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Rossini Opera Festival

Pesaro
07.08.2024 - 23.08.2024


Ermione

Azione tragica in zwei Akten
Libretto von Andrea Leone Tottola
Musik von Gioachino Rossini

In italienischer Sprache mit italienischen und englischen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2 h 50' (eine Pause)

Premiere in der Vitifrigo Arena in Pesaro am 9. August 2024


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Rossini Opera Festival

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Die Tücken der unerwiderten Liebe

Von Thomas Molke / Fotos: © Studio Amati Bacciardi (Rossini Opera Festival)

Rossinis Oper Ermione gehört zu den unbekannteren Werken des Schwans von Pesaro und ist auch heute noch eine absolute Rarität, die, wenn überhaupt, fast nur bei Opernfestspielen zu erleben ist. Ein Grund mag sein, dass das Werk zwei hochkarätige Tenöre bei den insgesamt vier äußerst anspruchsvollen Hauptpartien erfordert. Ob es sich bei der Uraufführung am 27. März 1819 im Teatro San Carlo in Neapel um einen der größten Misserfolge in Rossinis Schaffen gehandelt hat, ist umstritten, auch wenn das später vom Komponisten selbst so tradiert wurde. Stendhal bezeichnete die Oper als ein "Experiment", mit dem sich Rossini von den gängigen Strukturen der Belcanto-Oper verabschiedete und einem französischen tragischen Stil mit zahlreichen deklamatorischen Passagen annäherte. Rossini selbst soll das Werk als seinen "kleinen Guillaume Tell auf Italienisch" bezeichnet haben, für den das damalige Publikum aber aufgrund der Tragik des Stoffes noch nicht "reif" gewesen sei. An der musikalischen Qualität zweifelte er aber keinesfalls, da er zahlreiche Passagen in spätere Kompositionen wie beispielsweise Eduardo e Cristina übernahm. Dass das Stück nach nur sieben Aufführungen 1819 von der Bühne verschwand, mag auch dem Umstand geschuldet sein, dass die Oper aus organisatorischen Gründen erst kurz vor Spielzeitende herauskam. Eine Wiederaufnahme gab es mit Ausnahme einer Aufführung in Sevilla 1829 aber nicht, und so dauerte es bis 1977, bis die Oper unter Gabriele Ferro in Siena erstmals wieder zumindest konzertant zu erleben war. Zehn Jahre später folgte dann beim Rossini Opera Festival in Pesaro die erste szenische Neuproduktion mit Montserrat Caballé in der Titelpartie unter der Leitung von Gustav Kuhn, der das Stück 2018 auch zu den Tiroler Festspielen nach Erl brachte. Nun gibt es in der Vitifrigo Arena eine Neuinszenierung mit einer hochkarätigen Besetzung.

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Ermione (Anastasia Bartoli, links) sieht mit Schrecken, dass Pirro (Enea Scala, 3. von rechts) Gefühle für Andromaca (Victoria Yarovaya, rechts am Tisch) hegt (außen rechts von links: Attalo (Tianxuefei Sun) und Fenicio (Michael Mofidian), in der Mitte: Lorenzo Leopoldo Egida, am Tisch rechts sitzend: Ian Gualdani als Astianatte).

Das Libretto von Andrea Leone Tottola basiert auf Jean Racines Tragödie Andromaque und behandelt eine mythologische Episode aus dem Sagenkreis um den Trojanischen Krieg, die wiederum auf die Tragödie des Euripides zurückgeht. Troja ist bereits gefallen, und Pirro (Pyrrhus oder auch Neoptolemus), der Sohn des griechischen Helden Achilles, hat Hektors Ehefrau Andromaca (Andromache) mit ihrem Sohn Astianatte (Astyanax oder auch Skamandrios) als Kriegsbeute mit nach Buthrote in Epirus gebracht. Dabei hat er sich in Andromaca verliebt und möchte sie heiraten, obwohl er bereits Ermione (Hermione), der Tochter des Menelaos und der schönen Helena, die Ehe versprochen hat. Diese ist wild entschlossen, Pirros Liebe zurückzugewinnen, und instrumentalisiert dafür Oreste (Orest), den Sohn des Agamemnon, der einerseits unsterblich in sie verliebt ist und andererseits die Auslieferung von Hektors Sohn an die Griechen fordern soll. Andromaca erklärt sich zum Schein bereit, Pirros Frau zu werden, um ihren Sohn zu retten, da Pirro ihr geschworen hat, ihn im Falle einer Heirat wie einen Prinzen aufzuziehen. Heimlich plant sie jedoch, sich am Hochzeitsaltar das Leben zu nehmen, nachdem Pirro ihr den Schutz ihres Sohnes geschworen hat. Da Ermione von Andromacas wahren Absichten nichts weiß, stachelt sie Oreste an, Pirro zu erdolchen, bereut ihren Wunsch jedoch, nachdem Oreste aufgebrochen ist, um ihren Auftrag auszuführen. Als dieser ihr von Pirros Tod berichtet, beschimpft sie ihn als Mörder. Oreste ist dem Wahnsinn nahe, da er erkennt, dass Ermione ihn nie geliebt, sondern lediglich benutzt hat. Von Pilade (Pylades) und seinen Freunden wird er vor dem auf Rache für den Tod des Königs sinnenden Volk von Epirus in Sicherheit gebracht und zur Flucht gedrängt, während Ermione in ihrer Verzweiflung zusammenbricht.

