ohr bleibt seine Gleichnisarie, in der er den dummen Steuermann tadelt, der den Kurs nicht ändern will, obwohl er den verräterischen Wind erkennt. Das B'Rock Orchestra erweist sich unter der Leitung von Jacobs nicht nur als kongenialer Begleiter, sondern lotet die farbenreiche Partitur differenziert aus und lässt die Instrumentalpassagen zu weiteren Höhepunkten des Abends avancieren, so dass es für alle Beteiligten begeisterten Jubel am Ende der Aufführung gibt.

FAZIT

Selbst mit kleinen szenischen Elementen ist der opernhafte Charakter dieses Oratoriums unverkennbar und wird von allen Beteiligten großartig umgesetzt.

Weitere Rezensionen zum Klangvokal Festival Dortmund 2024

 

Ausführende

Musikalische Leitung
René Jacobs

B'Rock Orchestra

 

Solistinnen und Solisten

Bellezza (Schönheit)
Sunhae Im

Piacere (Vergnügen)
Kateryna Kasper

Disinganno (Erkenntnis)
Paul Figuier

Tempo (Zeit)
Thomas Walker

 

 


Weitere
Informationen

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Klangvokal Dortmund
(Homepage)



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