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Verbotene Liebe mit zweifelhaftem Happy EndVon Thomas Molke / Fotos: © Studio Amati Bacciardi (Rossini Opera Festival) Zur Neueröffnung des Auditorium Scavolini, des ehemaligen Palafestival in Pesaro, ist die Wahl auf Rossinis 30. Oper Bianca e Falliero gefallen. Obwohl die insgesamt fünfte Oper, die Rossini für die Mailänder Scala komponierte, bei der Uraufführung am 26. Dezember 1819 von der Presse nur mäßig aufgenommen wurde, weil sie im musikalischen Stil schon für damalige Verhältnisse als altmodisch betrachtet wurde, erfreute sie sich beim Publikum großer Beliebtheit, so dass sie mit insgesamt 39 Vorstellungen die längste Aufführungsreihe einer Rossini-Oper im Uraufführungsjahr hatte. In den folgenden Jahren stand das Werk auch an zahlreichen Bühnen in Italien, Spanien und Portugal auf dem Spielplan, bevor es das Schicksal der meisten Opern Rossinis teilte und bis zum Beginn der Rossini-Renaissance in Vergessenheit geriet. In Rossinis Opernschaffen markiert die Oper einen Einschnitt, da es das letzte Mal war, dass Rossini innerhalb eines Jahres so viele Opern herausbrachte. In den folgenden Jahren ließ sich der Schwan von Pesaro wesentlich mehr Zeit zum Komponieren und beschränkte sich in der Regel auf eine Oper pro Jahr. Die erste moderne Wiederentdeckung fand beim Rossini Opera Festival in Pesaro 1986 im Auditorium Pedrotti mit Katia Ricciarelli als Bianca und Marilyn Horne als Falliero statt. Doch trotz der hochkarätigen Besetzung konnte sich das Werk nicht auf den Spielplänen etablieren, so dass es nur wenige weitere Aufführungen, zum Beispiel bei den Rossini-Festspielen in Pesaro (2005) und Bad Wildbad (2015), gab. Der Intendant der Frankfurter Oper Bernd Loebe, der bis zum Sommer 2024 auch Leiter der Tiroler Festspiele in Erl war, hat diese Oper 2022 in Frankfurt und anschließend auch bei den Sommerfestspielen in Erl auf den Spielplan gestellt. Erwähnenswert ist auch noch eine Studioaufnahme von Opera Rara. Falliero (Aya Wakizono) kehrt siegreich in die Heimat zurück. Das Libretto von Felice Romani basiert auf der Tragödie Blanche et Montcassin von Antoine-Vincent Arnault und spielt im Venedig des 17. Jahrhunderts. Neben den Namen der Hauptfiguren änderte Romani auch den Schluss zu einem Happy End. Bianca liebt den venezianischen General Falliero, der zu Beginn der Oper siegreich aus dem Kampf gegen die spanischen Verschwörer zurückkehrt. Doch Biancas Vater Contareno befindet sich in einem Erbstreit mit Capellio und sieht eine Lösung darin, Bianca mit Capellio zu verheiraten, da dieser bereit ist, auf seine Ansprüche zu verzichten, wenn er dafür Bianca zur Frau erhält. Für Contareno ist die Beilegung der Familienfehde wichtiger als das Glück seiner Tochter, und so verbietet er ihr den Umgang mit Falliero. Als er sie zwingen will, den Ehevertrag zu unterschreiben, platzt Falliero herein und bezichtigt Bianca der Untreue. Die Hochzeit wird verschoben, und es kommt zu einem weiteren heimlichen Treffen zwischen Falliero und Bianca, bei dem Falliero allerdings in die spanische Botschaft fliehen muss und als Verräter festgenommen wird. Contareno will ihn dafür zum Tode verurteilen lassen, als Bianca vor Gericht als Zeugin auftritt und ihre Mitschuld am Aufenthalt des Geliebten in der spanischen Botschaft gesteht. Während bei Arnault dieses Geständnis zu spät kommt, Montcassin (Falliero) bereits hingerichtet worden ist und Blanche (Bianca) über dem Leichnam ihres Geliebten zusammenbricht, akzeptiert bei Romani Capellio, dass Biancas Herz ihm niemals gehören wird, und stimmt gegen eine Verurteilung. Auch der Senat befindet Falliero für unschuldig und gibt Bianca in seine Obhut. Durch Capellios Fürsprache beugt sich schließlich auch Contareno diesem Urteil und gibt seine Tochter für Falliero frei. Contareno (Dmitry Korchak) will Bianca (Jessica Pratt) zwingen, Capellio zu heiraten. Das Regie-Team um Jean-Louis Grinda legt die Inszenierung relativ zeitlos an, was sich unter anderem in den größtenteils modernen Kostümen von Rudy Sabounghi, der auch für das Bühnenbild verantwortlich zeichnet, widerspiegelt. Wieso am Anfang das Volk in feiner Abendgarderobe mit schicken Hüten auf einer riesigen Leinwand Nachrichten über eine Kriegsberichterstattung verfolgt, erschließt sich nicht wirklich. Ob dadurch der Jubel des Volkes über die Aufdeckung der angezettelten Verschwörung gegen Venedig deutlich wird, ist Ansichtssache, da in den Videoeinspielungen jedweder Bezug zu Venedig fehlt, während