Zur OMM-Homepage Zur OMM-Homepage Veranstaltungen & Kritiken
Musikfestspiele
Zur OMM-Homepage Zur Festspiel-Startseite E-Mail Impressum



Klangvokal 2025
Musikfestival Dortmund
01.06.2025 - 22.06.2025

Stiffelio

Dramma lirico in drei Akten und fünf Bildern
Libretto von Francesco Maria Piave nach dem Drama Le Pasteur ou L'Évangile et le foyer von Eugène Bourgeois (nach der Novelle Le Pasteur d'hommes von Émile Souvestre) in der italienischen Übersetzung von Gaetano Vestri als Stifelius (1849)
Musik von Giuseppe Verdi

in italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2 h 45' (eine Pause)

Aufführung im Konzerthaus Dortmund am 6. Juni 2025, 19.30 Uhr

 

 

Homepage

 

 

Vergebung im großen Stil

Von Thomas Molke / Fotos: © Oliver Hitzegrad

Während Verdis Rigoletto zur sogenannten "trilogia popolare" zählt, die den Durchbruch seiner musikästhetischen Konzeption markiert, fristet der kurz zuvor komponierte Stiffelio ein Schattendasein, obwohl sich der Komponist sich einen größeren Erfolg versprochen hatte. Dass ihm dieser bei dem am 16. November 1850 in Triest uraufgeführten Dramma lirico nicht gelungen war, lag wohl weniger an der musikalischen Qualität als vielmehr an der Zensur, die dazu führte, dass das Werk zunächst bis zur Unkenntlichkeit zerlegt wurde und dann schließlich von den Opernbühnen verschwand. Die Geschichte um einen evangelischen Pfarrer, der sich von seiner ehebrecherischen Gattin trennt, dieser jedoch am Ende verzeiht, war für die damalige Zeit auf der Opernbühne undenkbar. So wurde zunächst der letzte Akt gestrichen. Bei einer späteren Aufführung wurde die Titelfigur zu Guglielmo Wellingrode, einem Premierminister eines deutschen Fürstentums im 15. Jahrhundert. So kam Verdi schließlich zu dem Entschluss, eine weitere Verbreitung des Werkes zu verbieten. 1857 arbeitete er das Stück noch einmal komplett um und brachte es als Oper in vier Akten unter dem Titel Aroldo heraus. Der ehemalige Pfarrer war nun ein gläubiger Kreuzritter, der sein Leben im Heiligen Land für das Christentum aufs Spiel gesetzt hatte. Doch auch dieser Fassung war kein großer Erfolg beschieden. 1968 kam dann am Teatro Regio in Parma Stiffelio in der von Verdi intendierten unzensierten Originalversion heraus, die man in den Jahren zuvor aus zwei in einer Bibliothek von Neapel gefundenen Kopien als Rekonstruktion erstellt hatte. 1995 folgte die Erstaufführung an der Mailänder Scala. Bis heute steht die Oper allerdings trotz der musikalischen Qualitäten immer noch recht selten auf den Spielplänen, so dass sich das Klangvokal Musikfestival in diesem Jahr entschieden hat, das Stück als konzertante Aufführung mit zahlreichen Rollen-Debüts zu präsentieren.

