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Alte Musik bei Kerzenschein
Joyce DiDonato
In War and Peace - Harmony through Music

Il Pomo d'Oro
Maxim Emelyanychev, Dirigent

Aufführungsdauer: ca. 2h 10' (eine Pause)

Samstag, 27. Mai 2017, 20.00 Uhr
Alfried Krupp Saal in der Philharmonie Essen

 



Philharmonie Essen
(Homepage)

Vom Chaos zur Harmonie durch Musik

Von Thomas Molke / Fotos: © Sven Lorenz

Bereits 2014 hat Joyce DiDonato mit ihrem Belcanto-Programm Stella di Napoli in der Philharmonie das Publikum begeistert und kurz vor der Zugabe in ihrer gewohnt charmanten und natürlichen Art das Anliegen vorgebracht, mit ihrer Musik an die Menschlichkeit zu appellieren und von den größtenteils düsteren Nachrichten der Welt abzulenken. Eine reine "Ablenkung" reicht der mittlerweile dreimaligen ECHO-Klassik-Musikpreisträgerin und der Gewinnerin des Grammy Awards in ihrem neuen Programm nicht mehr, und so hat sie unter dem Titel In War and Peace - Harmony through Music ein persönlich gehaltenes Programm inszeniert, in der sie dem Publikum beschreibt, wie sie im vorherrschenden Chaos dieser Welt zu einer inneren Balance und Harmonie findet, und der Weg führt dabei natürlich über die Musik. Dabei will sie das Publikum nicht nur unterhalten, sondern fordert es auch auf, selbst Stellung zu beziehen. So erhält jeder Zuschauer beim Betreten des Saals einen Brief, "A message for you, from Joyce", mit der Aufforderung, auf der beigefügten Karte zu notieren, wie er/sie selbst den inneren Frieden in diesen Zeiten findet. Die ausgefüllte Karte kann anschließend im Foyer in an mehreren Stellen aufgestellte Kästen eingeworfen werden. Im Programmheft werden zahlreiche Menschen zitiert, die ebenfalls versucht haben, diese Frage für sich zu beantworten.

Dass DiDonato, anders als bei den beiden vorherigen Programmen Drama Queens und Stella di Napoli, diesen Abend mit einem ganzen Regie-Team im wahrsten Sinne des Wortes "in Szene" setzt, ist dabei selbstverständlich. Schon beim Einlass des Publikums steht sie in einer silbernen aufwändig gestalteten Robe auf der Bühne und blickt leicht traumatisiert ins Leere. Ein dünner aufsteigender Nebel und unruhige Geräusche im Hintergrund scheinen für das Chaos zu stehen, in dem wir uns zu Beginn des Abends befinden. Manuel Palazzo, der DiDonato als Choreograph und Tänzer an diesem Abend unterstützt, liegt mit nacktem Oberkörper und einem weiten ausladenden grauen Rock auf der Bühne und erhebt sich schließlich, um das Ensemble Il Pomo d'Oro und den musikalischen Leiter Maxim Emelyanychev auf ihre Plätze zu geleiten. Henning Blum fängt mit einem gelungenen Lichtdesign die jeweilige Atmosphäre bewegend ein. Die Videoprojektionen von Yousef Iskandar funktionieren in der Philharmonie allerdings nicht so gut, da es keine vernünftige Projektionsfläche gibt. So lässt sich kaum erkennen, was hier dargestellt werden soll, außer dass die Projektionen im ersten Teil des Abends wesentlich unruhiger als im zweiten Teil erscheinen.

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Joyce DiDonato im Chaos beherrschenden ersten Teil (im Hintergrund: Maxim Emelyanychev am Cembalo)

