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Klavier-Festival Ruhr 2024

Historische Stadthalle Wuppertal
27. Mai 2024


Krystian Zimerman, Klavier
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Klavier-Festival Ruhr

Hölle und Himmel, wolkenverhangen

Von Stefan Schmöe

Wenn der Steinway so wenig Brillanz ausstrahlt wie an diesem Abend, dann hat das natürlich Methode. Das karge Programmfaltblatt (ein derart unübersichtliches Layout muss man erst einmal hinbekommen) erwähnt explizit, dass Krystian Zimerman "handwerkliche Fähigkeiten als Klavierbauer und -techniker" besitzt. Seinen eigenen Flügel bringt er ohnehin mit. Und natürlich entscheidet die Anschlagskultur über Verschattungen und Eintrübungen, die das Klangbild hier wie in einen Nebel packen - selbst da, wo es sich im zweiten Teil des Konzerts lichtet und aufhellt. Bis zur Pause herrscht freilich Düsternis. Das beginnt mit dem ersten Akkord in der Sinfonia von Johann Sebastian Bachs Partita Nr. 2 c-Moll, bei der Zimerman den Basston hervorhebt und damit eine Brücke schlägt zu den (ebenfalls mit Grave überschriebenen) Einleitungstakten von Chopins b-Moll-Sonate. Bach erklingt hier sehr gravitätisch, was den schweren Charakter bestimmt. Die schnellen Teile dieses Einleitungssatzes und auch die folgenden schnellen Sätze, die Zimerman auch im flotten Tempo relativ breit in eher weichem Legato anlegt ("trockene" Staccati von barockem Gestus hört man hier nicht), atmen schon den Geist Chopins - und auch den Debussys, der erst nach der Pause an die Reihe kommt. Man muss diese irritierend unscharfe und düstere Interpretation im Kontext zu dem hören, was anschließend erklingt.

Foto

Fotos vom Konzert gibt es leider nicht; hier eine Aufnahme von Krystian Zimerman vom Klavier-Festival Ruhr 2023 aus der Philharmonie Essen. (Foto: Archiv Klavier-Festival Ruhr/Peter Wieler)

Chopins Virtuosität verwandelt Zimerman in brodelnde Klangflächen, denen gegenüber die lineare Entwicklung zurückgenommen ist. Der Kopfsatz der Sonate erscheint als erratischer Block, den der wild rasende Hauptteil des Scherzos fortsetzt. Zimerman bleibt auch in den "hämmernden" Akkorden kultiviert, hat aber jeden Anflug von Humor getilgt. Den liedhaften Trio-Mittelteil setzt er mit bewusster Naivität dagegen - eine Melodie wie aus einer anderen Welt. Überaus delikat gelingen die sehr genau ausdifferenzierten Anfangsakkorde des Trauermarsches, den er mit recht getragenem Tempo spielt - eher ein sanftes Schreiten denn ein martialisches Marschieren. Auch hier kontrastiert der kinderliedartige Mittelteil wie in einer Spiegelung des Scherzos die (von Zimerman hier ins Melancholische gewendete) Tragik des Hauptteils. Den kurzen Finalsatz in irrwitzigem Tempo spielt er mit nihilistischer Schwärze. Chopins Sonate wird zur pessimistischen Weltuntergangsmusik.

Claude Debussys impressionistische Estampes aus dem Jahr 1903 beginnen zwar wie die Werke zuvor mit einem Ton in tiefer Lage, erscheinen aber nach der Düsternis zuvor freundlich aufgehellt, als folge auf das vorangegangene Inferno nun das Paradiso. Gleichwohl bleibt der vom Legato und vom weichen Anschlag bestimmte Klang verschwommen - strahlend oder glanzvoll wird die Stimmung nicht. Auch hier legt Zimerman die Musik eher flächig an als im Sinne einer erzählerischen Entwicklung. Eine beschreibende Klangmalerei (die Sätze sind mit "Pagode", "Abend in Granada" und "Gärten im Regen" überschrieben) hört man schon gar nicht.

Karol Szymanowskis Variationen op. 10 werden üblicherweise als Variationen über ein polnisches Volkslied bezeichnet - der Beitrag im Programmheft meldet Zweifel an, ob die kirchentonal archaisch anmutende Melodie tatsächlich seinen Ursprung in Polen oder vielleicht doch in der Ukraine hat (wo der Geburtsort des Komponisten heute liegt). Indirekt erhält das eine Bedeutung, weil Zimerman später seine Zugabe (Rachmaninows zärtlich-introvertiert im "singenden" Tonfall präsentiertes Prélude D-Dur op.23/4) mit einem (leider kaum zu verstehenden) Verweis auf den gegenwärtigen Krieg ankündigt und - soweit hörbar - den Müttern der Opfer auf allen Seiten widmet. Entstanden ist Szymanowskis rund 17-minütige Komposition zwischen 1901 und 1904, also rund um das 20. Lebensjahr des 1882 geborenen Komponisten herum, ist bei aller Verspieltheit dem Status eines Jugendwerks allerdings entwachsen. Auf eine kurze Einleitung und das Thema folgen neun Variationen (darunter ein eigentümlicher Trauermarsch im Dreivierteltakt, der eine Verbindung zu Chopins Sonate schafft) und ein Finale, das ähnlich lang ist wie die anderen Variationen zusammen. Zimerman verzichtet sowohl auf die große Geste des mit "trionfando" überschriebenen Beginns dieses Finales wie auf eine Überzeichnung eines "mit Humor" zu spielenden fugierten Zwischenteils. Das Herausstellen der Virtuosität ist ohnehin nicht seine Sache. So präsentiert er das Werk eher zurückgenommen und befreit es damit von manchen Äußerlichkeiten. Stehende Ovationen nach einem mitunter merkwürdigen, aber doch sehr eindrucksvollen Konzert.




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Klavier-Festival Ruhr 2024

Historische Stadthalle Wuppertal
27. Mai 2024


Ausführende

Krystian Zimerman, Klavier


Programm

Johann Sebastian Bach:
Partita Nr. 2 c-Moll BWV 826

Frédéric Chopin:
Sonate Nr. 2 b-Moll op.35

Claude Debussy:
Estampes L.100

Karol Szymanowski:
Variationen h-Moll op.10

Zugabe:

Sergei Rachmaninow:
Prélude D-Dur op.23/4

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