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Abendzauber

Musiktheater-Installation von Krystian Lada
Musik von Björk, Anton Bruckner und David Longstreth

Dauer des (geleiteten) Rundgangs durch die Installation: ca. 1h 30'

Uraufführung am 23. August 2024 in der Mischanlage der Kokerei Zollverein
(rezensierte Aufführung: 23. August 2024, 19:30 Uhr)

Logo: Ruhrtriennale 2024

Bruckner, Björk und das schwierige Verhältnis der Industriegesellschaft zur Natur

von Stefan Schmöe / Fotos © Christian Palm

Glanz und Elend der Industriekultur: Die Zeche Zollverein galt schon zu Betriebszeiten als "schönste Zeche der Welt". Seit 2001 gehört der Komplex zum UNESCO-Weltkulturerbe, die 1958-61 erbaute (und 1993 geschlossene) Kokerei eingeschlossen. Andererseits sind solche monumentalen Anlagen eben auch sichtbare Zeichen der Aneignung und Ausbeutung der Natur. In diesem Spannungsfeld bespielt der polnische Regisseur Krystian Lada die Mischanlage der Kokerei, in der verschiedene Kohlesorten gelagert und im passenden Verhältnis gemischt wurden, mit der Musiktheater-Installation Abendzauber. Dass es hier um Romantik geht, zeigt ein riesiges Plakat an der sachlichen Backsteinfassade, das einen Sonnenuntergang von Caspar David Friedrich zum Hintergrund hat (ein paar andere Gemälde des Künstlers kann man sich auf Bildschirmen vor Beginn der Veranstaltung anschauen).

Vergrößerung in neuem Fenster Erste Ebene: Bruckner, gesungen im historischen Kostüm, erzählt vom Naturverständnis im 19. Jahrhundert

Die Installation ist auf drei Ebenen verteilt, die man beim (geführten und an die Musik angepassten) Durchwandern des Gebäudes als drei Akte erleben kann. Doch zunächst muss man das enge Treppenhaus bis zum Dach des Komplexes hinaufsteigen (wofür man mit einem eindrucksvollen Ausblick belohnt wird, der zeigt, dass die Natur sich durchaus große Flächen zurückerobert hat). Im Innenraum wird man von einem Männerchor erwartet, historisch gekleidet mit großen zylinderförmigen Hüten mit Federbesatz (und einheitlichen Schnurrbärten) wie eine Bergmannskapelle. Gesungen werden weltliche Chorlieder von Anton Bruckner, darunter eben jenes mit dem Titel Abendzauber aus dem Jahr 1878, das diesem Projekt den Namen gibt. Mit einer Solostimme über Brummstimmen und einem Hörnerquartett (in dieser Bearbeitung werden dessen kurze Einwürfe vom Chor übernommen) handelt es sich um eine ziemlich merkwürdige Komposition, die zu Bruckners Lebzeiten vermutlich nie aufgeführt wurde, sich in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts aber einiger Beliebtheit erfreut haben muss.

Vergrößerung in neuem Fenster Erste Ebene: Eingefrorene Natur

Inhaltlich geht es im Gedicht von Heinrich von der Mattig (einem Arzt und Freund Bruckners) um den Zauber der nächtlichen Natur. In kleiner Besetzung singen die Herren vom Chorwerk Ruhr dieses und andere Lieder mit schlankem, ausgewogenem Klang. Zwischen den verschiedenen Werken wechselt der Chor den Ort innerhalb des Raumes, was sehr pathetisch und würdevoll im Gleichschritt geschieht. Wie hier die im Zuge der Industriealisierung entschwindende Natur mit künstlerischen Mitteln beschworen wird, das besitzt ein gewisses Maß an Komik. Eindrucksvoll ist dagegen ein großer scheibenförmiger Eisblock in der Mitte des Raumes, in dem Zweige, Blätter und auch Tiere eingefroren sind und der langsam abtaut. Auch so ein scheiternder Versuch, Natur zu konservieren. Leider ist die Textverständlichkeit in dem halligen Raum ziemlich schlecht.

