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Bruckner, Björk und das schwierige Verhältnis der Industriegesellschaft zur Naturvon Stefan Schmöe / Fotos © Christian Palm Glanz und Elend der Industriekultur: Die Zeche Zollverein galt schon zu Betriebszeiten als "schönste Zeche der Welt". Seit 2001 gehört der Komplex zum UNESCO-Weltkulturerbe, die 1958-61 erbaute (und 1993 geschlossene) Kokerei eingeschlossen. Andererseits sind solche monumentalen Anlagen eben auch sichtbare Zeichen der Aneignung und Ausbeutung der Natur. In diesem Spannungsfeld bespielt der polnische Regisseur Krystian Lada die Mischanlage der Kokerei, in der verschiedene Kohlesorten gelagert und im passenden Verhältnis gemischt wurden, mit der Musiktheater-Installation Abendzauber. Dass es hier um Romantik geht, zeigt ein riesiges Plakat an der sachlichen Backsteinfassade, das einen Sonnenuntergang von Caspar David Friedrich zum Hintergrund hat (ein paar andere Gemälde des Künstlers kann man sich auf Bildschirmen vor Beginn der Veranstaltung anschauen).
Die Installation ist auf drei Ebenen verteilt, die man beim (geführten und an die Musik angepassten) Durchwandern des Gebäudes als drei Akte erleben kann. Doch zunächst muss man das enge Treppenhaus bis zum Dach des Komplexes hinaufsteigen (wofür man mit einem eindrucksvollen Ausblick belohnt wird, der zeigt, dass die Natur sich durchaus große Flächen zurückerobert hat). Im Innenraum wird man von einem Männerchor erwartet, historisch gekleidet mit großen zylinderförmigen Hüten mit Federbesatz (und einheitlichen Schnurrbärten) wie eine Bergmannskapelle. Gesungen werden weltliche Chorlieder von Anton Bruckner, darunter eben jenes mit dem Titel Abendzauber aus dem Jahr 1878, das diesem Projekt den Namen gibt. Mit einer Solostimme über Brummstimmen und einem Hörnerquartett (in dieser Bearbeitung werden dessen kurze Einwürfe vom Chor übernommen) handelt es sich um eine ziemlich merkwürdige Komposition, die zu Bruckners Lebzeiten vermutlich nie aufgeführt wurde, sich in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts aber einiger Beliebtheit erfreut haben muss.
Inhaltlich geht es im Gedicht von Heinrich von der Mattig (einem Arzt und Freund Bruckners) um den Zauber der nächtlichen Natur. In kleiner Besetzung singen die Herren vom Chorwerk Ruhr dieses und andere Lieder mit schlankem, ausgewogenem Klang. Zwischen den verschiedenen Werken wechselt der Chor den Ort innerhalb des Raumes, was sehr pathetisch und würdevoll im Gleichschritt geschieht. Wie hier die im Zuge der Industriealisierung entschwindende Natur mit künstlerischen Mitteln beschworen wird, das besitzt ein gewisses Maß an Komik. Eindrucksvoll ist dagegen ein großer scheibenförmiger Eisblock in der Mitte des Raumes, in dem Zweige, Blätter und auch Tiere eingefroren sind und der langsam abtaut. Auch so ein scheiternder Versuch, Natur zu konservieren. Leider ist die Textverständlichkeit in dem halligen Raum ziemlich schlecht.
Nach vielleicht einer halben Stunde wird man aufgefordert, über die in den Betonbau eingelassenen Metalltreppen eine Ebene nach unten zu steigen, wo man durch mehrere Räume mit unterschiedlicher und wechselnder Beleuchtung wandeln kann, die zudem durch Duftstoffe unterschiedliche Gerüche aufweisen. Es begegnen einem Akteure in dunklen Gewändern. Sie tragen Perücken, die Haare auf allen Seiten aufweisen und die Gesichter vollständig verdecken. Offensichtlich sind das Figuren aus Friedrich'schen Gemälden, die dem Betrachter ja immer den Rücken zuwenden und hier durch die Betonkammern spuken. In einem Raum ist der Boden mit Schnee bedeckt. Irgendwann beginnt hier ein Kind zu singen, Der Mond ist aufgegangen, bricht aber plötzlich ab und schleudert dem Publikum wütende Tiraden entgegen. Dann geht es aus diesem romantischen Panoptikum wieder eine Ebene nach unten, wo in güldenem Licht ein langgezogenes Wasserbassin wartet, in dem sich nackte und halbnackte Gestalten bewegen.
Die Frauen vom Chorwerk Ruhr treten bald hinzu, in knappe hautfarbene und hellbraune Leibchen und Gummistiefel gekleidet. Manchmal waten sie durch das Bassin, teilweise singen sie von außerhalb. Als Musik hört man Songs der Ausnahme-Pop-Sängerin Björk, für Chor umgearbeitet (wobei Beautyful mother nicht von ihr selbst, sondern von David Longstreth komponiert wurde). Die Choristinnen singen mit schwebendem, zartem Klang und beeindruckend sauberer Intonation. Bei einer solchen Bearbeitung geht natürlich der unverwechselbare, charismatische Klang der Stimme von Björk verloren, allerdings auch die rhythmische Schärfe der Songs. So betörend schön die Frauen vom Chorwerk Ruhr auch singen: Die Musik von Björk wird weichgespült. Dazu nähert sich im Wasser ein gänzlich unbekleideter Mann einer ebensolchen Frau, worin man einen frühzeitlichen oder antiken Fruchtbarkeitskult erahnen kann. Dann gibt es eine große Versöhnungsrunde mit vielen wechselseitigen Küsschen auf die Wange. Sollen sich hier Mensch und Natur in einem paradiesischen Urzustand versöhnen? Wohlwollend kann man das Szenario wie die gesamte Installation als "poetisch" bezeichnen. Mit "großer Kitsch" liegt man allerdings auch nicht ganz falsch. Dieser Abendzauber ist irgendetwas dazwischen.
In dieser immersiven Installation gibt es viel zu hören, sehen und sogar zu riechen - ein Kunsterlebnis ganz eigener Art. Wobei man auch zu dem Schluss kommen kann: Mehr Erlebnis als Kunst.
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Produktionsteam
Dirigenten
Konzept, Regie, Design
Licht Design
Choreographie
Sound Design
Co-Kostümbild
Co-Lichtdesign Darstellerinnen und DarstellerDominik WićcekYing Yun Chen Jolinus Pape Patrycja Kowałska Mohamed Ben Salah Ana Isabel Vieira Carvalho Christiane Schröder Fiammetta Ruggiero Kai Griebel Leonard A. Cruz Samantha Shay Susanne Hille KompositionenAnton Bruckner:Abendzauber (arr. Sebastian Breuing) Der Abendhimmel Träumen und Wachen Ständchen Trösterin Musik Das hohe Lied Herbstlied (arr. Sebastian Breuing) Sternschnuppen Um Mitternacht Björk: Pleasure Is All Mine (arr. Marc Schmolling) Beautiful Mother (Komposition: David Longstreth; arr. Marc Schmolling) Sorrowful Soil (arr. Marc Schmolling) Atopos (arr. Caroline Shaw) Wanderlust (arr. Caroline Shaw) Desired Constellation (arr. Caroline Shaw) weitere Berichte von der Ruhrtriennale 2024 - 2026 Homepage der Ruhrtriennale Die Ruhrtriennale in unserem Archiv |
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