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Rossini Opera Festival

Pesaro
07.08.2024 - 23.08.2024


L'equivoco stravagante

Dramma giocoso in zwei Akten
Libretto von Gaetano Gasbarri
Musik von Gioachino Rossini

In italienischer Sprache mit italienischen und englischen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2 h 45' (eine Pause)

Wiederaufnahme-Premiere im Teatro Rossini in Pesaro am 8. August 2024
(Premiere der Produktion: 13.08.2019)


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Rossini Opera Festival

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Lange Nasen in skurriler Geschichte

Von Thomas Molke / Fotos: © Studio Amati Bacciardi (Rossini Opera Festival)

Rossinis Dramma giocoso L'equivoco stravagante nimmt im Operschaffen des Schwans von Pesaro eine besondere Stellung ein. Zum einen handelt es sich um die erste zweiaktige Buffo-Oper, die Rossini im zarten Alter von 19 Jahren komponierte, und markiert damit den Anfang einer Reihe von komischen Opern, die mit L'italiana in Algeri, Il barbiere di Siviglia und La Cenerentola ihren Höhepunkt erreichen sollten. Zum anderen war es die einzige Oper, die Rossini für Bologna komponierte. Der Uraufführung am 26. Oktober 1811 im Teatro del Corso war eigentlich ein beachtlicher Erfolg beschieden. Dennoch wurde das Werk trotz der großen Begeisterung des Publikums und der musikalischen Qualitäten nach drei Aufführungen abgesetzt. In Mailand wurde sogar ein Aufführungsverbot für das ganze Königreich Italien angeordnet. Grund dafür war die Zensur, die das Libretto als zu freizügig und verworfen einstufte. Dabei ging es vor allem um frivole Zweideutigkeiten im Text, die von Rossinis Musik noch unterstrichen wurden. Dass die Oper auch nach der Rossini-Renaissance immer noch ein Schattendasein fristet und meistens nur bei den beiden Festivals in Pesaro und Bad Wildbad zur Aufführung gelangt, dürfte an dem italienischen Sprachwitz liegen, der sich auch in der Übertitelung schwer ausdrücken lässt, und somit die Oper kaum für ein Publikum zugänglich macht, das der italienischen Sprache nicht mächtig ist. In Pesaro hat man nun die erfolgreiche Inszenierung von Moshe Leiser und Patrice Caurier wieder aufgenommen, die 2019 ihre Premiere in der Vitifrigo Arena erlebte. In diesem Jahr hat man die Produktion allerdings ins Teatro Rossini verlegt und schafft damit eine intimere Atmosphäre, die dem Werk gut tut.

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Ermanno (Pietro Adaíni, links) und Buralicchio (Carles Pachon, rechts) lieben Ernestina (Maria Barakova).

Von den zahlreichen Übersetzungsversuchen des Titels kann im Deutschen vielleicht die Bezeichnung Die verrückte Verwechslung, die das Belcanto Opera Festival Rossini in Wildbad für die erste Wiederaufführung der Oper im Jahr 1993 wählte, den Inhalt der Oper am besten beschreiben. Der neureiche Bauer Gamberotto will seine Tochter Ernestina mit dem wohlhabenden und etwas aufgeblasenen Buralicchio verheiraten. Doch Ernestina wird auch von dem mittellosen Ermanno geliebt, der von dem Dienerpaar Frontino und Rosalia unterstützt wird. Um Buralicchio loszuwerden, lässt Frontino diesem einen Brief zukommen, wonach Ernestina eigentlich Ernesto heiße und als kleiner Junge aufgrund einer viel versprechenden Knabenstimme kastriert worden sei. Da Gamberotto dann aber anderweitig zu Geld gekommen sei, habe "Ernesto" doch keine Gesangskarriere eingeschlagen und werde nun als Mädchen ausgegeben, um nicht zum Militär eingezogen zu werden. Buralicchio fällt auf diese Geschichte herein, beobachtet zum Entsetzen von Gamberotto nicht nur amüsiert Ermannos Annäherungsversuche, sondern zeigt Ernestina auch noch als Deserteur beim Militär an und lässt sie von Soldaten einsperren. Ermanno befreit Ernestina aus dem Gefängnis und sichert sich so die Gunst Gamberottos. Buralicchio erkennt, dass er hereingelegt worden ist, und beschließt resigniert, sich eine andere Frau zu suchen.

