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Theodora

Oratorium in drei Teilen, HWV 68
Text von Thomas Morell nach der Novelle The Martyrdom of Theodora and of Didymus von Robert Boyle (1687)
Musik von Georg Friedrich Händel

Aufführungsdauer: ca. 3h 45' (eine Pause)

in englischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Freitag, 26. November 2021, 20.00 Uhr
Alfried Krupp Saal in der Philharmonie Essen

 



Philharmonie Essen
(Homepage)

Christliche Geschichte in hochkarätiger Besetzung

Von Thomas Molke / Fotos: © Sven Lorenz

Wenn zu Beginn einer Veranstaltung eine Mitarbeiterin des Hauses die Bühne betritt, breitet sich im Publikum häufig die Sorge aus, dass einzelne Künstler*innen eventuell als indisponiert für den Abend entschuldigt werden oder es sonstige Änderungen oder Einschränkungen gibt. Dieses Mal waren diese Bedenken unbegründet. Es erfolgte lediglich die Mitteilung, dass die Aufführung für eine Live-Einspielung auf CD mitgeschnitten werden solle und man das Publikum deshalb bitte, die einzelnen Teile nicht mit Zwischenapplaus zu unterbrechen. Ein Glück, mag man in doppelter Hinsicht im Nachhinein denken. Da die Vorstellung bis ca. 23.30 Uhr angesetzt war und tatsächlich erst gegen 23.45 Uhr endete, wäre man wohl vor Mitternacht gar nicht aus der Philharmonie gekommen, wenn man diesem Aufruf nicht Folge geleistet hätte. Warum man aber ein Oratorium, das in voller Länge dargeboten werden soll, erst um 20.00 Uhr und nicht schon früher beginnen lässt, ist nicht ganz nachvollziehbar. Den größten Teil des begeisterten Publikums scheint es jedenfalls nicht gestört zu haben.

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Schlussapplaus: von links: Didymus (Paul-Antoine Bénois-Djian), Septimius (Michael Spyres), Maxim Emelyanychev, Theodora (Lisette Oropesa), Irene (Joyce DiDonato) und Valens (John Chest), dahinter das Ensemble Il Pomo d'Oro

Händel selbst soll sein Oratorium Theodora, das am 16. März 1750 im königlichen Theater von Covent Garden uraufgeführt wurde, von seinen insgesamt 22 englischsprachigen Oratorien als das bedeutendste bezeichnet haben, in dem er unter anderem den Chor am Ende des zweiten Teils als weitaus gelungener betrachtete als das heute wesentlich berühmtere "Halleluja" aus dem Messias. Das damalige Publikum teilte Händels Begeisterung zum Großteil nicht. Die beiden Folgeaufführungen 1750 waren nur schwach besucht, so dass dieses Werk schon zu Händels Lebzeiten zu den ganz selten gespielten Oratorien zählte. Ungewöhnlich ist, dass hier nicht eine alttestamentarische Geschichte oder wie bei Hercules und Semele ein mythologisches Sujet gewählt worden ist, sondern eine wahre Begebenheit aus dem Jahr 304. Theodora wird Opfer der Christenverfolgung unter Kaiser Diokletian und soll für ihren Glauben zur Prostitution gezwungen werden. Der römische Soldat Didymus, der zum christlichen Glauben konvertiert ist, verhilft ihr zur Flucht, indem er mit ihr die Kleider tauscht. Daraufhin wird er zum Tode verurteilt und getötet. Da Theodora sich dafür verantwortlich fühlt, stellt sie sich den Römern und wird ebenfalls hingerichtet. Pierre Corneille dramatisierte die Geschichte 1645 zu der Tragödie Théodore, und der Physiker und Naturphilosoph Robert Boyle schrieb 1687 die Novelle The Martyrdom of Theodora and of Didymus, die auch die Vorlage für Thomas Morell darstellte, der das Textbuch zu dem Oratorium verfasste.

Musikalisch interessant ist, wie Händel die beiden unterschiedlichen Welten, die in diesem Werk aufeinandertreffen, mit kontrastreichen Klangfarben charakterisiert. Während die Römer, die dem Glauben an die antiken Götter verpflichtet sind, mit einer üppigen, tänzerisch-ausgelassenen Musiksprache gezeichnet werden, die sich vor allem im Einsatz der Bläser zeigt, präsentieren sich die Christen eher nach innen gerichtet in Molltönen. In nachdenklichen, ruhigen Passagen wird ihre Bereitschaft gezeigt, sich ihrem Schicksal zu ergeben und im Glauben Kraft zu suchen, um an ihrer Lebenssituation nicht zu verzweifeln. Der 16-köpfige Chor des Ensembles Il Pomo d'Oro, der mit den insgesamt 11 Chorpassagen auch eine Art musikalisches Gerüst für das Oratorium bildet, findet sich stimmlich überzeugend in beide Welten ein und zeichnet die Römer als stolzes Volk, das sich für unbesiegbar hält und die Christen nicht ernst nimmt. Für die Darstellung der Christen gelingt dem Chor ein sehr kontemplativer Tonfall. Ob man der großen Chorpassage am Ende des zweiten Teils, "He Saw the Lovely Youth", in der die Geschichte einer Witwe erzählt wird, deren verstorbener Sohn von Christus zu neuem Leben erweckt worden ist, musikalisch Händel "Halleluja" wirklich den Vorzug geben soll, ist allerdings Geschmacksache. Maxim Emelyanychev, der seit 2016 Chefdirigent des 2012 gegründeten Ensembles Il Pomo d'Oro ist, erweist sich als wahrer Meister und sorgt mit den Musiker*innen für einen wahren Barockgenuss, wobei er intensiv in den schwerfälligen Tonfall der Musik bei den Christen eintaucht und die Welt der Römer regelrecht pompös zeichnet.

