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Internationale Händel-Festspiele Göttingen
16.05.2025 - 25.05.2025

Tamerlano

Dramma per musica in drei Akten
Libretto von Nicola Francesco Haym nach Agostino Piovene
Musik von Georg Friedrich Händel

In italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 4 h 10' (zwei Pausen)

Premiere im Deutschen Theater Göttingen am 17. Mai 2025
(rezensierte Aufführung: 24.05.2025)

 

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Verschiedene Welten

Von Thomas Molke / Fotos: © Alciro Theodoro da Silva

Die Geschichte um den Tataren-Khan und Begründer des zweiten Mongolenreiches Timur Lenk (Tamerlano), der in einer großen Schlacht bei Ankara im Jahr 1402 den osmanischen Sultan Bayezid I. besiegte und ihn wahrscheinlich kurz nach der Inhaftierung in den Selbstmord trieb, erfreute sich in der Kunst und Literatur seit dem 16. Jahrhundert lange Zeit großer Beliebtheit. Auf Christopher Marlowes Tragödie aus dem Jahr 1587 folgten im 17. Jahrhundert einige französische Bearbeitungen, von denen das Schauspiel Tamerlan ou La mort de Bajazet von Jacques Pradon aus dem Jahr 1675 in einer italienischen Übersetzung auch als Vorlage für zahlreiche Opern diente. Den Anfang machte 1711 Francesco Gasparini mit einem Opernlibretto von Agostino Piovene, dem bis 1810 rund 40 weitere Vertonungen folgten. Auch Händel widmete sich 1724 in London diesem Stoff, wobei es gut möglich ist, dass er das Stück aus seiner Zeit in Italien kannte. Ein allzu großer Erfolg war der Oper bei der Uraufführung am 31. Oktober 1724 im King's Theatre Haymarket allerdings nicht beschieden, was eventuell daran lag, dass Händels Umsetzung für das damalige Publikum zu modern war. So stellte er dem Kastraten der Titelpartie für die Partie des besiegten osmanischen Sultans Bajazet einen Tenor als Kontrahenten gegenüber, der in der musikalischen Ausgestaltung und in der psychologischen Tiefe der Titelfigur ebenbürtig war. Des Weiteren erhielt der Tenor eine dramatisch auskomponierte Sterbeszene auf der Bühne, was wohl dem schauspielerischen Talent des damaligen Interpreten Francesco Borosini geschuldet war. Ungewöhnlich für die damaligen Hörgewohnheiten mag auch die verhältnismäßig hohe Anzahl an Accompagnato-Rezitativen und Ariosi vor allem im dritten Akt gewesen sein. Auch das für die Barockoper obligatorische lieto fine stellte Händel mit einem Schlusschor in E-Moll infrage. So lässt sich konstatieren, dass das Werk in vielerlei Hinsicht eine Besonderheit in Händels Opernschaffen darstellt.

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Tamerlano (Lawrence Zazzo, rechts) und sein Verbündeter Andronico (Yuriy Mynenko, Mitte links) lieben beide Asteria (Louise Kemény).

Mit den historischen Begebenheiten hat die Oper nicht allzu viel gemein. Im Zentrum steht vielmehr Bajazets Tochter Asteria, die von Tamerlano und seinem Verbündeten Andronico, einem griechischen Prinzen, geliebt wird. Tamerlano, der eigentlich Irene, der Prinzessin von Trapezunt, die Ehe versprochen hat, will diese an Andronico abtreten und dafür Asteria heiraten. Andronico fühlt sich von Asteria verraten. Asteria wiederum hält Andronico für untreu, weil sie glaubt, dass er in Tamerlanos Handel eingewilligt hat. Irene fordert als verkleidete Botin ihr Recht auf Tamerlano ein. So kommt es zu zahlreichen Verwicklungen. Als Bajazet seine Tochter beschuldigt, sich mit dem Feind verbündet zu haben, gesteht sie ihm, dass sie sich nur auf eine Ehe mit Tamerlano eingelassen habe, um diesen zu ermorden. Als Tamerlano davon erfährt, will er die beiden hinrichten lassen. Doch nun stellt sich Andronico schützend vor die Geliebte. Zur Demütigung soll Asteria als Sklavin an Tamerlanos Tisch dienen. Dabei versucht sie, mit Gift, das sie von ihrem Vater erhalten hat, Tamerlano zu töten, was wiederum Irene verhindert. Zur Rettung seiner Tochter nimmt Bajazet das Gift und stirbt, nachdem er Tamerlano verflucht hat. Durch den Selbstmord Bajazets kommt Tamerlano zur Besinnung, ist bereit, Asteria und den griechischen Thron Andronico zu überlassen und willigt selbst in die Ehe mit Irene ein.