Auch musikalisch heben sich die beiden Teile deutlich voneinander ab. Für den ersten Teil hat DiDonato Barockarien zusammengestellt, die die Figuren im inneren Aufruhr oder völlig verzweifelt zeigen. Nach der Pause geht es dann wesentlich harmonischer zu. Das Chaos scheint überwunden, und die Figuren haben ihr inneres Gleichgewicht und ihren Frieden gefunden. DiDonatos Robe hat sich für den zweiten Teil zwar im Farbton kaum verändert, wirkt aber etwas ruhiger, und auch die Körperbemalung ist nicht mehr ganz so düster wie im ersten Teil. Dass DiDonato die Arien auswendig vorträgt und ineinander übergehen lässt, versteht sich dabei von selbst. An zwei Stellen gelingt es nicht, da das Publikum von DiDonatos Interpretation so begeistert ist, dass es den musikalischen Fluss durch Zwischenapplaus unterbricht. Zu Beginn des zweiten Teils wird jedoch bei DiDonatos Auftritt während der Musik einigen Zuschauern schnell deutlich gemacht, dass hier kein Auftrittsapplaus gewünscht ist. Etwas störend ist die Unruhe, die im ersten Teil im Parkett herrscht. So stehen bei fast jeder Arie irgendwelche Personen, die natürlich in der Mitte sitzen, auf, um aus meist unerklärlichen Gründen den Saal zu verlassen. Hinzu kommen ein Herr, der aus gesundheitlichen Gründen hinausbegleitet werden muss, und diverse Hustengeräusche gerade in den leisen Passagen. Doch DiDonato lässt sich davon nicht aus dem Konzept bringen, und das restliche Publikum dankt es ihr mit tosendem Beifall am Ende der beiden Teile.

Zu Beginn präsentiert DiDonato die affektgeladene Arie "Scenes of Horror, Scenes of Woe" aus Händels letztem Oratorium Jephtha, das einen Tag zuvor bei den Händelfestspielen in Halle in einer Inszenierung von Tatjana Gürbaca zu erleben war (siehe auch unsere Rezension). Hier hat Jephthas Frau Storgè böse Vorahnungen über den bevorstehenden Krieg der Israeliten mit den Ammonitern, und diese geäußerten Ängste beschreiben sehr gut, was zahlreiche Zuschauer auch in der heutigen Zeit empfinden mögen. DiDonato lässt mit beweglicher Stimme diese Furcht regelrecht spürbar werden und begeistert mit großem Volumen in den Tiefen, die eine düstere Zukunft heraufbeschwören. Diese Vision geht direkt über in Andromacas Arie "Prendi quel ferro, o barbaro!" aus Leonardo Leos gleichnamiger Oper, in der die Witwe Andromaca Pyrrhus, dem Sohn des Mörders ihres Gatten, eine Abfuhr erteilt, als er einen Heiratsantrag macht. Hier changiert DiDonato gekonnt zwischen scharfen Tönen, die an Pyrrhus gerichtet sind, und zärtlicher Mutterliebe. Pure Verzweiflung folgt dann nach zwei kurzen Instrumentalstücken in "Dido's Lament" aus Purcells Oper Dido and Aeneas. DiDonato bedeckt ihr Gesicht dabei mit einem Schleier, wenn sie als verlassene Dido Abschied von der Welt nimmt. Auch als Agrippina präsentiert sie sich in der folgenden Arie "Pensieri, voi mi tormentate" aus Händels gleichnamige Oper als zutiefst verunsicherte Frau, die fürchtet, dass die von ihr geplanten Intrigen, um ihren Sohn Nero auf den Kaiserthron zu setzen, auffliegen könnten. DiDonato punktet hier mit großer Dramatik und sauberen Höhen. Ein weiterer musikalischer Glanzpunkt ist dann Almirenas Klage "Lascia ch'io pianga" aus Händels Rinaldo, in der die von der Zauberin entführte Tochter des Anführers der Kreuzritter verzweifelt ist und nur noch weinen möchte. DiDonato gelingt eine derart eindringliche Interpretation mit großartiger Variation im wiederholten A-Teil, dass man selbst vor Rührung die eine oder andere Träne verdrückt.

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Harmonie und Freude im zweiten Teil: Joyce DiDonato als Susanna