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Ermione (Anastasia Bartoli) hofft, dass die Liebe (Lorenzo Leopoldo Egida, Mitte) zwischen ihr und Pirro (Enea Scala, rechts) zurückkehrt.

Für das Regie-Team um Johannes Erath spielt die unerwiderte Liebe der vier Hauptfiguren eine zentrale Rolle in der Lesart des Stückes, so dass Erath die Liebe in Form des Liebesgottes Amor personifiziert und im Stück mit einem riesigen Pfeil auftreten lässt, der bisweilen auch hell leuchtet. Mit diesem Pfeil versucht der Liebesgott, die Liebenden zusammenzuführen, versagt dabei aber kläglich. Andromaca trauert immer noch um ihren verstorbenen Gatten Hektor und ist nicht bereit, eine neue Beziehung einzugehen. Pirro hingegen wird von Andromaca so angezogen, dass er sich nicht mehr für Ermione öffnen kann. Diese wiederum spielt nur mit den Gefühlen des sie inniglich liebenden Oreste, um ihn für ihre Zwecke zu instrumentalisieren. Am Ende ist es bei Erath Amor selbst, der seinem Pfeil zum Opfer fällt und vom aufgebrachten Volk gerichtet wird. Auch eine weitere stumme Rolle wird in der Inszenierung aufgewertet, indem ihr Leid auf schonungslose Weise immer wieder vor Augen geführt wird. In zahlreichen Szenen sieht man den Sohn Andromacas Astianatte, meist gefesselt und mit einer Plastiktüte über dem Kopf. Dabei muss der Statist körperlich einiges aushalten, und man sieht ihn immer wieder beinahe schon leblos auf der Bühne liegen, so dass noch deutlicher wird, wieso Andromaca zum Schein auf Pirros Werben eingeht. Am Ende sitzt er in Pirros Sakko mit dem Kopf auf der Hochzeitstafel liegend und richtet sich durch Andromacas Handbewegung auf, wenn sie zum Altar schreitet.

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Ermione (Anastasia Bartoli) opfert die Liebe (Lorenzo Leopoldo Egida mit dem Chor).

Während die Funktion der beiden Statisten in der Inszenierung noch nachvollziehbar ist, wirft Eraths Personenregie bei den übrigen Nebenfiguren allerdings Fragen auf. In Kostümen, die teilweise an eine Party aus der Rocky Horror Show erinnern, wandeln sie mit weiteren Statistinnen und Statisten in exaltierten Bewegungen über die Bühne, die stellenweise genau auf den Rhythmus und die Pausen in der Musik abgestimmt sind, beobachten die Hauptfiguren und scheinen teilweise ihr Handeln sogar zu lenken oder zumindest zu manipulieren. Eine konkrete Zuordnung als Dämonen oder Furien zu den einzelnen Charakteren, wie Erath es im Programmheft andeutet, lässt sich in der Inszenierung allerdings nicht erkennen. Das Bühnenbild von Heike Scheele ist in mehreren Ebenen nach hinten durch Treppen ansteigend in Leuchtröhren eingerahmt, die teilweise auch ihre Größe verändern können. Der Prunk der Königstafel erinnert wie die Kostüme von Jorge Jara eher an die Gegenwart als an eine mythologische Vorzeit. Man scheint sich hier bei einem vornehmen, wenn auch etwas skurrilen Bankett zu befinden. Einen ganz anderen Blickwinkel wiederum verschaffen die großartigen Videoprojektionen von Bibi Abel, die teilweise über den Bühnenhintergrund projiziert werden. Bilden sie zu Beginn der Ouvertüre mit dunklen Gewitterwolken die Vorboten zu dem Drama, das sich hier bald ereignen wird, zeigen sie in wunderbaren Strandbildern vier Figuren am Meer und bilden in gewisser Weise die Geschichte der Hauptfiguren ab. Wieso allerdings am Ende des ersten Aktes die Projektion den Blick in den Zuschauersaal eines Theaters zeigt und die Figuren wie das Publikum in einer Vorstellung zu sitzen scheinen, erschließt sich nicht wirklich. Am Ende sieht man mehrere Planeten auf der Rückwand, so dass man sich nun scheinbar im Weltall befindet. Die Fülle dieser visuellen Eindrücke ist insgesamt so groß, dass man kaum dazu kommt, die Übertitel zu verfolgen, weil ständig so viel auf der Bühne passiert.

