Veranstaltungen & Kritiken Musikfestspiele |
|
Die Tücken der unerwiderten LiebeVon Thomas Molke / Fotos: © Studio Amati Bacciardi (Rossini Opera Festival) Rossinis Oper Ermione gehört zu den unbekannteren Werken des Schwans von Pesaro und ist auch heute noch eine absolute Rarität, die, wenn überhaupt, fast nur bei Opernfestspielen zu erleben ist. Ein Grund mag sein, dass das Werk zwei hochkarätige Tenöre bei den insgesamt vier äußerst anspruchsvollen Hauptpartien erfordert. Ob es sich bei der Uraufführung am 27. März 1819 im Teatro San Carlo in Neapel um einen der größten Misserfolge in Rossinis Schaffen gehandelt hat, ist umstritten, auch wenn das später vom Komponisten selbst so tradiert wurde. Stendhal bezeichnete die Oper als ein "Experiment", mit dem sich Rossini von den gängigen Strukturen der Belcanto-Oper verabschiedete und einem französischen tragischen Stil mit zahlreichen deklamatorischen Passagen annäherte. Rossini selbst soll das Werk als seinen "kleinen Guillaume Tell auf Italienisch" bezeichnet haben, für den das damalige Publikum aber aufgrund der Tragik des Stoffes noch nicht "reif" gewesen sei. An der musikalischen Qualität zweifelte er aber keinesfalls, da er zahlreiche Passagen in spätere Kompositionen wie beispielsweise Eduardo e Cristina übernahm. Dass das Stück nach nur sieben Aufführungen 1819 von der Bühne verschwand, mag auch dem Umstand geschuldet sein, dass die Oper aus organisatorischen Gründen erst kurz vor Spielzeitende herauskam. Eine Wiederaufnahme gab es mit Ausnahme einer Aufführung in Sevilla 1829 aber nicht, und so dauerte es bis 1977, bis die Oper unter Gabriele Ferro in Siena erstmals wieder zumindest konzertant zu erleben war. Zehn Jahre später folgte dann beim Rossini Opera Festival in Pesaro die erste szenische Neuproduktion mit Montserrat Caballé in der Titelpartie unter der Leitung von Gustav Kuhn, der das Stück 2018 auch zu den Tiroler Festspielen nach Erl brachte. Nun gibt es in der Vitifrigo Arena eine Neuinszenierung mit einer hochkarätigen Besetzung. Ermione (Anastasia Bartoli, links) sieht mit Schrecken, dass Pirro (Enea Scala, 3. von rechts) Gefühle für Andromaca (Victoria Yarovaya, rechts am Tisch) hegt (außen rechts von links: Attalo (Tianxuefei Sun) und Fenicio (Michael Mofidian), in der Mitte: Lorenzo Leopoldo Egida, am Tisch rechts sitzend: Ian Gualdani als Astianatte). Das Libretto von Andrea Leone Tottola basiert auf Jean Racines Tragödie Andromaque und behandelt eine mythologische Episode aus dem Sagenkreis um den Trojanischen Krieg, die wiederum auf die Tragödie des Euripides zurückgeht. Troja ist bereits gefallen, und Pirro (Pyrrhus oder auch Neoptolemus), der Sohn des griechischen Helden Achilles, hat Hektors Ehefrau Andromaca (Andromache) mit ihrem Sohn Astianatte (Astyanax oder auch Skamandrios) als Kriegsbeute mit nach Buthrote in Epirus gebracht. Dabei hat er sich in Andromaca verliebt und möchte sie heiraten, obwohl er bereits Ermione (Hermione), der Tochter des Menelaos und der schönen Helena, die Ehe versprochen hat. Diese ist wild entschlossen, Pirros Liebe zurückzugewinnen, und instrumentalisiert dafür Oreste (Orest), den Sohn des Agamemnon, der einerseits unsterblich in sie verliebt ist und andererseits die Auslieferung von Hektors Sohn an die