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Ovationen am Ende einer abgekühlten Liebesbeziehung
Von Stefan Schmöe Es ist ein Abschied der besonderen Art: Da geht ein bei großen Teilen des Publikums außerordentlich beliebter Dirigent, der gleichzeitig als Opernintendant viel Zorn auf sich gezogen und Theatergeschichte im negativen Sinn geschrieben hat als der erste, der das bewährte deutsche Ensembletheatersystem ausgehebelt hat. Ansprachen und Ehrungen hat er sich anlässlich seines letzten Auftritts am Pult des Wuppertaler Sinfonieorchesters verbeten. So nahm die Ära Kamioka ein ziemlich unspektakuläres Ende. Als Kamioka 2004 das Amt des Generalmusikdirektors in Wuppertal übernahm, erzeugte er eine Aufbruchsstimmung: Für das Orchester erwies er sich als großer Motivator, und plötzlich waren die Wuppertaler stolz auf ihr Orchester, das auf einmal so anders auftrat. Konzerte mit Kamioka und dessen charismatischer Art des Dirigierens wurden zum Ereignis. Die ersten Schatten auf der Lichtgestalt Kamioka wollte man da nicht recht zur Kenntnis nehmen: 2009 übernahm der umtriebige Japaner parallel zu seinem Wuppertaler Engagement noch die Position des Generalmusikdirektors am Saarländischen Staatstheater in Saarbrücken. Zwar sind solche Doppelbeschäftigungen in der Branche längst üblich, diese aber ging eindeutig zu Lasten der Wuppertaler Oper. Kamioka reduzierte seine Tätigkeit in Wuppertal auf einige Sinfoniekonzerte. Die Oper erhielt mit dem erfahrenen, bei Publikum wie Orchester aber wenig geliebten Hilary Griffith einen unscheinbaren Chefdirigenten, der sich nie aus Kamiokas Schatten befreien wollte und konnte. Dem seinerzeitigen Wuppertaler Oberbürgermeister Peter Jung (CDU) war indes alles daran gelegen, Kamioka an Wuppertal zu binden - und so bot er ihm gleich auch noch das Amt des Opernintendanten an, ein Beispiel intransparenter Hinterzimmerpolitik, die sich über alle Bedenken hinweg setzte. Erkennbare Qualifikationen für diese Position brachte Kamioka nicht mit. Eher eilte ihm der Ruf voraus, an den Abläufen in der Oper wenig Interesse gezeigt zu haben. Über Konzepte scheinen der Bürgermeister und der Dirigent dabei gar nicht erst gesprochen zu haben, denn auch Jung, ein ausgewiesener Opernliebhaber, schien desavouiert über Kamiokas Ankündigung, fortan ohne festes Ensemble einen Stagione-Betrieb ausschließlich mit Gastsängern zu installieren. Ein Novum im deutschen Stadttheatersystem, das zu massiven Protesten gerade beim bürgerlichen Publikum führte. Kaum im Amt angekommen, reichte Kamioka auch schon wieder seine Demission ein: Angebote aus seiner japanischen Heimat seien nicht mit der Wuppertaler Doppelfunktion vereinbar, so die fadenscheinige Begründung. Der unerwartet heftige Proteststurm und ein zunehmend abkühlendes Verhältnis zum Orchester, das nach Fukushima wenig Interesse an einer Japan-Tournee zeigte, dürften die wahren Gründe gewesen sein. Während die Oper sich mit dem designierten Intendanten Bertold Schneider für die kommende Spielzeit neu aufstellt (wieder mit festem Ensemble) und mit Julia Jones auch die zukünftige Generalmusikdirektorin bestellt ist, bringt Kamioka die laufende Saison immerhin achtbar zu Ende - in der Oper mit einer musikalisch bemerkenswerten Lulu, im Konzert mit diesem 10. und letzten Sinfoniekonzert der Spielzeit. Mozart und Brahms, dazu die sechsstimmige Ricercare-Fuge aus Bachs Musikalischem Opfer in der Orchesterfassung von Anton Webern sind so ein typisches Kamioka-Programm ohne großes Risiko (das überließ er gerne Gastdirigenten, hat allerdings auch viel Mahler und Schostakowitsch gespielt). An diesem Sonntag-Vormittag ist die Historische Wuppertaler Stadthalle bis auf den letzten Chorpodiumsplatz ausverkauft (beim Wiederholungskonzert am Folgetag sieht es nicht anders aus). Kamioka hat, bei aller Kritik, immer noch eine große Fangemeinde in Wuppertal. Der Altersdurchschnitt ist allerdings hoch. Trotz eines engagierten Education-Programms, bei dem gelegentlich auch Kamioka persönlich mit Schülern musizierte, ist das junge Publikum nicht recht angekommen. Kamioka ist Bauchmusiker und Romantiker, auch bei Bach/Webern, wo Klangsinnlichkeit über die kompositorische Struktur triumphiert, und bei Mozart, der mit großer Streicherbesetzung wie in Samt gehüllt gespielt wird: Viel Wohlklang, der hier auf Kosten der rhythmischen Prägnanz geht. Geschmackssache, aber so kennt man das von Kamioka. Auch Brahms' c-Moll-Symphonie spielt er mit großem, vollen Ton, ein warmer Mischklang, nicht allzu transparent und wenig durchhörbar (was auch an der recht halligen Akustik der Wuppertaler Gründerzeit-Stadthalle liegt), aber wirkungsvoll. Die Musik hat drive, das Orchester spielt auf sehr beachtlichem Niveau. Gute Holzbläser, betörend satter Blechbläserklang bei der choralartigen Passage, die zum Hauptthema des Finalsatzes überleitet. Kamioka dirigiert auswendig, manchmal reduziert auf kleine Zeichen, dann wieder mit vollem Körpereinsatz und zuletzt auch mit Hüpfer. Kein Brahms für Analytiker, aber in seiner unmittelbaren Wirkung mitreißend. Am Ende Ovationen für den scheidenden Dirigenten, der sich sympathisch bescheiden in die Reihen des Orchesters, zum letzten Mal "sein" Orchester, einreiht. Keine Zugabe, schneller Aufbruch. Ein freundlich-sachliches Ende einer Beziehung. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
AusführendeSinfonieorchester WuppertalLeitung: Toshiyuki Kamioka WerkeJohann Sebastian Bach / Anton Webern:Ricercare aus dem Musikalischen Opfer Orchesterfassung von Anton Webern Wolfgang A. Mozart: Symphonie Nr. 33 B-Dur KV 319 Johannes Brahms: Symphonie Nr. 1 c-Moll
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