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Irritierendes Musiktheater für Alleskönnervon Stefan Schmöe / Fotos © Tristram Kenton
Nicht nur der Titel dieser Produktion hat es in sich. Das Wort "Faggots" ist eine abwertende Bezeichnung für homosexuelle Männer. Übernommen ist er von dem gleichnamigen Roman des amerikanischen Schriftstellers Larry Mitchell aus dem Jahr 1977 mit dem Ziel, "das Wort auf eine liebevolle, unterstützende und positive Art und Weise zurückzugewinnen" - so teilt die Ruhrtriennale vorab mit. Und weil genau dieses Wort [also "faggots"] eine zentrale Bedeutung für die Produktion hat, kommt man bei einer Auseinandersetzung mit dieser nicht darum herum. Daher sei ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es in dieser Rezension ausschließlich dazu verwendet wird, das Bühnengeschehen zu beschreiben und einzuordnen.
Ted Huffmann hat auf Grundlage des Romans ein Libretto erstellt, das auf Dialoge verzichtet und den durchlaufenden Text wechselnden Akteur:innen ohne Rollenzuweisung anvertraut. Wobei es ohnehin keine individuellen Rollen gibt, sondern märchenhaft die Geschichte der "Faggots" erzählt wird, beginnend in einem paradiesischen Urzustand, in dem gelebte Sexualität als Austausch von Zärtlichkeiten gesellschaftlich nicht sanktioniert ist. Die verschiedenen "Revolutionen" beschreiben Stufen der Verfolgung und Unterdrückung. Der märchenhafte Erzählstil und Sprachduktus erinnern dabei immer wieder an die Art und Weise, wie z. B. Schriftsteller J. R. R. Tolkien (Der Herr der Ringe über die Hobbits schreibt. Die "Faggots" in dieser Oper sind dargestellt als ein liebenswertes, in ihrer Individualität vielleicht ein wenig eigenwilliges Grüppchen, das sich permanent einem übermächtigen Feind zu erwehren hat, und das sind "the Men". Neben dem ironischen Spiel mit Geschlechtsrollen, das den Text durchzieht, stehen "the Men" aber als Symbol für ein gesichtsloses und uniformes kapitalistisches System. Dieses betet "Papiere" an (hinter denen man Geld und abstrakte Finanzprodukte sehen kann) und gewinnt dadurch an Effizienz, dass alle Menschen sich durch Anpassung und Unterordnung unter starre Regeln immer mehr einander angleichen. (In der deutschen Jugendliteratur findet man ein in der Grundausrichtung ganz ähnliches, allerdings nicht sexuell konnotiertes Konstrukt in Michael Endes Roman Momo mit dem Kampf der Titelheldin gegen die "grauen Herren von der Zeit-Sparkasse").
Huffmann spielt im Libretto mit dem Provokationspotential, das daraus entsteht, dass Mitchells Underground-Roman mit seiner derben Sprache auf die Opernbühne und damit in die Sphäre der Hochkultur versetzt wird. So streut er im Text immer wieder das Wort "ficken" ein (das englische "to fuck" bzw. "fucking" bewegt sich noch drastischer zwischen Tätigkeit und Beschimpfung), was im Kontext des Musiktheaters durchaus noch einen Überraschungseffekt besitzt. Ansonsten atmet der Text den rebellischen Geist der 1970er-Jahre, was in dieser Bühnenversion aber eine ganz originelle Distanz schafft. Es bringt gerade dann, wenn die Erzählung im Kontrast aus märchenhaftem Gestus und gesellschaftspolitischer Kritik ein wenig anachronistisch wirkt, zum Nachdenken, in wie weit die aktuellen Zustände eigentlich besser sind.
