Veranstaltungen & Kritiken Musikfestspiele |
|
|
Hymnus an die Schöpfung
Von Stefan Schmöe / Foto von Christian Palm ( Klavier-Festival Ruhr)
"Warum wird das nie gespielt?" Das habe er sich gefragt, berichtet Pianist Marc-André Hamelin im Programmheft, als er zum ersten Mal auf einer Schallplattenaufnahme die ersten Takte von Busonis Klavierkonzert gehört habe. Und mit den ersten Tönen des exorbitant schwierigen Klavierparts eine Antwort erhalten. Na ja, es fallen einem schnell weitere Gründe ein. Tatsächlich beinhaltet das Werk viel schöne Musik, aber ein Klavierkonzert von rund 75 Minuten Dauer ist eben doch ziemlich lang. Die Besetzung mit riesigem Orchester und - laut Partitur unsichtbarem - Männerchor lässt sich nur schwer realisieren. Dabei stehlen sich die Akteure auch noch gegenseitig die Show - auf die letzte Phrase des Chores folgt eine kurze, eher konventionell Coda "con fuoco", als wolle Busoni den Rang des Klaviers sicherheitshalber noch einmal unterstreichen. Am Ende des Abends reibt man sich verwundert die Ohren und fragt sich ein wenig irritiert, was für ein Kuriosum zwischen erhabener Größe und Zirkusmusik mit viel Tschingderassassa man da gerade gehört hat.
Die Schönheit der Komposition liegt eher im Detail als in der großen Linie. Exemplarisch ist die lange Orchestereinleitung, bis das Klavier, ein wenig an Tschaikowskys populäres b-Moll-Konzert erinnernd, mit gebrochenen Akkorden einsetzt. Das baut eine große Spannung auf, die das eher banale Hauptthema dann nicht wirklich einlösen kann. In den raffinierten Klangwirkungen überzeugt Busoni mehr als mit dem imposanten, aber nicht stringenten Gesamtplan. Angelegt ist das romantische Werk eher als Symphonie mit obligatem Klavier denn als Konzert. Der Chor wird erst im letzten der fünf Sätze eingesetzt, aber keineswegs mit dem Ziel einer Apotheose wie in Beethovens neunter Symphonie (die natürlich als Modell im Raum schwebt). Der Text ist dem Schauspiel Aladdin aus dem Jahr 1805 des dänischen Schriftstellers Adam Oehlenschläger (1779 - 1850) entnommen. "Hebt zu der ewigen Kraft Eure Herzen, fühlet Euch Allah nah' schaut seine Tat. Wechseln im Erdenlicht Freuden und Schmerzen, ruhig hier stehen die Pfeiler der Welt", heißt es da, und es sind wohl "Felsensäulen", die hier "tief und leise ertönen". Ein Lob des Göttlichen, das hier - wir sind in der orientalischen Welt von Tausendundeiner Nacht - mit dem Namen "Allah" bezeichnet wird. Dazu erfährt man übrigens im Programmheft nichts. Kein Textabdruck, nicht einmal der Dichter wird genannt, was bei einem Werk wie diesem doch ein wenig ärgerlich ist.
Hamelin hat das Stück 1996 zum ersten Mal aufgeführt (und seitdem in über 20 weiteren Konzerten) und 1999 mit dem City of Birmingham Symphony Orchestra (mit dem Dirigenten Marc Elder) auf CD eingespielt. Ganz vergessen ist Busonis Komposition also nicht, das zeigt auch ein Blick in die Diskographie mit diversen Live-Mitschnitten. Eine Rarität bleibt sie allemal und vielleicht eher ein Stück für Festivals als für den laufenden Konzertbetrieb.
Die "Historische Stadthalle am Johannisberg" in Wuppertal, ein pompöser Neorenaissance-Bau vom Ende des 19. Jahrhunderts, bietet das stilvolle Ambiente für das 1904 in Berlin (mit dem Komponisten persönlich als Solisten) uraufgeführte Werk. Wobei der Chor bei dieser Aufführung keineswegs unsichtbar ist, sondern die Männerstimmen des Jugendkonzertchores der Chorakademie Dortmund auf dem Chorpodium Platz nehmen. Die Akustik des Raumes mit vergleichsweise langem Nachhall wird oft gerühmt, hat allerdings ihre Tücken. Die Musik klingt hier an vielen Stellen überinstrumentiert. Dem Wuppertaler Sinfonieorchester unter Leitung des jungen, charismatischen Chefdirigenten Patrick Hahn gelingt es oft nicht, in den orchestral-pianistischen Klangballungen die Durchhörbarkeit zu bewahren. Zudem trägt der Saal vor allem die tiefen Frequenzen, und wo Busoni eben die tiefen Instrumente und die Bassregister des Flügels als grummelndes Fundament unter das Geschehen legt, ergibt sich ein dunkles, ziemlich verschwommenes Grundrauschen.
Hier und da fehlt es an der Feinabstimmung zwischen dem Solisten und dem Orchester, das Hamelins feine Verzögerungen und wohldurchdachten Temposchwankungen nicht immer aufnimmt. Insgesamt entsteht eine solide, keine herausragende Interpretation. Schlüsselstellen wie etwa der grandiose Schluss des vierten Satzes, der in triumphaler Geste mit viel strahlendem Blechbläserglanz die Grundmauern des altehrwürdigen Gebäudes im maximalen Fortissimo erzittern lässt, gelingen dann aber doch sehr eindrucksvoll. Der Herren der Chorakademie Dortmund singen den sechsstimmigen Chorsatz sehr homogen mit schlanken Stimmen, wobei die hohe und die tiefe Lage für diese Musik ausgeprägter sein dürften. Letztendlich verfehlt das monumentale Werk seine Wirkung nicht: Stehende Ovationen.
Als kleine Pointe gibt Hamelin als erste Zugabe eine kleine eigene Komposition mit dem Titel Spieluhr, die auch genauso klingt und der vorangegangenen Monomentalität mit charmanter, delikat gespielter Intimität antwortet. Und bei Debussys Général Lavine – excentrique aus dem zweiten Band der Préludes unterstreicht der Pianist (der beim aktuellen Klavier-Festival bereits im Mai einen Soloabend mit Musik von Fauré und Dukas gegeben hat) mit sensibler Anschlagskultur, der Entwicklung von musikalischen Gedanken auf kleinstem Raum und subtilem Humor seine Ausnahmestellung.
|
Klavier-Festival Ruhr 2024 Historische Stadthalle Wuppertal 12. Juni 2024 AusführendeMarc-André Hamelin, KlavierSinfonieorchester Wuppertal Männerstimmen des Jugendkonzertchors der Chorakademie am Konzerthaus Dortmund Leitung: Patrick Hahn ProgrammFerruccio Busoni:Konzert für Klavier und Orchester mit Männerchor C-Dur op. 39 Zugaben: Marc-André Hamelin: Music Box (Spieluhr) Claude Debussy: Général Lavine – excentrique aus: Préludes, Band II Klavierfestival Ruhr 2024 - unsere Rezensionen im Überblick
|
© 2024 - Online Musik Magazin
http://www.omm.de
E-Mail: konzerte@omm.de