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Radamisto

Opera seria in drei Akten (2. Fassung), HWV 12b
Libretto von Nicola Francesco Haym
Musik von Georg Friedrich Händel

Aufführungsdauer: ca. 3h 30' (eine Pause)

in italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Sonntag, 10. Oktober 2021, 19.00 Uhr
Alfried Krupp Saal in der Philharmonie Essen

 



Philharmonie Essen
(Homepage)

Barockgenuss pur

Von Thomas Molke

Händels Radamisto zählt heutzutage zu den eher unbekannten Werken des Hallenser Komponisten. Dabei spielte die Oper im 18. Jahrhundert eine ganz besondere Bedeutung im Leben des Wahl-Londoners. Mit ihr debütierte er nämlich am 27. April 1720 an der Royal Academy of Music und konnte dabei nach seinem furiosen Einstand 1711 mit Rinaldo in London nicht nur als Komponist, sondern auch als musikalischer Direktor einen riesigen Erfolg verbuchen, dem in den nächsten neun Jahren des Bestehens der Academy of Music noch dreizehn weitere Opern folgen sollten. Bei der Uraufführung stand ihm allerdings der Starkastrat Senesino, den er eigentlich für die Titelpartie verpflichten wollte, noch nicht zur Verfügung, so dass die Sopranistin Margherita Durastanti den Radamisto als Hosenrolle übernahm. Als Senesino aufgrund des überwältigenden Erfolgs der Oper im Herbst des gleichen Jahres doch noch in London anreiste, fertigte Händel eine zweite Fassung an und transponierte die Titelpartie für den Starkastraten. Durastanti übernahm nun die Partie von Radamistos Gattin Zenobia. Da man bei der konzertanten Aufführung in der Philharmonie Essen mit keinem Geringeren als Philippe Jaroussky in der Titelpartie aufwarten kann, wird natürlich auch hier diese zweite Fassung gespielt, die im Dezember 1720 in London Premiere feierte. Während zum Ende der letzten Spielzeit Händels Oreste mit Franco Fagioli noch aufgrund der Corona-Auflagen in einer pausenlosen gekürzten Fassung gespielt werden musste, kann man nun Radamisto in der für die Barockoper üblichen Länge mit nur geringfügigen Kürzungen genießen.

Die Handlung der Oper basiert auf einer Episode, die sich gemäß dem 12. Buch der Annales des römischen Geschichtsschreibers Tacitus 53 n. Chr. abgespielt haben soll. Danach hat Radamisto, der Prinz von Thrakien, auf der Flucht vor seinen Widersachern seine schwangere Frau Zenobia auf ihren Wunsch hin erdolcht und in den Fluss geworfen. Doch Zenobia überlebte und wurde von Hirten an den Hof des armenischen Königs gebracht. Georges de Scudéry formte daraus eine weitgehend frei ausgeschmückte Tragikomödie unter dem Titel L'amour tyrannique, die 1710 von Domenico Lalli zu einem Libretto verarbeitet wurde, auf das Nicola Francesco Haym für Händel zurückgriff. Komische Untertöne sind anders als in der Vorlage bei Händel nicht mehr zu finden. Radamistos Schwester Polissena ist mit dem armenischen König Tiridate verheiratet, der Krieg gegen Thrakien führt, da er sich in Radamistos Gattin Zenobia verliebt hat. Radamisto und Zenobia gelingt zunächst die Flucht vor den Armeniern. Tiridates Heerführer Tigrane überbringt den beiden die Nachricht, dass Tiridate Radamistos Vater, den König Farasmane, der sich in der Gewalt der Armenier befindet, töten werde, wenn Radamisto sich nicht ergebe und Zenobia nicht einwillige, den armenischen König zu heiraten. Zenobia fordert Radamisto auf, sie zu töten, doch Radamisto weigert sich. Daraufhin springt sie selbst in den Fluss, wird allerdings von Tiridates Bruder Fraarte gerettet und zum König gebracht. Da Tigrane heimlich in Polissena verliebt ist, bringt er Radamisto zu seiner Schwester, die jedoch sein Ansinnen, ihren Ehemann zu töten brüsk zurückweist. Um Radamisto zu schützen, verkleidet sie ihn als Diener Ismeno. So kommt es beim König zum Wiedersehen zwischen Radamisto und Zenobia. Gemeinsam planen sie, den Tyrannen zu töten, doch Polissena stellt sich schützend vor ihren Gatten. Tiridate will Radamisto das Leben schenken, wenn Zenobia einwilligt, ihn, Tiridate, zu heiraten. Tigrane und Fraarte, die nicht länger die Eskapaden ihres Königs ertragen können, zetteln eine Verschwörung an und stürzen den Tyrannen. Aus Liebe zu seiner Schwester Polissena ist Radamisto bereit, Tiridate zu begnadigen, woraufhin dieser sein Fehlverhalten bereut und einem glücklichen Ende nichts mehr im Wege steht.