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Als Botin verkleidet erinnert Irene (Dara Savinova, Mitte) Tamerlano (Lawrence Zazzo, rechts) an sein Heiratsversprechen (vorne links: Louise Kemény als Asteria, hinten Mitte: Sreten Manojlović als Leone).

Das Regie-Team um Rosetta Cucchi konzentriert sich auf die psychologische Ausgestaltung der einzelnen Figuren und verzichtet daher auf eine zeitliche Verortung der Handlung. Stattdessen hat Bühnenbildner Tiziano Santi einen abstrakten abgeschlossenen schwarzen Raum entworfen, bei dem die Wände einen leichten Spiegeleffekt haben. Mehrere Leuchtröhren rahmen diesen Raum ein und unterstreichen den surrealen Charakter. Auf beiden Seiten befinden sich zwei Türen für die Auf- und Abgänge. Im Hintergrund gibt es zwei verschiebbare Wände, die den Blick auf ein Podest freigeben können, das bisweilen mit herabgelassenen Gittern als Gefängnis Bajazets dient. Hinzu kommen sechs Statistinnen und Statisten, die Cucchi im Programmheft als "metaphysische Charaktere" bezeichnet, die "um Tamerlano als Ausdruck der Ängste und Gewissensbisse einer gequälten Seele" kreisen. Optisch erinnern sie in ihren weißen Kitteln, den hell geschminkten Gesichtern und den unwirklichen Perücken an Ärzte oder Pfleger in einem Sanatorium und treten auch mit den anderen Figuren in Interaktion. Während der Ouvertüre erscheinen sie mit weißen Stäben und werden von Tamerlano mit einem riesigen Schwert besiegt. Im weiteren Verlauf bereiten sie das Gift im Hintergrund vor, mit dem Bajazet und Asteria zunächst sich selbst töten wollen, bevor Asteria beschließt, es zum Mord an Tamerlano zu verwenden.

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Liebe ohne Hoffnung: Asteria (Louise Kemény) und Andronico (Yuriy Mynenko)

Die einzelnen Figuren scheinen allesamt in ihrer eigenen Welt zu leben. Während Tamerlano in einem dunklen Anzug mit wallender weißer Mähne auftritt - Cucchi bezeichnet ihn als "Prototyp eines Diktators" -, wirkt Bajazet mit den zahlreichen Verästelungen an seinem Kostüm fast wie ein Naturwesen. Auch er hat eine wilde Mähne, die allerdings dunkler ist als die Tamerlanos und wohl andeutet, dass er bis zu seiner Niederlage gegen Tamerlano ebenfalls ein despotischer Herrscher gewesen ist. Asteria wirkt in ihrem weißen Kostüm beinahe wie eine Statue, die eine gewisse Stärke besitzt, die von den anderen allerdings nicht sofort erkannt wird. Mit dem weißen Kopfschmuck, den sie bei der bevorstehenden Hochzeit im zweiten Akt trägt, greift sie das Naturelement Bajazets wieder auf. Irene bildet in dunklem Lila einen starken Kontrast zu ihr. Zunächst zeigt sie sich mit einem glitzernden Oberteil als mondäne Prinzessin, die ihren Glanz als verkleidete Botin unter einem lilafarbenen Mantel versteckt. Andronico ist als Verbündeter Tamerlanos zunächst ähnlich gekleidet wie er. Wenn er sich allerdings von Tamerlano lossagt, passt er sich farblich an Asteria an. Wieso er allerdings ein langes weißes Gewand mit überlangen Ärmeln, die an eine Zwangsjacke erinnern, anlegt, wird nicht klar. Vielleicht soll damit zum Ausdruck gebracht werden, dass er bereit ist, sich für Asteria zu opfern.

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Schlussbild: auf der linken Seite: Asteria (Louise Kemény) und Andronico (Yuriy Mynenko), auf der rechten Seite: Irene (Dara Savinova) und Leone (Sreten Manojlović), Mitte oben: Bajazet (Juan Sancho), unten: Tamerlano (Lawrence Zazzo)

In diesem Ambiente erzählt Cucchi ein packendes Drama und schafft es, mit einem weiteren Kniff deutlich zu machen, dass auch Händel bei dieser Oper nicht an das lieto fine geglaubt hat. Zum einen wird der Schlusschor am Ende a cappella gesungen. Dadurch dass das Orchester verstummt, wird der Moll-Ton der Melodie noch deutlicher und zeigt, dass die beiden Paare am Ende nicht glücklich sind. Andronico und Asteria finden zwar zueinander, aber ihr Glück wird vom Selbstmord ihres Vaters überschattet, der in der Inszenierung nicht von der Bühne getragen wird, sondern mit einer Krone auf dem Podest im Hintergrund aufgebahrt wird. Tamerlano ist von den Geschehnissen traumatisiert, was aber nicht dazu führt, dass er zu Irene zurückkehrt, sondern sich ebenfalls in den Hintergrund der Bühne zum toten Bajazet begibt, während Irene als Paar mit Andronicos Vertrautem Leone im vorderen Bereich der Bühne steht. Die Partie des Leone ist in Cucchis Inszenierung aufgewertet, da seine beiden Arien nicht, wie häufig üblich, gestrichen sind und ihm stattdessen die Möglichkeit geben, seine Gefühle für die eigentlich unerreichbare Prinzessin hervorzuheben.