im weiteren Verlauf der Oper im Hintergrund ein pittoresker Panoramablick auf die Lagunenstadt projiziert wird. Hohe verschiebbare Wände ermöglichen monumental wirkende hohe Räume, die die verschiedenen Orte der Handlung im Gegensatz zu den Kostümen eher klassisch erscheinen lassen. Wieso Grinda in den Notizen zur Inszenierung im Programmheft betont, dass es ihm wichtig sei, dass die Umbauten auf offener Bühne vor den Augen des Publikums erfolgen, wird nicht klar. Wahrscheinlich ist es eher den Bühnengegebenheiten im Auditorium Scavolini geschuldet, dass man die Umbauten nicht hinter herabgelassenem Vorhang durchführt und den Abend mit den dadurch notwendigen Pausen noch länger werden lassen will, als er schon ist. Happy End mit Fragezeichen: von links: Bianca (Jessica Pratt), Contareno (Dmitry Korchak), Falliero (Aya Wakizono), Costanza (Carmen Buendía), Capellio (Giorgi Manoshvili), dahinter der Chor Dem glücklichen Ende vertraut Grinda nicht wirklich. Daher lässt er es in der Inszenierung offen, ob der Schluss real ist. Falliero, Capellio und Contareno erstarren mehr oder weniger am Ende beim Rampensingen, während Bianca bei dem großartigen Schluss-Rondo nahezu entrückt ein Bühnenelement besteigt und in den Hintergrund geschoben wird. Unklar bleibt auch die Rolle der alten Frau, die Grinda in die Inszenierung einführt und deren Nähe Bianca mehrere Male im Stück sucht, dabei von ihr aber stets kühl zurückgewiesen wird. Handelt es sich dabei um Biancas Mutter, die im Stück eigentlich nicht vorkommt? Immerhin nähert sich auch Contareno ihr einmal, um sie zu küssen, was von ihr aber ebenfalls mit einer recht ablehnenden Haltung kommentiert wird. Beim Finale des ersten Aktes bricht sie in der allgemeinen Konfusion zusammen. In Biancas großer Szene im zweiten Akt imitiert sie Biancas Bewegungen und geht gemeinsam mit ihr zu Boden, so dass man an dieser Stelle auch auf die Idee kommen kann, dass sie als Alter Ego Biancas aus späteren Jahren fungiert.
Ansonsten folgt Grinda in der Personenregie recht nah der Geschichte und bleibt
dem Werk treu. Auch musikalisch bewegt sich der Abend auf hohem Niveau. Einiges
klingt musikalisch bekannt, da Rossini einzelne Passagen aus früheren Opern
übernommen oder in spätere eingefügt hat. Am bekanntesten dürfte dabei das große
Schlussrondo Biancas sein, das er bereits in der im gleichen Jahr für Neapel
komponierten La donna del lago verwendet hat, und ein Teil der
Ouvertüre. Roberto Abbado führt das Orchestra Sinfonica Nazionale della Rai mit
sicherer Hand durch die farbenreiche Partitur, lotet die zahlreichen
romantischen Bögen mit großer Intensität aus und lässt das Orchester in den
dramatischen Passagen sehr beherzt aufspielen.
Hat ihre Liebe eine Chance? Bianca (Jessica
Pratt) und Falliero (Aya Wakizono)
Ein weiterer Glanzpunkt des Abends ist Dmitry Korchak als Contareno, auch wenn
seine Figur im Stück nicht gerade ein Sympathieträger ist. Mit Bravour meistert
er die anspruchsvolle Partie, die Korchak neben Ausflügen in stupende Höhen, die
er kraftvoll meistert, auch ein umfangreiches Volumen in der Mittellage
abverlangt. So gelingt es ihm in seiner großen Arie im ersten Akt, in der er
seine Tochter erst zwingen will, seinem Befehl Folge zu leisten, und dann an ihr
Mitgefühl für seine auswegslose Situation appelliert, mit variabler Stimmführung
die Manipulationsfähigkeit dieses durch und durch unsympathischen Charakters
glaubhaft zu machen. Von daher ist es in der Personenregie konsequent, ihn
relativ unbeteiligt seinen Umschwung zum Guten am Ende der Oper interpretieren zu lassen. Giorgi Manoshvili gestaltet die Partie des verschmähten Liebhabers Capellio mit
markantem Bass, der in den Läufen ebenfalls große Flexibilität zeigt. Auch die
kleineren Partien sind mit Carmen Buendía als Biancas Vertrauter Costanza, Nicolò
Donini als Dogen, Dangelo Díaz als Cancelliere und Claudio Zazzaro in der
Doppelrolle als Ufficiale und Usciere gut besetzt.
FAZIT
Die Aufführung arbeitet die musikalischen Perlen, die in Rossinis selten
gespielter Oper stecken, eindrucksvoll heraus und bleibt auch in der Regie der
Geschichte im Großen und Ganzen treu.
Weitere Rezensionen zu dem
Rossini Opera Festival 2024 |
ProduktionsteamMusikalische LeitungRoberto Abbado Regie Bühnenbild und Kostüme Licht Chorleitung
Orchestra Sinfonica Nazionale della Rai Statisterie
Solistinnen und Solisten
Priuli
Contareno
Capellio
Falliero
Bianca
Costanza
Ufficiale / Usciere Cancelliere
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- Fine -