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Ermanno (Pietro Adaíni, vorne links) sucht Hilfe bei Frontino (Matteo Macchioni, hinten rechts) und Rosalia (Patricia Calvache).

Moshe Leiser und Patrice Caurier legen die Geschichte als Karikatur an und statten die Figuren mit überdimensionalen Nasen aus, so dass die ganze Komik ausgespielt werden kann, ohne dass man dabei die Logik hinterfragen muss. Das Bühnenbild von Christian Fennouillat kommt im Teatro Rossini besser zur Geltung als in der Vitifrigo Arena, da es sich nicht in der Weite der Bühne verliert. Der riesige goldene Rahmen, der die Bühne wie ein Gemälde einrahmt, wirkt hier wesentlich abgeschlossener. In einem Gemälde an der Rückwand, das diesen Rahmen auf der Bühne wieder aufgreift, sieht man friedlich grasende Kühe, die wohl Gamberottos einfache Herkunft als Bauer andeuten. Nach Ernestinas Befreiung aus dem Gefängnis wird das Bild zu einem Fenster, und eine Kuh blickt neugierig ins Zimmer herein. Das Zimmer ist genauso skurril gestaltet wie die langen Nasen der Figuren. Der ganze Raum ist mit einem beige-farbenen Tapetenmuster mit großen Blumenranken ausgestattet, das sich auch über die Türen ausbreitet. Als Vorhang fungiert eine Art Übergardine. Die Kostüme von Agostino Cavalca sind aufwändig opulent gehalten und erinnern an die Entstehungszeit der Oper. Ernestina wird in ihrem wallenden Kleid keineswegs maskulin dargestellt, so dass man sich fragt, wieso Buralicchio eigentlich auf diesen Schwindel hereinfällt. Die Regie arbeitet hier nur mit der Stimmlage Ernestinas, um bei Buralicchio den Eindruck entstehen zu lassen, dass es sich bei Ernestina wirklich um einen Ernesto handelt. Mag man die langen Nasen als Ausdruck der absolut skurrilen Handlung deuten, bleibt am Ende allerdings unklar, wieso die Figuren sie zum Schlussgesang abstreifen.

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Gamberotto (Nicola Alaimo, 2. von rechts) und Buralicchio (Carles Pachon, rechts), beobachten Ernestina (Maria Barakova) und Ermanno (Pietro Adaíni, links).

Musikalisch hat das Werk bereits einiges zu bieten, was Rossinis späteres Genie ausmacht. Dass vieles nicht unbekannt klingt, mag nicht verwundern, da sich Rossini nach der frühzeitigen Absetzung der Oper daran ausgiebig für seine späteren Werke bedient hat. Michele Spotti arbeitet am Pult der Filarmonica Gioachino Rossini die musikalische Vielfalt differenziert heraus und führt den Rossini-typischen Klang in grandiosen Steigerungen zur Perfektion. Hervorzuheben sind hier die schnellen Parlando-Stellen des Ensembles, deren Komposition Rossini auch in frühen Jahren schon meisterhaft beherrscht und die von den Herren des von Mirca Rosciani einstudierten Coro del Teatro della Fortuna und den Solistinnen und Solisten mit großer Präzision und punktgenauem Spiel umgesetzt werden. Vor allem das erste Finale vor der Pause, wenn alle irritiert über das anrückende Militär sind, kann als musikalischer Glanzpunkt des Abends bezeichnet werden. Die Tenorpartie des Ermanno ist noch nicht so virtuos gestaltet, wie man es aus späteren Opern Rossinis kennt, hat aber durchaus ihre Tücken. Pietro Adaíni verfügt über einen kräftigen Tenor, der in der großen Arie im zweiten Akt in den Läufen enorme Beweglichkeit zeigt, in den extremen Höhen allerdings an seine Grenzen stößt. Dass der Diener Frontino für einen Tenor komponiert ist, mag verwundern. Matteo Macchioni gestaltet die Partie mit flexiblem Spieltenor und darstellerischem Witz. Wieso er allerdings in der Eröffnungsszene mit Rosalia beim Liebesspiel gezeigt wird, erschließt sich nicht wirklich. Patricia Calvache gestaltet die Partie der Dienerin Rosalia mit strahlendem Sopran.