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Selbstmord des Bajazet (Juan Sancho)

Musikalisch ist der Abend großartig besetzt und lässt keine Wünsche offen. George Petrou taucht mit dem FestspielOrchester Göttingen in die psychologischen Tiefen der Partitur mit viel Liebe zum Detail ein und macht deutlich, wie fortschrittlich Händels Oper für die damalige Zeit gewesen sein muss. Dabei trägt er die Sängerinnen und Sänger mit ausdifferenziertem Klang durch die Arien und Rezitative. Lawrence Zazzo begeistert mit kraftvollem und virilem Countertenor in der Titelpartie und unterstreicht darstellerisch die Unberechenbarkeit des Tataren-Fürsten. Wer die junge Dame ist, mit der er sich im ersten Akt vergnügt, bevor er die Entscheidung verkündet, Asteria heiraten zu wollen, wird nicht ganz klar. Optisch erinnert sie ein wenig an Irene, aber die hat er ja laut Libretto angeblich noch nie gesehen. Juan Sancho ist stimmlich und darstellerisch als Bajazet ein ebenbürtiger Gegenspieler. Mit höhensicherem Tenor macht er deutlich, dass er sich von Tamerlano nicht unterkriegen lässt, punktet dabei mit messerscharfen Koloraturen und sauberen Läufen. Ganz großartig präsentiert er die große Sterbeszene am Ende der Oper. Yuriy Mynenko verfügt als Andronico über einen warmen Countertenor, der mit weichen Tönen seine Gefühle für Asteria und seine Verzweiflung im ersten Akt unterstreicht, wenn er sich von ihr betrogen glaubt, dann aber zu kämpferischen Koloraturen ausholt, wenn er sich seinem Freund Tamerlano schließlich im Kampf um Asteria entgegenstellt. Sreten Manojlović legt die Partie des Leone mit kraftvollem Bariton an und punktet in seinen beiden Arien durch große Beweglichkeit in den Läufen. Auch in der Personenregie werden seine Arien aufgewertet. So steht er in der ersten Arie inmitten von Tamerlano, Irene, Andronico und Asteria, wenn er kommentiert, dass der Liebesgott Amor eine nicht unwesentliche Rolle im Krieg spielt.

Louise Kemény stattet die Partie der Asteria mit lieblichem Sopran aus, der die Leidensfähigkeit der Figur unterstreicht. Ein musikalischer Höhepunkt ist das Duett mit Mynenko, in dem die beiden sich ihre Liebe gestehen. Großartig ist auch die Szene am Ende des zweiten Aktes, wenn die einzelnen Figuren auf ihren Versuch, Tamerlano zu ermorden in kleinen Ariosi reagieren, die von Kemény in einem Rezitativ jeweils eingeleitet werden. Dara Savinova begeistert als Irene mit dunkel gefärbtem Mezzosopran, der in den Läufen eine enorme Beweglichkeit besitzt, was vor allem in ihrer Auftrittsarie deutlich wird. Dabei gibt sie die Prinzessin darstellerisch herrlich selbstbewusst und macht in der großen Szene mit Leone deutlich, dass diese dem Vertrauten Andronicos gegenüber ebenfalls nicht ganz abgeneigt ist. So gibt es am Ende verdienten Jubel und mehrere Vorhänge für alle Beteiligten.

FAZIT

Rosetta Cucchi findet mit einem absolut spielfreudigen Ensemble einen packenden Zugang zu Händels Meisterwerk.

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Produktionsteam

Musikalische Leitung
George Petrou

Regie
Rosetta Cucchi

Bühnenbild
Tiziano Santi

Kostüme
Claudia Pernigotti

Licht
Ernst Schießl



FestspielOrchester Göttingen

Statisterie

 

Solistinnen und Solisten

Tamerlano
Lawrence Zazzo

Asteria
Louise Kemény

Bajazet
Juan Sancho

Andronico
Yuriy Mynenko

Irene
Dara Savinova

Leone
Sreten Manojlović

 

Weitere
Informationen

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Händel-Festspiele Göttingen
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