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Lisette Oropesa als Theodora

Auch die Solopartien sind allesamt hochkarätig besetzt. Da ist zunächst Lisette Oropesa in der Titelrolle zu nennen. Mit leuchtendem Sopran und klaren Höhen zeichnet sie die standhafte Christin, die bereit ist, für ihren Glauben in den Tod zu gehen. Während sie im ersten Teil noch relativ stark wirkt, wenn sie dem Römer Septimius den Gehorsam verweigert, wechselt der Tonfall im zweiten Teil, wenn sie im Gefängnis fürchtet, in den Venustempel gebracht zu werden. Besonders hervorzuheben ist hier ihre große Arie "With Darkness Deep As Is My Woe", in der ihre Angst bewegend von den Holzbläsern aufgegriffen wird und Oropesa mit den Musikern eine klangliche Einheit bildet. Nach einem betörend schönen Largo wünscht sich Theodora im Anschluss Flügel zu haben, um ihrem Schicksal entfliehen zu können. Paul-Antoine Bénos-Djian verfügt als Didymus über einen flexiblen Countertenor, der in der Mittellage enormes Volumen besitzt und in den Höhen zu strahlen vermag. Ihm nimmt man den "Helden", der sich aus Liebe zu Theodora für sie opfern will, mit jedem Ton ab. Einen weiteren musikalischen Höhepunkt stellt das Duett mit Oropesa kurz vor Ende des zweiten Teils dar, wenn Theodora sich nach langen Diskussionen endlich hat überreden lassen, in Didymus' Kleidern aus dem Gefängnis zu fliehen. Gemeinsam versichern sie sich in einem innigen Gebet, dass sie sich wiedersehen werden, wenn nicht auf Erden dann im Himmel. Auch wenn sie im dritten Teil beschließen, füreinander in den Tod zu gehen, findet Händel in einem weiteren Duett kurz vor der Hinrichtung der beiden eine Musiksprache, die in Oropesas und Bénos-Djians Interpretation unter die Haut geht.

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Joyce DiDonato als Irene

Eine besondere Rolle kommt auch der Christin Irene zu, die von niemand Geringerem als Joyce DiDonato interpretiert wird. Irene wirkt wie eine Art Anführerin der Christen, die allen Mut und Kraft gibt, somit eine Paraderolle für DiDonato, die durch ihre reine Bühnenpräsenz alles zu lenken scheint. So gibt sie im ersten Teil dem Chor das Zeichen, sich zum folgenden Gebet zu erheben, und ist auch stets diejenige, die das direkte Gespräch zum Himmel sucht. Dabei findet DiDonato betörend leise und zart angesetzte Töne. Das Publikum in der Philharmonie lauscht ihr gebannt, und man hat in dieser absoluten Stille das Gefühl, man könne eine Stecknadel fallen hören. Auch für sie hat Händel eine wunderbare Szene mit Theodora komponiert, in der Irene Theodora davon abhalten will, sich für Didymus zu opfern. Hier scheint Irene, die sonst so beherrscht ist, ihre innere Ruhe zu verlieren, was von DiDonato auch darstellerisch bewegend umgesetzt wird. Michael Spyres, den man vor allem als großen Rossini-Tenor kennt und der bisweilen auch als "Baritenor" bezeichnet wird, da seine Stimme auch die dunkleren Register beherrscht, glänzt als Septimius, der zwar Mitgefühl mit Theodora und seinem Freund Didymus hat, gegen den Statthalter Valens aber nichts ausrichten kann und selbst nicht bereit ist, gegen die römischen Gesetze zu verstoßen, um Theodora und Didymus zu retten. John Chest stattet die unsympathische Rolle des Valens mit autoritärem Bariton aus, der zeigt, dass dieser Statthalter nicht mit sich verhandeln lässt. Der Schluss wirkt dann nahezu makaber, wenn er sowohl Theodora als auch Didymus zum Tode verurteilt, weil jeder von beiden für den anderen sein Leben opfern will. Das Publikum bedankt sich für diesen großartigen Barockabend mit tosendem Applaus.

FAZIT

Man mag Händels Begeisterung für dieses Oratorium teilen oder nicht. In dieser Besetzung ist das Werk jedenfalls ein musikalischer Hochgenuss. Aber man hätte es in Essen früher beginnen lassen sollen. Auf die CD, die hoffentlich bald erscheinen wird, darf man gespannt sein.

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Produktionsteam

Musikalische Leitung und Cembalo
Maxim Emelyanychev

Chordirektor
Giuseppe Maletto

Il Pomo d'Oro, Orchester und Chor


Solisten

Theodora
Lisette Oropesa

Irene
Joyce DiDonato

Septimius
Michael Spyres

Valens
John Chest

Didymus
Paul-Antoine Bénois-Djian

Bote
Massimo Lombardi
(Mitglied des Il Pomo d'Oro Chors)

 

 

 


Weitere Informationen
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Philharmonie Essen
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