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Staubfreier KlassikerVon Thomas Molke / Fotos: © Studio Amati Bacciardi (Rossini Opera Festival)
Da Pesaro in diesem Jahr Kulturhauptstadt ist, soll dieser Auszeichnung auch
beim Rossini Opera Festival Tribut gezollt werden. Im Gegensatz zu den
anderen Jahren stehen deshalb dieses Mal vier szenische Opernproduktionen auf
dem Programm, und so gibt es neben zwei Neuproduktionen zwei Wiederaufnahmen von
Inszenierungen aus den vergangenen Jahren. Dem feierlichen Anlass entsprechend hat man
dabei natürlich nach einem besonderen Highlight gesucht
Almaviva (Jack Swanson, Mitte) dringt als
verkleideter Soldat bei Bartolo (Carlo Lepore, 2. von links) ein (auf der linken
Seite: Michele Pertusi als Basilio, mittig: Andrzej Filonczyk als Figaro, auf
der rechten Seite von links: Maria Kataeva als Rosina und Patrizia Biccirè als
Berta).
Figaro (Andrzej Filonczyk, links) "rasiert"
Bartolo (Carlo Lepore, Mitte) (dahinter: Armando de Ceccon als Ambrogio).
Im zweiten Akt nach der Pause wird die Bühne verkleinert und gewährt nur noch
den Blick auf den großen hellen Raum in Bartolos Haus. Die Fenster im
Hintergrund, die in der oberen Ebene neu hinzugekommen sind, dienen lediglich
dazu, den Sturm durch Lichteffekte zu verdeutlichen. In diesem Ambiente lässt
Pizzi die Solistinnen und Solisten feinste Komödie spielen. Besonders witzig ist
Almavivas Auftritt im zweiten Akt als vermeintlicher Musiklehrer Don Alonso.
Über die Knie hat er längliche Schuhe gespannt, auf denen er um einiges kleiner
in das Zimmer rutscht und unterwürfig seine Dienste anbietet. So wirkt es
zumindest teilweise glaubwürdig, dass Bartolo Almaviva nicht als den
angetrunkenen Soldaten aus dem Finale des ersten Aktes wiedererkennt, auch wenn
Rosina sofort weiß, um wen es sich bei Don Alonso handelt. Als Musiklehrer kommt
Almaviva nicht allein in Bartolos Haus, sondern hat seinen Gehilfen Fiorello
mitgebracht, der mit ausladendem Spiel und herrlicher Komik Rosinas Arie am
Cello begleitet. Auch die stumme Rolle des Ambrogio wird durch das intensive
Spiel von Armando de Ceccon herrlich aufgewertet. Mit großartiger Mimik und
herrlich rhythmischen Bewegungen zur Musik wird er ein unverzichtbarer Teil der
Inszenierung, was dann in Bertas Sorbetto-Arie gipfelt, wenn sie dem Kollegen
recht unverblümt an die Wäsche geht und er entsetzt Reißaus nimmt.
Auftritt Figaro (Andrzej Filonczyk)
Auch musikalisch begeistert der Abend auf ganzer Linie. Da ist zunächst das
Orchestra Sinfonica G. Rossini zu nennen, das unter der Leitung von Lorenzo
Passerini den Schwung und die Spritzigkeit der Partitur mit viel Elan
herausarbeitet und mit den großen Klassikern des Stückes musikalisch zum
Schwelgen einlädt. Der von Giovanni Farina einstudierte Coro del Teatro Ventidio
Basso zeigt sich spielfreudig und versprüht große Komik, wenn die Herren
beispielsweise zu Beginn der Oper als Musiker auf Almavivas Entlohnung warten
und sich dann wild auf die beiden Geldbeutel stürzen, die Almaviva lässig vom
Balkon des ersten Stockes herunterwirft. Die Titelpartie ist mit Andrzej
Filonczyk großartig besetzt, auch wenn er bei der berühmten Auftrittsarie des
Figaro, "Largo al factotum", noch ein wenig nervös zu sein scheint und etwas
polternd klingt. Dies legt er im weiteren Verlauf ab und begeistert mit
kräftigem, sauber geführtem Bariton und flexiblen Läufen, so dass man ihm den
Lebenskünstler darstellerisch zu jeder Zeit abnimmt. Im Zusammenspiel mit den
übrigen Protagonisten zeigt er, dass er als Drahtzieher die Fäden in der Hand
hält, auch wenn die von ihm geschmiedeten Pläne eigentlich nie aufgehen.
Besonderen Witz entfacht er auch im zweiten Akt, wenn er die beiden Liebenden
mit seinen Einwürfen beim Terzett immer wieder zur Eile drängt.
Rosina (Maria Kataeva) singt für "Don Alonso"
(Jack Swanson, links) die Arie aus der "vergeblichen Vorsicht", währen Bartolo
(Carlo Lepore, rechts) dabei einschläft (im Spiegel: William Corrò als Fiorello).