Während das Konzertende im Programmheft mit "gegen 22.45 Uhr" angekündigt wird, ist man überrascht, dass die Aufführung bereits eine Viertelstunde früher endet. Das kennt man normalerweise andersherum. Vielleicht geht das angegebene Ende von einer Aufführung ohne Kürzungen aus. An mangelndem Zwischenapplaus kann es nämlich nicht liegen. Den erhalten die Solist*innen verdient nach jeder Arie. Mit insgesamt 28 Musiknummern wird zwar ein Großteil der Oper gespielt, aber überraschender Weise wird ausgerechnet auf das große Quartett "O cedere o perir" kurz vor Schluss der Oper verzichtet, in dem Tiridate schließlich einlenkt, die Begnadigung annimmt und auf Zenobia verzichten will, um erneut sein Glück mit Polissena zu versuchen, die sich als treu liebende Gattin erwiesen hat. Da es sich bei diesem Quartett um einen musikalischen Höhepunkt der Oper handelt, bleibt es unklar, wieso man von Radamistos letzter Bravourarie "Qual nave smarrita" nahezu direkt zum jubelnden Schlusschor übergeht und das Quartett dabei auslässt. An der Besetzung kann es keinesfalls liegen. Diese ist nämlich absolut hochkarätig und hätte auch dieses Quartett wie den Rest der Musik zum Strahlen gebracht.

Da ist zunächst Philippe Jaroussky in der Titelpartie zu nennen, der den Prinzen Radamisto mit sauber ausgesungenen Höhen und beweglichen Koloraturen ausstattet. Schon mit seiner ersten Arie "Cara sposa, amato bene" reißt er das Publikum zu Begeisterungsstürmen hin. Begleitet vom Solocello bringt Jaroussky hier äußerst gefühlvoll die große Liebe des Prinzen zu seiner Gattin zum Ausdruck und punktet mit warmen, weichen Bögen. Ein weiterer musikalischer Höhepunkt ist seine große Arie "Ombra cara di mia sposa" im zweiten Akt, wenn er in einem unter die Haut gehenden Lamento den Verlust seiner Frau beklagt, die sich kurz zuvor in die Fluten gestürzt hat und die er nun für tot hält. Einen großen Kontrast dazu bildet seine Wutarie, in der er mit schnellen und sauber ausgesungenen Läufen unter Beweis stellt, dass er Zenobia noch nicht aufgegeben hat. Mit Marie-Nicole Lemieux hat er als Zenobia in jeder Hinsicht eine adäquate Partnerin. Szenisch gehen die beiden über eine rein konzertante Aufführung hinaus, indem sie sich leidenschaftliche Blicke zuwerfen und das Leid der beiden Liebenden in ihrer Mimik glaubhaft zum Ausdruck bringen. Auch wenn die beiden einander an der Hand fassen und mutig ihrem drohenden Schicksal entgegengehen, hat man das Gefühl, dass Jaroussky und Lemieux die Rollen durchleben und dabei eine enorme Vertrautheit zwischen ihnen besteht. Dazu verfügt Lemieux über einen dunkel gefärbten Mezzosopran, der besonders im Duett mit Jaroussky zu einer bewegenden Innigkeit findet, wenn sich die beiden Stimmen gewissermaßen umarmen. Auch in den Arien glänzt Lemieux mit großartiger Dramatik und flexibler Stimmführung, die sowohl mit kraftvollen Ausbrüche in den Höhen als auch beweglichen Läufen in der Mittellage punktet. Hervorzuheben ist Zenobias Kavatine im zweiten Akt, "Empio, perverso cor!", wenn Lemieux zwischen Verachtung für den Tyrannen Tiridate und Sorge um ihren geliebten Radamisto schwankt. Ihr eindringliches "Son contenta di morire", das sie kurz vor ihrem Sprung in die Fluten anstimmt, gibt schon einen Vorgeschmack auf das berühmte "Ombra mai fu" aus Händels Serse.

