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Die Poesie hinter der Virtuosität
Von Stefan Schmöe / Fotos von Christian Palm
In Deutschland muss sich Seong-Jin Cho noch einen Namen machen - in der Wuppertaler Stadthalle bleiben an diesem Abend jedenfalls etliche Plätze frei. In seiner Heimat Korea dagegen ist der 30jährige Pianist ein Superstar, seit er 2015 den Chopin-Wettbewerb in Warschau gewonnen hat. Der Live-Mitschnitt davon landete in den koreanischen Pop-Charts auf Platz 1. Ganz unbekannt ist der Künstler indes auch hier nicht. Für die kommende Saison 2024/25 haben ihn keine Geringeren als die Berliner Philharmoniker als Artist in Residence verpflichtet. So oder so: Nach dem Konzert bildete sich eine lange Schlange vor dem Stand, an dem der Künstler seine Aufnahmen signierte.
Cho hat sich seinen jugendlichen Charme bewahrt und wirkt auf dem Podium fast ein wenig schüchtern. Wenn es darauf ankommt, beherrscht er aber auch die große, pathetische Geste mit ausschwingenden Armen und Blick zum Himmel (der sich in Wuppertal ja zumindest gemalt über Künstler und Publikum öffnet). Dabei vermeidet er in seinem Spiel die grellen Effekte, und ein donnerndes Fortissimo gibt es nur ganz am Ende des Programms, mehr dazu später. Insgesamt wirkt er sehr konzentriert und in sein Spiel versunken. Für dieses Konzert beim Klavier-Festival Ruhr hat er Ravel für den ersten, Liszt für den zweiten Teil ausgewählt - da begegnen sich also zwei Klangzauberer ganz eigener Art.
Am Beginn steht Ravels eher unbekannte, aber ausgesprochen delikate Sonatine, in der eine schlichte, eben "sonatinenhafte" Melodiestimme auf eine impressionistisch flirrende Begleitung trifft. Bereits hier zeigt Cho, was seinen Umgang mit Ravel bestimmt: Ein großes Gespür für die Balance der Stimmen, die fein gegeneinander abgestuft sind; ein weicher, oft geradezu zärtlicher Anschlag; ein Mischklang, der die extremen Register eher verschmelzen lässt als voneinander trennt. Die Interpretation ist lyrisch geprägt, das wird bei Gaspard de la Nuit noch stärker deutlich; dramatische Steigerungen geht Cho eher verhalten an. Die extrem hohe Virtuosität, die Ravel in dieser Komposition verlangt, bleibt beinahe nebensächlich und dient der Klangfarbe. Der erste Satz Ondine (Wassernixe) zeichnet die Wellenbewegung des Wassers nach, ohne dass Cho deshalb zu sehr ins Tonmalerische wechseln würde. Ähnlich bleiben die totenglöckchenhaften ostinaten Tonwiederholungen im zweiten Satz Le Gibet (Der Galgen) Teil des impressionistisch unscharfen Panoramas. Insgesamt dürften die Kontraste ein wenig pointierter ausgespielt werden, auch im spukhaft dahinhuschenden Schlusssatz Scarbo (gemeint ist ein Kobold). Cho bettet die Musik, der er die ihr zustehende Klarheit und Duftigkeit gibt, wie in Samt. Er muss aufpassen, dass dabei nicht alles schön, aber eben auch alles gleich schön klingt. Ravel braucht hier und da doch ein paar Widerhaken.
Das betrifft auch die Valses nobles et sentimentales, bei denen Cho die Fortissimo-Akkorde, die es eben auch gibt, vergleichsweise sanft spielt und lieber im Piano und Pianissimo zaubert. Auch wenn Ravel die Folge von sieben Walzern und einem Epilog orchestral angelegt hat, behält Cho einen intimen "pianistischen" Tonfall bei und sucht eher das Verbindende als das Trennende. Hier und da wäre ein wenig mehr Energie und Kraft aber als Kontrast durchaus angebracht. Den sanften Charme eines untergehenden Walzer-Zeitalters trifft er im siebten und letzten sehr schön, denkt das Werk aber vom langen Epilog her: Ein langsames Verklingen.
Im zweiten Teil des Abends steht der zweite Band (dem Titel nach "das zweite Jahr") von Liszts Années de Pèlerinage (Jahre der Pilgerfahrt) auf dem Programm, in dem Liszt Eindrücke aus Italien musikalisch verarbeitet. Auch hier beginnt Cho zurückhaltend lyrisch und sucht eher die Poesie als die dramatische Entwicklung. Wie Ravel sich in Gaspard de la Nuit auf Literatur bezieht (nämlich auf drei Gedichte von Aloysius Bertrand), hat auch Liszt entsprechende außermusikalische Vorlagen. Neben Kunstwerken von Michelangelo, Raffael und Salvator Rosa in den ersten drei Sätzen sind das drei Sonette von Petrarca, die Liszt zuvor für Singstimme und Klavier komponiert und später als "Lieder ohne Worte" in einer reinen Klavierfassung in den zweiten Band der Années de Pèlerinage übernommen hat. Cho spielt sie mit angemessen liedhafter Schlichtheit und betörender Poesie.
Die abschließende Fantasia quasi Sonata "nach der Lektüre von Dante", auch gern als Dante-Sonate bezeichnet, wird dann zum mitreißenden finale furioso. Hier öffnet Cho den Klangraum zu den Extremen hin und spielt auch seine Virtuosität bravourös aus. Nach diesem Ritt durch die Hölle ist Schumanns gefährlich populäre Träumerei aus den Kinderszenen nicht die ideale Zugabe, die in ihrer gewollten Schlichtheit nicht an die Interpretation von Liszts Petrarca-Sonetten heranreicht. Mit dem ohrwurmtauglichen Finale Vivace molto aus Joseph Haydns Klaviersonate e-Moll, den romantischen Geist Schuberts vorwegnehmend gespielt, entlässt Cho das Publikum.
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Klavier-Festival Ruhr 2024 Historische Stadthalle Wuppertal 1. Juli 2024 AusführendeSeong-Jin Cho, KlavierProgrammMaurice Ravel:Sonatine Valses nobles et sentimentales Gaspard de la Nuit Franz Liszt: Années de Pèlerinage, Deuxième année „Italie“: Sposalizio Il Penseroso Canzonetta del Salvator Rosa Sonetto di Petrarca Nr. 47 Sonetto di Petrarca Nr. 104 Sonetto di Petrarca Nr. 123 Après une lecture de Dante Zugaben: Robert Schumann: Träumerei aus Kinderszenen op. 15 Nr. 7 Joseph Haydn: Vivace molto aus der Klaviersonate e-Moll Hob. XVI:34 Klavierfestival Ruhr 2024 - unsere Rezensionen im Überblick
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