Maria Kataeva legt die Partie der Rosina sehr kokett und verführerisch an. Dabei
verfügt sie über einen dunkel gefärbten Mezzosopran, der sich in den Koloraturen
durch große Flexibilität auszeichnet und in den Höhen enorme Durchschlagskraft
besitzt. Ihre große Auftrittsarie "Una voce poco fa", in der sie ihre Liebe zu "Lindoro"
besingt, lässt sie einerseits als träumerisch verliebtes junges Mädchen
erscheinen. Andererseits zeichnet sie das scharf angesetzte "ma" gleichzeitig
als selbstbewusste und willensstarke Frau aus, mit der man sich lieber nicht
anlegen sollte und die es auch versteht, sich gegen ihren herrischen Vormund
Bartolo zur Wehr zu setzen. Bei dem Lied aus der "vergeblichen Vorsicht" ("L'inutile
precauzione") punktet sie mit flexiblen Läufen und mädchenhaftem Spiel. Carlo
Lepore begeistert in der Partie des Bartolo mit komödiantischem Buffo-Talent und
profundem Bass. Ein Höhepunkt in seiner großen Arie "A un dottor della mia sorte"
sind die schnellen Parlando-Stellen, die Lepore mit einer Geschwindigkeit und
Präzision meistert, dass einem schon beim Zuhören schwindelig werden kann. So
simuliert er auch am Ende der großen Arie einen kleinen Zusammenbruch und darf
auf der Bühne liegen, während der Applaus aus dem Publikum für diese Darbietung
nicht enden will. Auch in der kleinen Arie im zweiten Akt, in der er nach
Rosinas Vortrag, bei dem er eingeschlafen ist, seinen eigenen Musikgeschmack
erklärt, punktet Lepore mit großartiger Komik, wenn er beispielsweise den Anfang
im Falsett ansetzt.
Almaviva (Jack Swanson mit dem Herrenchor) bei
seiner Auftrittskavatine
Eine besondere Herausforderung für jede Aufführung, bei der man auf die
Schlussarie "Cessa di più resistere" nicht verzichten will, ist die Besetzung
des Conte d'Almaviva. Jack Swanson verfügt für die Partie über eine strahlende
Stimme mit tenoralem Schmelz, mit der er sich gleich in seiner Auftrittskavatine
"Ecco, ridente in cielo" unter dem Fenster der Geliebten als leidenschaftlicher
Verführer präsentiert. In den schnellen Läufen stößt Swanson allerdings dabei
ein wenig an seine Grenzen. Glänzen kann er dann mit lyrischen Bögen in der
kleinen Canzone "Se il mio nome saper voi bramate", mit der er dann schließlich
auch Rosina für einen kurzen Moment auf den Balkon locken kann. Einen weiteren
Höhepunkt stellt das Duett mit Filonczyk im ersten Akt dar, wenn Figaro gegen
eine reiche Belohnung seine Hilfe für die Eroberung der jungen Dame anbietet.
Die beiden Verkleidungen meistert Swanson mit großartiger Komik und kann Rosina
auch schnell wieder von seiner Liebe überzeugen, nachdem sie sich von ihm
verraten geglaubt hat. Die große Schlussarie hatte Rossini bei der Uraufführung
dem berühmten spanischen Tenor Manuel García in die Kehle gelegt, so dass das
Werk ursprünglich sogar den Titel Almaviva o sia L'inutile precauzione
trug. In den meisten Aufführungen an Stadttheatern wird diese Nummer gestrichen,
da sie inhaltlich entbehrlich ist und extreme Herausforderungen an den
jeweiligen Sänger stellt. Beim Rossini-Festival ist es natürlich undenkbar, auf
diese Nummer zu verzichten. Swanson meistert sie mit strahlenden Höhen, auch
wenn in den Läufen die gleichen kleinen Abstriche zu machen sind wie in der
Auftrittskavatine.
Michele Pertusi schlüpft wie bereits vor sechs Jahren in die Partie des
intriganten Musiklehrers Basilio und punktet mit markantem Bassbariton und
komischem Spiel. Seine berühmte Arie "La calunnia è un venticello" avanciert zu
einem weiteren musikalischen Glanzpunkt des Abends. Wie Pertusi aus dem lauen
Lüftchen, als das die Verleumdung beginnt, mit kräftigem Bass einen orkanartigen
Sturm entfacht, ist großartig. Herrlich setzt er auch Basilios unerwartetes
Auftauchen im zweiten Akt in Szene, wenn sich Almaviva als vermeintlicher Ersatz
für ihn Bartolos Vertrauen erschlichen hat. Wenn er sich nach der Bestechung durch
den Grafen verabschiedet und mit einem letzten "Buona sera" zurückkommt, weil er
seinen Hut vergessen hat, zeigt er, dass er stets unberechenbar bleibt.
FAZIT Dieser Abend ist nicht nur musikalisch und szenisch ein Hochgenuss, sondern auch eine hervorragende Visitenkarte für Pesaro als Kulturhauptstadt.
Weitere Rezensionen zu dem
Rossini Opera Festival 2024 |
ProduktionsteamMusikalische LeitungLorenzo Passerini Regie, Bühnenbild und Kostüme Mitarbeit und Licht Chorleitung
Orchestra Sinfonica G. Rossini Statisterie
Solistinnen und Solisten
Il Conte d'Almaviva
Bartolo
Rosina
Figaro
Basilio
Berta
Fiorello / Ufficiale
Ambrogio
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- Fine -