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Lessons in Love and Violence

Oper in zwei Teilen
Text von Martin Crimp (2017)
Musik von George Benjamin

in englischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 1 h 30' (keine Pause)

Halbszenische Aufführung am Donnerstag, dem 27. April 2023, um 20.00 Uhr
Großer Saal im Konzerthaus Dortmund

 


(Homepage)

Spirale der Gewalt

Von Thomas Molke / Fotos: © Holger Jacoby

George Benjamin zählt zu den gefragten Komponisten der zeitgenössischen Musik, dessen Werke nach der Uraufführung oder Premierenserie auch an anderen Häusern nachgespielt werden und nicht in der Versenkung verschwinden. 2017 wurde er bei den Birthday Honours zum Ritter geschlagen und darf sich seitdem Sir George Benjamin nennen. Weitere Preise wie der "Goldene Löwe" bei der "Biennale Venedig" 2019, der "Grand Prix Artistique" der Stiftung Simone et Cino Del Duca im Institut de France im vergangenen Jahr und der "Ernst von Siemens Musikpreis" folgten. 2016 wurde ihm bereits im Konzerthaus Dortmund ein Zeitinsel-Festival gewidmet, bei dem unter anderem seine beiden ersten Opern Into the Little Hill und Written on Skin zu hören waren. Letztere konnte bei der Uraufführung beim Festival Aix en Provence 2012 und der anschließenden Übernahme am Royal Opera House Covent Garden einen so großen Erfolg verbuchen, dass Covent Garden bei Benjamin eine weitere Komposition in Auftrag gab, die am 10. Mai 2018 ihre Uraufführung unter Leitung des Komponisten erlebte und nun im Konzerthaus Dortmund halbszenisch zur Aufführung gelangt: Lessons in Love and Violence. Das Besondere an dieser Aufführung ist, dass Benjamin erneut am Pult steht und mit Gyula Orendt, Samuel Boden und Krisztina Szabó drei Solist*innen der Uraufführung mit von der Partie sind. Das Textbuch stammt wie schon bei den beiden vorherigen Opern von Martin Crimp.

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George Benjamin

Als literarische Vorlage für die Oper diente Benjamin und Crimp das Drama Edward II: The troublesome reign and lamentable death of Edward the second King of England, with the tragical fall of proud Mortimer von Christopher Marlowe. Im Gegensatz zu Marlowes Stück ist der König in der Oper jedoch namenlos, was dazu führte, dass Katie Mitchell in der Uraufführungsinszenierung die Handlung vom 14. Jahrhundert in die heutige Zeit verlegte. Die Namen der anderen Figuren, Gaveston, Isabel und Mortimer, bleiben allerdings erhalten, so dass es klar bleibt, dass es um Edward II. geht, der als erster Thronfolger den Titel "Prince of Wales" trug und vor seinem Tod 1327 abgesetzt wurde. In zwei Teilen und sieben Szenen erzählt Crimp die Handlung der Tragödie recht unpathetisch und fügt zusätzliche Figuren hinzu wie beispielsweise die stumme Rolle der kleinen Tochter des Königspaares, auf die bei der halbszenischen Aufführung in Dortmund verzichtet wird. Der Orchesterapparat weist im Bereich des Schlagzeugs mit Zimbeln, Röhrenglocken, Gongs, Pauken, Bongos, Tamburinen und Kastagnetten eine recht üppige Besetzung auf, die Benjamin ein großes Farbspektrum für eine klanglich hochdifferenzierte Partitur bietet.

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Der King (Evan Hughes, rechts) und sein Liebhaber Gaveston (Gyula Orendt, links)

Sieht man von einigen Zwischenspielen ab, dient das Orchester hauptsächlich dazu, die Sängerinnen und Sänger in einem Parlando-Stil, der sehr auf einen verständlichen Text setzt, zu unterstützen. Das beginnt direkt in der ersten Szene, in der es zu einem offenen Streit zwischen dem King und Mortimer kommt. Mortimer wirft dem König vor, Geld mit seinem Geliebten Gaveston zu verschwenden, während das englische Volk in größter Armut lebt. Evan Hughes und Gyula Orendt spielen als King und Gaveston die Liebesbeziehung zwischen dem König und seinem Ratgeber glaubhaft aus, so dass man schon fast Mitleid mit der gedemütigten Königin haben kann. Doch Georgia Jarman ist als Queen Isabel keineswegs das arme Opfer, sondern zeigt sich von einer absolut unsympathischen Seite. Wenn sie vor den Augen zweier Frauen demonstrativ eine wertvolle Perle in ein Glas mit Essig fallen lässt, ist das von Benjamin lautmalerisch großartig komponiert. Beim Pizzicato der Streicher hört man regelrecht, wie sich die Perle im Essig allmählich auflöst und so der Reichtum der Königin vor den Augen des hungernden Volkes verschwendet wird.