Vergrößerung in neuem Fenster Zweite Ebene: Rückenfiguren aus Bildern Caspar David Friedrichs spuken durch die Räume

Nach vielleicht einer halben Stunde wird man aufgefordert, über die in den Betonbau eingelassenen Metalltreppen eine Ebene nach unten zu steigen, wo man durch mehrere Räume mit unterschiedlicher und wechselnder Beleuchtung wandeln kann, die zudem durch Duftstoffe unterschiedliche Gerüche aufweisen. Es begegnen einem Akteure in dunklen Gewändern. Sie tragen Perücken, die Haare auf allen Seiten aufweisen und die Gesichter vollständig verdecken. Offensichtlich sind das Figuren aus Friedrich'schen Gemälden, die dem Betrachter ja immer den Rücken zuwenden und hier durch die Betonkammern spuken. In einem Raum ist der Boden mit Schnee bedeckt. Irgendwann beginnt hier ein Kind zu singen, Der Mond ist aufgegangen, bricht aber plötzlich ab und schleudert dem Publikum wütende Tiraden entgegen. Dann geht es aus diesem romantischen Panoptikum wieder eine Ebene nach unten, wo in güldenem Licht ein langgezogenes Wasserbassin wartet, in dem sich nackte und halbnackte Gestalten bewegen.

Vergrößerung in neuem Fenster Dritte Ebene: Versöhnt uns paradiesische (Halb-)Nacktheit zu Musik von Björk mit der Natur?

Die Frauen vom Chorwerk Ruhr treten bald hinzu, in knappe hautfarbene und hellbraune Leibchen und Gummistiefel gekleidet. Manchmal waten sie durch das Bassin, teilweise singen sie von außerhalb. Als Musik hört man Songs der Ausnahme-Pop-Sängerin Björk, für Chor umgearbeitet (wobei Beautyful mother nicht von ihr selbst, sondern von David Longstreth komponiert wurde). Die Choristinnen singen mit schwebendem, zartem Klang und beeindruckend sauberer Intonation. Bei einer solchen Bearbeitung geht natürlich der unverwechselbare, charismatische Klang der Stimme von Björk verloren, allerdings auch die rhythmische Schärfe der Songs. So betörend schön die Frauen vom Chorwerk Ruhr auch singen: Die Musik von Björk wird weichgespült. Dazu nähert sich im Wasser ein gänzlich unbekleideter Mann einer ebensolchen Frau, worin man einen frühzeitlichen oder antiken Fruchtbarkeitskult erahnen kann. Dann gibt es eine große Versöhnungsrunde mit vielen wechselseitigen Küsschen auf die Wange. Sollen sich hier Mensch und Natur in einem paradiesischen Urzustand versöhnen? Wohlwollend kann man das Szenario wie die gesamte Installation als "poetisch" bezeichnen. Mit "großer Kitsch" liegt man allerdings auch nicht ganz falsch. Dieser Abendzauber ist irgendetwas dazwischen.


FAZIT

In dieser immersiven Installation gibt es viel zu hören, sehen und sogar zu riechen - ein Kunsterlebnis ganz eigener Art. Wobei man auch zu dem Schluss kommen kann: Mehr Erlebnis als Kunst.




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Produktionsteam

Dirigenten
Alexander Lüken
Sebastian Breuing

Konzept, Regie, Design
Krystian Lada

Licht Design
Aleksandr Prowalinski

Choreographie
Dominika Knapik

Sound Design
Thomas Wegener

Co-Kostümbild
Nicola Gördes

Co-Lichtdesign
Sebastian Klim


Chorwerk Ruhr


Darstellerinnen und Darsteller

Dominik Wićcek
Ying Yun Chen
Jolinus Pape
Patrycja Kowałska
Mohamed Ben Salah
Ana Isabel Vieira Carvalho
Christiane Schröder
Fiammetta Ruggiero
Kai Griebel
Leonard A. Cruz
Samantha Shay
Susanne Hille

Kompositionen

Anton Bruckner:
Abendzauber (arr. Sebastian Breuing)
Der Abendhimmel
Träumen und Wachen
Ständchen
Trösterin Musik
Das hohe Lied
Herbstlied (arr. Sebastian Breuing)
Sternschnuppen
Um Mitternacht


Björk:
Pleasure Is All Mine (arr. Marc Schmolling)
Beautiful Mother
(Komposition: David Longstreth; arr. Marc Schmolling)
Sorrowful Soil (arr. Marc Schmolling)
Atopos (arr. Caroline Shaw)
Wanderlust (arr. Caroline Shaw)
Desired Constellation (arr. Caroline Shaw)


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