Emőke Baráth verfügt als Polissena über einen leuchtenden Sopran, der in den Höhen über enorme Strahlkraft verfügt. Dabei changiert Baráth gekonnt zwischen den leidenden Tönen zum Beispiel in ihrer Auftrittskavatine "Sommi dei", in der sie ihr Unglück beklagt, und Zornesausbrüchen, wenn sie einerseits nicht mehr bereit ist, die Demütigungen ihres Mannes zu ertragen, andererseits aber auch Radamistos Ansinnen zurückweist, ihren Gatten zu hintergehen. Der böse Tyrann Tiridate ist in dieser Aufführung mit dem Tenor Zachary Wilder besetzt. Das mag ein wenig irritieren, da man die Partie eher einem dunklen Bass zugeordnet hätte. Wilder punktet mit beweglichen Läufen und kräftigen Höhen als unsympathischer König von Armenien. Neben dem Quartett fällt auch eine seiner Arien im zweiten Akt der Kürzung zum Opfer. Unterstrichen wird die kämpferische Natur seines Charakters von den martialisch auftrumpfenden Blechbläsern. Renato Dolcini hat als gefangener König Farasmane an diesem Abend nur eine Arie zu singen, die er mit sonorem Bass gestaltet. Anna Bonitatibus und Alicia Amo runden als Tigrane und Fraarte die Solisten-Riege hochkarätig ab. Bonitatibus punktet als Heerführer, der heimlich in Polissena verliebt ist, mit sattem Mezzosopran und großer Beweglichkeit in den Koloraturen. Man fragt sich auch musikalisch, was Polissena eigentlich an Tiridate findet, wo sie doch mit Tigrane einen viel gefühlvolleren Partner hätte. Amo begeistert als Bruder des Königs, der wie Tiridate in Zenobia verliebt ist, mit jugendlichem Sopran und glasklaren Koloraturen. Das Ensemble Il Pomo d'Oro zeigt sich unter der Leitung von Francesco Corti erneut als kongenialer Partner für eine historische Aufführungspraxis, so dass man als Publikum am Ende in die Übertitel des Schlusschors einstimmen möchte: "Einen glücklicheren Tag kann man nicht wünschen."

FAZIT

Mit dieser glanzvollen Barockoper kehrt wieder etwas mehr Normalität in das Corona-geplagte Konzertleben zurück. Es bleibt zu hoffen, dass derartige Produktionen demnächst auch wieder vor vollständig gefülltem Saal stattfinden.

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Produktionsteam

Musikalische Leitung und Cembalo
Francesco Corti

Il Pomo d'Oro


Solisten

Radamisto
Philippe Jaroussky

Polissena
Emőke Baráth

Zenobia
Marie-Nicole Lemieux

Tiridate
Zachary Wilder

Tigrane
Anna Bonitatibus

Farasmane
Renato Dolcini

Fraarte
Alicia Amo

 

 


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