Mit den "Friends" im Titel sind andere nicht heterosexuelle Lebensformen gemeint. Auf der Bühne und in der Inszenierung, für die ebenfalls Ted Huffmann verantwortlich ist, spielen sexuelle Ausprägungen allerdings fast gar keine Rolle. Die Darstellenden tragen Alltagskleidung, teils eher unauffällig normal, teils extrovertiert oder mit Kleidungsstücken, die sich in anderen Kulturkreisen verorten lassen. Das betont die Unterschiedlichkeit und damit die Individualität aller hier agierenden Personen. Dabei hebt die Konzeption des Werkes die klassischen Hierarchien zwischen Dirigent, Orchester und Bühnendarstellern auf. Hier müssen alle Akteure singen, spielen und musizieren, kurz: Sie müssen Alleskönner sein. Und das machen sie ganz hervorragend. Es gibt keinen Orchestergraben, sondern die kammermusikalisch klein besetzte Musik ertönt auf der Bühne aus den Aktionen heraus. Wenn ein Dirigat erforderlich ist, geschieht dies im Durcheinander, ohne dass der dirigierenden Person daraus eine übergeordnete Rolle zufallen würde. So zeigt das Stück allein schon durch seine Form eine herrschaftsfreie Idealgesellschaft.
Es gibt kein Bühnenbild und keinerlei Illustrationen der hier erzählten Geschichte, deren Bebilderung als Kopfkino dem Publikum überlassen wird. Die meisten Aktionen sind musikalischer Natur. Komponist Philip Venables hat, dem märchenhaften "Es-war-einmal"-Ton entsprechend, eine collagenhafte Tonsprache gefunden, die in vielen Passagen wie verfremdete Musik des Frühbarock klingt und Instrumente wie Cembalo und (sehr bühnenwirksam) Theorbe einsetzt. Der Charakter kann aber ganz plötzlich umschlagen, wodurch ein wilder eklektischer Stilmix entsteht und das gefühlte Tempo der Geschichte immer wieder wechselt. Daraus ergeben sich poetische Klangbilder - mit einer Doppelbödigkeit, bei der man sich nie ganz sicher fühlen kann, nicht im nächsten Moment durch eine Umdeutung aus großer Schönheit herausgerissen zu werden und hart zu landen.
Aus dem ganz ausgezeichneten Ensemble, dass alle Anforderungen des Werkes virtuos meistert, ragt dann doch eine Figur heraus, und das ist Kit (Christopher) Green, nach eigener Darstellung eine nicht-binäre Person, mit elegantem Kleid und auf Stöckelschuhen im Stile einer weiblichen Diva alten Schlages. In der Mitte des Abends hat diese Person einen großen, improvisiert wirkenden Monolog, wie alle Texte in englischer Sprache (aber hier gibt es, anders als in allen anderen Passagen, keine Übersetzung per Übertitel, was das Verstehen bei hohem Sprechtempo nicht ganz einfach macht). Das Publikum wird aufgefordert, ein Lied mitzusingen (was es brav und ziemlich musikalisch auch macht). Darin geht es darum, dass die Gesunden ("the sane") alle irgendwie von der Norm Abweichenden ("the insane") einsperren. Den Zellenschlüssel kann man - Kafka lässt grüßen - nur erhalten, wenn man bereits zu den "insane" gehört. Auch solche Mitmach-Aktionen wirken aus der Zeit gefallen. Irritierende Momente gibt es viele an diesem Abend. Das Stück schwappt hin und her wie frühe Tanztheater-Abende von Pina Bausch; es gibt ungemein viel zu sehen und zu hören.
In der Gesamtbetrachtung dieser Produktion, die von Festival zu Festival tourt, ist der gesellschaftliche Umgang mit Homosexualität eine mögliche, aber gar nicht unbedingt die entscheidende Frage. Man kann in diesem Stück mehr noch den allgemeineren Konflikt zwischen gesellschaftlicher Anpassung und ausgelebter Individualität sehen. Unterhaltsam und kurzweilig ist das allemal. Das Finale bringt in einer plötzlichen Wendung ein apokalyptisches Ende: Die Selbstzerstörung der Community. Das ist dann doch etwas viel.
Eine spannende, manchmal poetische, manchmal irritierende, oft überraschende, auf jeden Fall sehenswerte Produktion.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Choreographie und Kostümbild
Bühnenbild
Licht Design
Sound Design
Dramaturgie MitwirkendeValerie BarrKerry Bursey Jacob Garside Kit Green Conor Gricmanis Mariamielle Lamagat Eric Lamb Themba Mvula Yshani Perinpanayagam Meriel Price Collin Shay Daniel Shelvey Joy Smith Yandass Lauren Young weitere Berichte von der Ruhrtriennale 2024 - 2026 Homepage der Ruhrtriennale Die Ruhrtriennale in unserem Archiv |
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