Griechen fordern soll. Andromaca erklärt sich zum Schein bereit, Pirros Frau zu werden, um ihren Sohn zu retten, da Pirro ihr geschworen hat, ihn im Falle einer Heirat wie einen Prinzen aufzuziehen. Heimlich plant sie jedoch, sich am Hochzeitsaltar das Leben zu nehmen, nachdem Pirro ihr den Schutz ihres Sohnes geschworen hat. Da Ermione von Andromacas wahren Absichten nichts weiß, stachelt sie Oreste an, Pirro zu erdolchen, bereut ihren Wunsch jedoch, nachdem Oreste aufgebrochen ist, um ihren Auftrag auszuführen. Als dieser ihr von Pirros Tod berichtet, beschimpft sie ihn als Mörder. Oreste ist dem Wahnsinn nahe, da er erkennt, dass Ermione ihn nie geliebt, sondern lediglich benutzt hat. Von Pilade (Pylades) und seinen Freunden wird er vor dem auf Rache für den Tod des Königs sinnenden Volk von Epirus in Sicherheit gebracht und zur Flucht gedrängt, während Ermione in ihrer Verzweiflung zusammenbricht. Ermione (Anastasia Bartoli) hofft, dass die Liebe (Lorenzo Leopoldo Egida, Mitte) zwischen ihr und Pirro (Enea Scala, rechts) zurückkehrt.
Für das Regie-Team um Johannes Erath spielt die unerwiderte Liebe der vier
Hauptfiguren eine zentrale Rolle in der Lesart des Stückes, so dass Erath die
Liebe in Form des Liebesgottes Amor personifiziert und im Stück mit einem
riesigen Pfeil auftreten lässt, der bisweilen auch hell leuchtet. Mit diesem
Pfeil versucht der Liebesgott, die Liebenden zu
Ermione (Anastasia Bartoli) opfert die Liebe
(Lorenzo Leopoldo Egida mit dem Chor).
Ermione (Anastasia Bartoli) manipuliert Oreste
(Juan Diego Flórez) für ihre Zwecke.
Auch Enea Scala trägt als Pirro dazu bei, dass der Abend ein wenig länger als
geplant andauert. Die Spitzentöne setzt er mit beweglichem, kraftvollem Tenor
absolut sauber an, verfügt in der Mittellage über ein großes Volumen und
begeistert in den schnellen Läufen. Ein Glanzpunkt des Abends ist seine große
Arie am Ende des ersten Aktes, die von mehreren Zwischenpassagen unterbrochen
ist, bei denen das Publikum kaum zu zügeln ist, nicht bereits hier in tosenden
Applaus auszubrechen. Victoria Yarovaya verfügt als Andromaca über einen satten,
dunklen Mezzosopran, der musikalisch einen großartigen Gegenpart zu Bartolis
Ermione darstellt. Mit warmer Mittellage bringt sie ihre Muttergefühle glaubhaft
zum Ausdruck und findet für die verzweifelten Momente eine Tiefe, die unter die
Haut geht. An anderen Stellen punktet sie hingegen mit dramatischen Höhen, die
die Entschlossenheit der Figur unterstreichen. Auch die kleineren Partien sind
mit Antonio Mandrillo als Orestes Freund Pilade, Michael Mofidian als Fenicio,
Tianxuefei Sun als Attalo, Martiniana Antonie als Cleone und Paola Leguizamón
als Cefisa hochkarätig besetzt, so dass es am Ende großen Jubel für alle
Beteiligten gibt.
FAZIT
Auch wenn sich szenisch nicht alles erschließt, bietet diese Produktion von
Rossinis selten gespielter Oper Ermione ein Fest für Ohren und Augen.
Weitere Rezensionen zu dem
Rossini Opera Festival 2024 |
ProduktionsteamMusikalische LeitungMichele Mariotti Regie Bühnenbild Kostüme
Video Licht Chorleitung
Orchestra Sinfonica Nazionale della Rai Statisterie
Solistinnen und Solisten
Ermione
Andromaca
Pirro
Oreste
Pilade
Fenicio
Cleone Cefisa Attalo Astianatte (stumme Rolle) Amore (stumme Rolle)
|
- Fine -