Die Handlung basiert auf einem Drama von Eugène Bourgeois und der Novelle von Émile Souvestre aus dem Jahr 1849 und spielt im 19. Jahrhundert am Ufer der Salzach. Während sich der protestantische Prediger Stiffelio auf einer längeren Missionsreise befindet, hat  Raffaele von Leuthold Stiffelios Ehefrau Lina verführt. Der Ehebruch droht aufzufliegen, da Stiffelio bei seiner Rückkehr ein Schriftstück überreicht worden ist, das Raffaele bei der Flucht aus Linas Zimmer verloren hat. Doch Stiffelio verzichtet darauf, weitere Nachforschungen anzustellen, und vernichtet das Schriftstück vor aller Augen. Ein weiterer Brief Raffaeles an Lina wird von Linas Vater, Oberst Stankar, abgefangen, der das ehemalige Verhältnis zwar missbilligt, seine Tochter aber dennoch davon abhält, ihrem Gatten aus Reue den Ehebruch zu gestehen. Stattdessen beschließt er, Raffaele zum Duell zu fordern. Als es am Grab von Linas Mutter zu einer Auseinandersetzung zwischen Stankar und Raffaele kommt, geht Stiffelio dazwischen und erfährt so von dem Ehebruch seiner Frau. Nachdem er durch den alten Geistlichen Jorg daran gehindert worden ist, selbst an Raffaele Rache zu nehmen, beschließt er, seine Frau für den Rivalen freizugeben, und zwingt sie, die Scheidungsurkunde zu unterschreiben. Während Lina ihm gesteht, den Fehltritt zu bereuen und ihren Gatten immer geliebt zu haben, tötet Stankar Raffaele im Nebenraum. In einer Predigt, in der Stiffelio die Geschichte von Jesus und der Ehebrecherin vorliest, verzeiht er schließlich seiner Gattin.

Bild zum Vergrößern

Lorenzo Passerini mit dem WDR Funkhausorchester

Musikalisch zeigt der Abend, dass diese Oper Verdis tatsächlich zu Unrecht vernachlässigt wird. Bereits in der Ouvertüre malt Lorenzo Passerini mit dem WDR Funkhausorchester mit präzisem und fulminantem Klang die Vielschichtigkeit der Partitur aus, die zwischen Solo-Instrumenten und Tutti-Passagen changiert. Man hat bei Passerinis Dirigat das Gefühl, das er jedem einzelnen Ton mit ganzem Körpereinsatz auf den Grund geht. Der von Rustam Samedov einstudierte WDR Rundfunkchor singt von unterschiedlichen Positionen im Konzerthaus. Zu Beginn und am Ende steht er auf der Chorempore hinter dem Orchester und überzeugt mit homogenem Klang. Wenn in der Kirchenszene kurz vor dem Ende die riesige Orgel fulminant zum Einsatz kommt, erschallt der Chor aus dem oberen Rang im Saal und erzeugt so eine intensive Klangatmosphäre, was die emotionsgeladene Szene noch unterstreicht.

Bild zum Vergrößern

Angelo Villari als Stiffelio mit Lorenzo Passerini (links)

Auch die Solistinnen und Solisten lassen den Opernabend zu einem musikalischen Genuss avancieren. Die Titelpartie wird von dem Shooting-Star Angelo Villari interpretiert. Mit kraftvollen und sauber angesetzten Höhen begeistert der italienische Tenor direkt in seiner ersten Arie und zeigt auch im weiteren Verlauf des Abends keinerlei Ermüdungserscheinungen. Mit großer Emotionalität interpretiert er den inneren Kampf Stiffelios zwischen seinen Gefühlen und seiner Verantwortung als Prediger, nachdem er vom Ehebruch seiner Gattin erfahren hat. Hier setzt Villari zu grandiosen Spitzentönen an, die den ganzen Raum einnehmen. Absolut hart zeigt er sich dann Lina gegenüber, wenn er sie zwingt, die Scheidungspapiere zu unterzeichnen. Geläutert kommt er dann in der Schlussszene daher, wenn er ihr bei der Predigt großmütig vergibt. Hier hat Verdi musikalisch wirklich alles aufgeboten, was das Publikum begeistern kann.

Bild zum Vergrößern

Pretty Yende als Lina mit Lorenzo Passerini

Pretty Yende, die in der vergangenen Spielzeit in Dortmund bereits in einer großen Operngala mit ihrem strahlenden Sopran glänzte, gibt ein umjubeltes Rollen-Debüt als Lina. Schon im ersten Akt punktet sie mit leuchtenden Höhen, wenn sie ihrem Gatten voller Reue den Ehebruch gestehen will, und untermalt die Szene mit sauber angesetzten Spitzentönen. Yende zeigt sich am Ende der Arie sichtlich bewegt. Ein weiterer Glanzpunkt ist ihre große Arie im zweiten Akt, wenn sie am Grab ihrer Mutter Zuflucht sucht. Yende gestaltet diese große Szene mit warmem Sopran und findet bei den Pianostellen sehr weiche Töne, die die Zerbrechlichkeit der jungen Frau unterstreichen und zeigen, wie sehr Lina von ihren Schuldgefühlen gequält wird. Am Ende holt sie zu einem sauberen Spitzenton aus, der unter Sopranistinnen ihresgleichen sucht. Der Saal tobt, und Passerini lässt Yende nahezu ehrfurchtsvoll diesen Triumph auskosten. Auch das folgende Duett mit Villari, in dem Lina ihren Gatten bittet, ihr wenigstens nach der Scheidung noch als Geistlicher zur Verfügung zu stehen, wird von Yende und Villari großartig umgesetzt.