Auch für die anderen Passagen findet Benjamin spannende Klangfarben. Zu erwähnen sind an dieser Stelle die beiden großen Handlese-Szenen im ersten und zweiten Teil. Wenn der King in der dritten Szene Gaveston bittet, ihm aus der Hand zu lesen, wird dieser Moment vom Schlagzeug auf fremdartig klingende Weise begleitet, so dass man nicht genau einschätzen kann, inwiefern die Prophezeiung ernst zu nehmen ist. In der sechsten Szene erscheint dann kurz vor dem Tod des Königs ein Fremdling in Gestalt von Gaveston, der ihm ebenfalls die Zukunft vorhersagen soll. Hier wiederholen sich diese Klänge und leiten auf unheimliche Art und Weise den Tod des Königs ein. Im Gegensatz dazu steht die musikalische Begleitung des Schauspiels über die Tötung Sauls und seines Sohnes Jonathan, die im ersten Teil am Königshof aufgeführt wird, und die folgende Ermordung Gavestons ankündigt. Hier leitet recht schriller und atonaler Gesang das Ende des königlichen Ratgebers ein. Auf der Bühne sind diese Todesfälle nicht zu sehen. Sie werden nur von der Musik auf brutale Weise ausgeschmückt.

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Mortimer (Paul Curievici) giert nach der Macht.

Anders verhält es sich bei dem Irren, der vorgibt, der König zu sein. Mortimer, der mittlerweile mit Isabel und ihrem Sohn zusammenlebt, zwingt den Jungen zuzusehen, wie er den Irren mit einem Seil auf offener Bühne erwürgt. Samuel Boden spielt das Unbehagen des Jungen mit großartiger Mimik aus und vollzieht im weiteren Verlauf des Stückes einen enormen Wandel. Wenn er am Ende zum Young King gekrönt worden ist, hat er die "Lesson of Violence" gelernt und rächt sich sehr zum Missfallen seiner Mutter an Mortimer. Jarman punktet hier mit dramatischen, spitzen Tönen, die die Verzweiflung der Königin glaubhaft widerspiegeln. Bei der Hinrichtung Mortimers schwillt der Klang des Orchesters noch einmal gewaltig an, bevor er abrupt abbricht und das Werk beendet. Unklar bleibt lediglich, welche "Lektion der Liebe" in diesem Stück denn eigentlich vermittelt worden sein soll. Die vernichtende Liebe zwischen dem King und Gaveston kann eigentlich genauso wenig gemeint sein wie Isabels Gefühle für Mortimer. Aber das spielt für die Intensität der Musiksprache keine Rolle. Benjamin arbeitet als Dirigent mit dem Mahler Chamber Orchestra die Spirale der Gewalt, in der sich die Handlung seiner Oper bewegt, schonungslos heraus und lässt das Publikum keinen Moment zur Ruhe kommen.

Die Solist*innen überzeugen auf ganzer Linie. Evan Hughes gestaltet die Partie des King mit einem profunden Bariton und findet stimmlich mit Gyula Orendt als Gaveston zu einer großartigen Einheit. Georgia Jarman punktet als Isabel mit kraftvollem Sopran, der die Härte der Königin unterstreicht. Paul Curievici verfügt als Mortimer über einen recht harten Tenor, der die unredlichen Absichten des Armeeführers hervorhebt. Samuel Boden legt seinen recht hohen Tenor zunächst als Boy zart an und wechselt dann am Ende als Young King zu einem schneidenden Tonfall, der ihn als kompromisslosen neuen Herrscher beschreibt. Hannah Sawle, Krisztina Szabó und Tristan Hambleton runden das Ensemble als Witness I, II und III, Volk, Schauspielerinnen und Irrer überzeugend ab, so dass es für alle Beteiligten großen Beifall gibt. Leider bleiben im Konzerthaus an diesem Abend zahlreiche Plätze frei. Vielleicht ist es für einen Großteil des Dortmunder Publikums doch zu harte Kost.

FAZIT

Benjamins Musik ist schonungs- und kompromisslos, passt aber wunderbar zum Stück. Man darf gespannt auf das nächste Projekt von Benjamin und Crimp, Picture a Day like this, sein, das beim Festival d'Aix-en-Provence im Juli 2023 Weltpremiere feiern wird.


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Ausführende

Sir George Benjamin, Dirigent

Dan Ayling, Inszenierung

Mahler Chamber Orchestra

Musiker der MCO Academy
am Orchesterzentrum|NRW



Besetzung

King
Evan Hughes

Gaveston
Gyula Orendt

Isabel
Georgia Jarman

Mortimer
Paul Curievici

Young King, Boy
Samuel Boden

Witness I
Hannah Sawle

Witness II
Krisztina Szabó

Witness III
Tristan Hambleton

 



Weitere Informationen
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Konzerthaus Dortmund
(Homepage)



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