Nach der Pause geht es dann etwas optimistischer zu. Während zu Beginn die zum Tode verurteilte Inka-Prinzessin Orazia in Purcells The Indian Queen in ihrem Liebeslied an ihren Leidensgenossen Montezuma, "They tell us that you mighty powers", ihr Schicksal akzeptiert und sich mit ihrer Situation abfindet, gipfelt der zweite Teil dann in Cleopatras glücklicher Gleichnisarie "Da tempeste il legno infranto", in der sie sich nach der Befreiung aus dem Kerker mit einem in einen Sturm geratenes Schiff vergleicht, das doch noch den rettenden Hafen erreicht hat. Hier lässt DiDonato die Koloraturen nur so sprudeln und vermittelt puren Optimismus. Ein weiterer Höhepunkt ist auch Almirenas Arie "Augelletti, che cantate" aus Händels Rinaldo, in der die junge Frau in einen Dialog mit einem zwitschernden Vögelchen tritt, das von einer Flötistin des Ensembles Il Pomo d'Oro mit großer Leidenschaft und leichtfüßigem Spiel bildhaft umgesetzt wird. Überhaupt präsentiert sich das 2012 gegründete Ensemble unter der Leitung von Maxim Emelyanychev als kongenialer Begleiter für DiDonato und stellt mit dem Instrumentalstück "Da pacem domine" von Arvo Pärt unter Beweis, dass es neben Barockmusik auch zeitgenössische Musik differenziert umsetzen kann.

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Schlussapplaus: Joyce DiDonato mit Maxim Emelyanychev (links) und Manuel Palazzo (rechts)

Nach den stehenden Ovationen sind bei einem solchen Abend natürlich auch die Zugaben genau auf das Programm zugeschnitten. In der ersten Zugabe schildert DiDonato wohl, was sie nach dem frenetischen Jubel des Publikums fühlt: "Par che di giubilo". Wie Attilia in Jommellis Oper Attilio Regolo, die sich auf ein Wiedersehen mit ihrem Vater freut und ihr Glück in höchsten Tönen feiert, freut sich auch DiDonato über den begeisterten Zuspruch zu ihrem Programm und glänzt mit halsbrecherischen Läufen und sauber angesetzten Koloraturen. Zum Abschluss wird sie noch einmal ganz persönlich und verabschiedet sich mit einem Lied, das ihr nach eigenem Bekunden die Kraft gebe, ihren Optimismus in diesen unruhigen Zeiten nicht zu verlieren: "Und morgen wird die Sonne wieder scheinen" von Richard Strauss aus seinem Liederzyklus Morgen von 1894. Es bleibt zu hoffen, dass dieser Optimismus auch außerhalb des Konzertsaals Früchte trägt.


FAZIT

Joyce DiDonato ist es wieder einmal gelungen, das Essener Publikum zu verzaubern und mit ihrer Musik ein Zeichen zu setzen in einer Welt, in der das Denken der Menschen vielerorts von Angst und Schrecken beherrscht wird. Das Programm, mit dem sie weiterhin durch die ganze Welt tourt und unter anderem auch bei den Händelfestspielen in Halle 2018 Halt machen wird, ist auch auf CD bei ERATO erhältlich.



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Ausführende

Joyce DiDonato, Mezzosopran und
Künstlerische Konzeption

Il Pomo d'Oro

Maxim Emelyanychev, Dirigent

Manuel Palazzo, Choreographie und Tanz

Ralf Pleger, Regie

Henning Blum, Lichtdesign

Yousef Iskandar, Videodesign


Werke

Georg Friedrich Händel
"Scenes of Horror, Scenes of War"
Arie der Storgè aus Jephtha, HWV 70

Leonardo Leo
"Prendi quel ferro, o barbaro!"
Arie der Andromaca aus Andromaca

Emilio de' Cavalieri
"Sinfonia"
aus Rappresentazione di anima e di corpo

Henry Purcell
Chaconne g-moll, Z 730

"Dido's Lament"
Rezitativ und Arie der Dido
aus Dido and Aeneas, Z 626

Georg Friedrich Händel
"Pensieri, voi mi tormentate"
Arie der Agrippina aus Agrippina, HWV 6

Carlo Gesualdo da Venosa
"Tristis est anima mea"

Georg Friedrich Händel
"Lascia ch'io pianga"
Arie der Almirena aus Rinaldo, HWV 7a

Henry Purcell
"They tell us that you mighty powers"
Arie der Orazia aus The Indian Queen, Z 630

Georg Friedrich Händel
"Chrystal streams in murmurs flowing"
Arie der Susanna aus Susanna, HWV 66

Arvo Pärt
"Da pacem domine"

Georg Friedrich Händel
"Augelletti, che cantate"
Arie der Almirena aus Rinaldo, HVW 7a

"Da tempeste il legno infrante"
Arie der Cleopatra
aus Giulio Cesare in Egitto, HWV 17


Weitere Informationen
erhalten Sie von der

Philharmonie Essen
(Homepage)



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