Mag sich in der Inszenierung auch nicht alles erschließen, lässt die musikalische Umsetzung keinen Zweifel daran, dass es sich bei dieser Oper um ein Meisterwerk Rossinis handelt. Michele Mariotti taucht mit dem Orchestra Sinfonica della Rai tief in die Partitur in ihrer ganzen Komplexität ein und arbeitet die zahlreichen Farben und Schattierungen differenziert heraus. Der von Giovanni Farina einstudierte Coro del Teatro Ventidio Basso überzeugt nicht nur stimmlich mit homogenem Klang, sondern punktet auch darstellerisch als teilweise sehr bedrohlich und unheimlich wirkende Masse. Wenn sich die Chorherren am Ende mit Pilade auf Oreste stürzen und ihn in der Bühnenöffnung verschwinden lassen, bleibt beinahe offen, ob es zu seinem Schutz dient oder damit sein Untergang besiegelt wird.

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Ermione (Anastasia Bartoli) manipuliert Oreste (Juan Diego Flórez) für ihre Zwecke.

Die vier Hauptpartien sind absolut festspielwürdig besetzt. Mit dem künstlerischen Direktor Juan Diego Flórez steht bereits für eine anspruchsvolle Tenorpartie eine optimale Besetzung zur Verfügung. Er übernimmt die Partie des Oreste und wird dafür vom Publikum mit tosendem Applaus gefeiert. Schon in seiner Auftrittskavatine "Reggia abborrita" stellt er sein Belcanto-Talent unter Beweis und glänzt mit sauber angesetzten Spitzentönen, ohne dabei zu stark zu forcieren. Seinem intensiven Spiel nimmt man die bedingungslose Liebe zu Ermione in jedem Moment ab. Auch in der Schlussszene läuft er stimmlich erneut zu Höchstform auf. Anastasia Bartoli begeistert in der Titelpartie ebenfalls mit stimmlichen Höchstleistungen. Ein Glanzpunkt ist ihre große Szene im zweiten Akt, wenn Ermione mit dem Mordauftrag immer mehr die Kontrolle über sich selbst verliert. Zunächst wirkt sie relativ kaltblütig, wenn sie, verletzt über Pirros Verhalten, seine Ermordung anordnet und auch Oreste gegenüber absolut herzlos auftritt. Mit enormer Bühnenpräsenz, gestochen scharfen Koloraturen und großartiger Dramatik arbeitet Bartoli diese Wut glaubhaft heraus. Wenn sie anschließend allerdings das Ausmaß ihres Befehls erkennt, punktet Bartoli mit regelrecht gebrochenen und verzweifelten Tönen. Das Publikum will nach dieser ergreifenden Nummer gar nicht mehr aufhören zu applaudieren.

Auch Enea Scala trägt als Pirro dazu bei, dass der Abend ein wenig länger als geplant andauert. Die Spitzentöne setzt er mit beweglichem, kraftvollem Tenor absolut sauber an, verfügt in der Mittellage über ein großes Volumen und begeistert in den schnellen Läufen. Ein Glanzpunkt des Abends ist seine große Arie am Ende des ersten Aktes, die von mehreren Zwischenpassagen unterbrochen ist, bei denen das Publikum kaum zu zügeln ist, nicht bereits hier in tosenden Applaus auszubrechen. Victoria Yarovaya verfügt als Andromaca über einen satten, dunklen Mezzosopran, der musikalisch einen großartigen Gegenpart zu Bartolis Ermione darstellt. Mit warmer Mittellage bringt sie ihre Muttergefühle glaubhaft zum Ausdruck und findet für die verzweifelten Momente eine Tiefe, die unter die Haut geht. An anderen Stellen punktet sie hingegen mit dramatischen Höhen, die die Entschlossenheit der Figur unterstreichen. Auch die kleineren Partien sind mit Antonio Mandrillo als Orestes Freund Pilade, Michael Mofidian als Fenicio, Tianxuefei Sun als Attalo, Martiniana Antonie als Cleone und Paola Leguizamón als Cefisa hochkarätig besetzt, so dass es am Ende großen Jubel für alle Beteiligten gibt.

FAZIT

Auch wenn sich szenisch nicht alles erschließt, bietet diese Produktion von Rossinis selten gespielter Oper Ermione ein Fest für Ohren und Augen.

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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Michele Mariotti

Regie
Johannes Erath

Bühnenbild
Heike Scheele

Kostüme
Jorge Jara

Video
Bibi Abel

Licht
Fabio Antoci

Chorleitung
Giovanni Farina



Coro del Teatro Ventidio Basso

Orchestra Sinfonica Nazionale della Rai

Statisterie


Solistinnen und Solisten

Ermione
Anastasia Bartoli

Andromaca
Victoria Yarovaya

Pirro
Enea Scala

Oreste
Juan Diego Flórez

Pilade
Antonio Mandrillo

Fenicio
Michael Mofidian

Cleone
Martiniana Antonie

Cefisa
Paola Leguizamón

Attalo
Tianxuefei Sun

Astianatte (stumme Rolle)
Ian Gualdani

Amore (stumme Rolle)
Lorenzo Leopoldo Egida

 


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