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Gamberotto (Nicola Alaimo, links) und Buralicchio (Carles Pachon, rechts) sind sich handelseinig.

Die beiden Paraderollen der Oper sind die Buffo-Partien Buralicchio und Gamberotto, die mit Carles Pachon und Publikumsliebling Nicola Alaimo hochkarätig besetzt sind. Alaimo begeistert als neureicher Bauer, der seine einfache Herkunft nicht verleugnen kann, mit kraftvollem, beweglichem Bariton und herrlich komödiantischem Spiel. Schon sein erster Auftritt ist an Komik kaum zu überbieten, wenn er sich überall kratzend über die ihn plagenden Insekten beschwert, die keinen Unterschied zwischen Arm und Reich machen. Die schnellen Läufe und Parlando-Stellen beherrscht Alaimo nicht nur in Perfektion, sondern führt sie sogar in selten erlebte Dimensionen. Hier spielt Alaimo wirklich gekonnt mit jeder einzelnen Silbe. Pachon gestaltet den Buralicchio als herrlich selbstverliebten Geck, vor dem kein Rock sicher ist. In seiner Auftrittskavatine punktet er durch markante Tiefen und flexible Stimmführung. Im Duett mit Alaimo treibt er die Komik dann auf die Spitze. Wie Schwiegervater und Schwiegersohn in spe sich gegenseitig mit Schmeicheleien überhäufen und dabei gekonnt in den Parlando-Stellen schwelgen, erweckt schon fast den Eindruck, dass die beiden besser zusammenpassen als Buralicchio und Ernestina. Umso härter ist dann der Bruch zwischen den beiden, wenn Gamberotto nach dem Missverständnis die Hand seiner Tochter doch dem mittellosen Ermanno gewährt und Buralicchio resigniert auf sie verzichtet.

Maria Barakova spielt den etwas merkwürdigen Charakter der Ernestina wunderbar aus. Ihrer Darstellung nimmt man ab, dass sie mit ihrem Verlangen nach hoher Literatur die Augen für das Wesentliche verliert. Stimmlich verfügt sie über einen vollen Mezzosopran, der zu Ausbrüchen in dramatische Höhen fähig ist. Mit hervorragender Diktion gestaltet sie die Rezitative und Parlando-Stellen mit dunkel gefärbter Stimme, so dass trotz aller weiblicher Optik durchaus die Frage aufkommen kann, ob Buralicchio mit seiner Vermutung, dass es sich bei Ernestina um einen Ernesto handelt, nicht doch recht haben könnte. Ein weiterer musikalischer Höhepunkt ist das Duett zwischen Barakova und Pachon im zweiten Akt, wenn Ernestina versucht, Buralicchio zu verführen, dieser jedoch angewidert vor ihren Annäherungsversuchen zurückschreckt. Auch das große Quintett, in dem sie sich nach der Zurückweisung durch Buralicchio Ermanno öffnet und dies von Rosalia, Gamberotto und Buralicchio mit unterschiedlichen Kommentaren beobachtet wird, kann als musikalischer Glanzpunkt des Abends bezeichnet werden. Die von Ermanno ermöglichte Flucht aus dem Kerker mit dem anschließenden feurigen Appell an die Soldaten gestaltet Barakova mit herrlich übertriebener Theatralik, die die Ironie der Szene auf die Spitze treibt. So gibt es am Ende verdienten Jubel für alle Beteiligten.

FAZIT

Moshe Leiser und Patrice Caurier finden eine zeitlose Umsetzung von Rossinis Frühwerk mit großem Komik-Potenzial auf hohem musikalischem Niveau. Der komplette Sprachwitz erschließt sich aber wahrscheinlich nur, wenn man des Italienischen mächtig ist.

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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Michele Spotti

Regie
Moshe Leiser
Patrice Caurier

Bühnenbild
Christian Fenouillat

Kostüme
Agostino Cavalca

Licht
Christophe Forey

Chorleitung
Mirca Rosciana



Coro del Teatro della Fortuna

Filarmonica Gioachino Rossini


Solistinnen und Solisten

Ernestina
Maria Barakova

Gamberotto
Nicola Alaimo

Buralicchio
Carles Pachon

Ermanno
Pietro Adaíni

Rosalia
Patricia Calvache

Frontino
Matteo Macchioni

 


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