Bild zum Vergrößern

Insik Choi (rechts) als Stankar und Carlos Cardoso (links) als Raffaele

Natürlich gibt es kein Operndrama ohne ein gewisses Drama hinter den Kulissen. Eine Woche vor der Aufführung wurde bekannt, dass der italienische Bariton Gabriele Viviani für die Partie des Stankar krankheitsbedingt ausfällt, und man musste sich relativ kurzfristig um einen Ersatz bemühen, was bei einem Stück wie Verdis Stiffelio kein leichtes Unterfangen ist. Sänger, die diese Partie bereits einstudiert haben, waren entweder ebenfalls krank oder durch andere Verpflichtungen nicht verfügbar. Zum Glück hat man den südkoreanischen Bariton Insik Choi aus dem Ensemble der Oper Köln gewinnen können, der innerhalb einer Woche die Partie neu einstudiert hat. Mit profunden Tiefen gestaltet er Linas Vater, der seine Tochter schützen will und bereit ist, den Ehebrecher zum Duell zu fordern. Voller Verzweiflung legt er die große Arie zu Beginn des dritten Aktes an, wenn er beschließt, Selbstmord zu begehen, nachdem Stiffelio vom Ehebruch seiner Frau erfahren hat. Hier begeistert Choi mit berührender Tiefe. Musikalisch ist bereits eine gewisse Nähe zu Verdis Rigoletto zu erkennen, wenn dessen Tochter Gilda geraubt worden ist.

Carlos Cardoso gestaltet die Partie des Ehebrechers Raffaele mit jugendlichem Tenor und liefert sich im Duett mit Choi im zweiten Akt stimmlich einen hervorragenden Schlagabtausch. Umso unspektakulärer ist dann sein Abgang im letzten Akt, wenn er hinter der Bühne von Stankar ermordet wird. George Andguladze, Verena Kronbichler und Anton Kuzenok runden in den kleineren Partien des Jorg, der Dorotea und des Federico den Abend überzeugend ab, so dass es am Ende zu Recht frenetischen Jubel für alle Beteiligten gibt.

FAZIT

Wer sich von den Qualitäten dieses vernachlässigten Meisterwerkes überzeugen möchte, hat am 28. Juni 2025 um 20.03 Uhr auf WDR 3 und anderen Sendern der ARD die Gelegenheit, wenn ein Mitschnitt des Konzertes übertragen wird.

Weitere Rezensionen zum Klangvokal Festival Dortmund 2025

 

Ausführende

Musikalische Leitung
Lorenzo Passerini

 

WDR Funkhausorchester

WDR Rundfunkchor
Choreinstudierung
Rustam Samedov

 

Solistinnen und Solisten

Stiffelio, ein ahasverianischer Geistlicher
Angelo Villari

Lina, Stiffelios Frau
Pretty Yende

Stankar, ein alter Oberst und Reichsgraf,
Linas Vater

Insik Choi

Raffaele, Edler von Leuthold
Carlos Cardoso

Jorg, ein alter Geistlicher
George Andguladze

Dorotea, Linas Cousine
Verena Kronbichler

Federico di Frengel, Linas Vetter
Anton Kuzenok


Weitere
Informationen

erhalten Sie unter
Klangvokal Dortmund
(Homepage)



Da capo al Fine

Zur OMM-Homepage Zur Festspiel-Startseite E-Mail Impressum

© 2025 - Online Musik Magazin
http://www.omm.de

- Fine -