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Unbekannte Barockperlen Von Thomas Molke / Fotos: © Oliver Hitzegrad Eigentlich war 2021 ein umfangreiches Programm mit Philippe Jaroussky als Curating Artist für das Konzerthaus geplant, bei dem der berühmte Countertenor unter anderem auch als Dirigent an der Spitze seines Ensembles Artaserse debütieren sollte. Aufgrund der Corona-Pandemie konnte jedoch nur ein kleines digitales Festival als Video-Stream stattfinden. Nun wird zwar dieses Programm nicht nachgeholt, aber immerhin kehrt Jaroussky, der in Dortmund seit vielen Jahren ein gern gesehener Gast ist, im Rahmen des Abonnements "Konzertante Oper" ins Konzerthaus mit einem neuen Programm zurück, das auch auf seinem im Oktober 2023 bei Erato / Warner Classics veröffentlichten Album "Forgotten Arias" zu erleben ist. Erneut widmet er sich dabei der Wiederentdeckung vergessener Werke des frühen 18. Jahrhunderts. Im Zentrum steht dieses Mal nicht ein Komponist sondern ein Librettist, dessen Werke unzählige Male in dieser Zeit von den verschiedensten Komponisten vertont wurden: Pietro Metastasio. Philippe Jaroussky mit Le Concert de la Loge unter der Leitung von Julien Chauvin Den Anfang machen Auszüge aus der Oper Demofoonte von Johann Adolph Hasse, der zu einem der tonangebenden Komponisten der Opera seria im 18. Jahrhundert avancierte und heute nur noch selten auf den Spielplänen zu erleben ist. Demofoonte zählte zu den beliebtesten Werken von Metastasio und wurde mehr als 70 Mal vertont. Erzählt wird die Geschichte des thrakischen Königs, der aufgrund eines Orakelspruchs dem Gott Apollo jedes Jahr eine Jungfrau opfern muss. Um seine eigene Tochter zu schützen, hat er sie außer Landes gebracht. Unerkannt kehrt sie jedoch unter dem Namen Dircea nach Thrakien zurück und heiratet heimlich Timante, den Demofoonte für seinen Sohn hält. In der Arie "Sperai vicino il lido" verleiht Timante nun seiner Sorge Ausdruck, dass Dircea geopfert werden soll. Jaroussky punktet dabei mit einer warmen Stimmfärbung, die dunkler klingt, als man es von ihm aus früheren Jahren gewohnt ist. In den Höhen strahlt sein Countertenor wie zuvor, doch in der Mittellage klingt er stellenweise recht leise und wird zeitweilig vom Orchester ein wenig überdeckt. Dabei wechselt er zwischen Brust- und Kopfstimme. Das Ensemble Le Concert de la Loge unter der Leitung des Violinisten Julien Chauvin stellt dem Rezitativ und der Arie die einleitende Ouvertüre voran und begeistert durch filigranen Klang und leidenschaftliche Interpretation. Im Anschluss folgt die Ouvertüre zu Catone in Utica von Leonardo Leo, dessen Vertonung die Grundlage eines von Georg Friedrich Händels erstelltem Pasticcio zum gleichen Stoff darstellt. Auch hier punktet das Orchester mit großer Dramatik. Philippe Jaroussky Weiter geht es mit einem Werk, dessen Titel man vor allem durch die Vertonung von Wolfgang Amadeus Mozart kennt: La clemenza di Tito. Die Fassung von Michelangelo Valentini von 1753 hingegen ist genauso unbekannt wie der Komponist. Jaroussky präsentiert die Arie "Se mai senti spirarti sul volto" des Sesto, der in Vitellia verliebt ist, die ihn allerdings für ihre Intrige gegen den römischen Kaiser Tito missbraucht. Sesto stellt sich darin die Frage, wem seine Loyalität gehört. Jaroussky macht diese Ungewissheit mit beweglicher Stimme mehr als deutlich und changiert zwischen weichen Bögen und dramatischen Ausbrüchen. Vor der Pause lässt er dann noch Licida aus Tommaso Traettas Oper L'olimpiade zu Wort kommen, der glaubt, seinen Freund Megacle verloren zu haben. Auch hier vollzieht Jaroussky zahlreiche Registerwechsel und punktet mit beweglicher Stimmführung. Nach der Pause präsentiert er dann eine Arie aus der gleichnamigen Oper von Andrea Bernasconi. "Siam navi all'onde algenti" ist eine "typische" Gleichnis-Arie über ein Schiff, das in einem heftigen Sturm auf dem Meer droht, den Halt zu verlieren. Jaroussky macht die Bedrohung durch das tosende Meer mit schnellen Läufen und dramatischen Ausbrüchen in Spitzentöne mehr als deutlich. Es folgt eine Arie von Giovanni Battista Ferrandini, deren Text unter anderem auch Antonio Vivaldi in seine Oper Farnace und Georg Friedrich Händel in Siroe, Re di Persia einbauten: "Gelido in ogni vena". Ferrandinis Version, die keiner Oper entstammt, kommt musikalisch dabei Vivaldis Fassung sehr nahe, die vor allem durch eindrucksvolle Interpretationen von Cecilia Bartoli und Max Emanuel Cencic Bekanntheit erlangt hat. Das Orchester beginnt mit unruhigen Streicher-Staccati, die eine unheimliche, eisige Atmosphäre zeichnen und lautmalerisch umsetzen, wie dem Interpreten das Blut in den Adern gefriert. Jaroussky überzeugt dabei mit zarten, nahezu zerbrechlichen Tönen, die die Verzweiflung des Interpreten bewegend untermalen. Nach einer eindrucksvollen Sinfonie von Niccolò Jommelli, bei der das Orchester Le Concert de la Loge erneut begeistert, gibt es zum Abschluss noch zwei Auszüge aus der Oper Artaserse, einmal von Johann Christian Bach und einmal von Niccolò Jommelli. In beiden Fällen kommt Arbace der Sohn des Königsmörders zu Wort. In der ersten Arie akzeptiert er beinahe abgeklärt, vom eigenen Vater der Intrige geopfert zu werden, während er in der zweiten Arie in wilden Koloraturen seiner Verzweiflung freien Lauf lässt. Jaroussky überzeugt hier durch sauber angesetzte Koloraturen, die in den schnellen Läufen allerdings ein wenig angestrengt klingen. Natürlich lässt das begeisterte Publikum Jaroussky nicht ohne Zugabe gehen, und so gibt es im Anschluss noch eine Arie aus Vivaldis Oper Giustino, die Jaroussky nach eigenem Bekunden sehr viel bedeutet: "Vedrò con mio diletto". Kaiser Anastasio kann sich darin nur sehr schwer von seiner geliebten Arianna trennen und träumt von einem glücklichen Wiedersehen. Hier begeistert Jaroussky mit weicher Stimmführung und sehr zarten Tönen. Auch dem Publikum fällt es danach schwer, sich von Jaroussky und dem großartigen Orchester zu verabschieden, und bedankt sich mit stehenden Ovationen. FAZIT Auch wenn Jarousskys Stimme etwas dunkler geworden ist, begeistert er immer noch durch eine großartige Technik und zeigt auch in diesem Konzert, welche verborgenen Barockjuwelen in den Archiven schlummern.
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Ausführende Philippe Jaroussky Le Concert de la Loge Julien Chauvin, Dirigent und Violine
Johann Adolph Hasse Fuga a la breve aus Fuga et Adagio g-moll Leonardo Leo Michelangelo Valentini Tommaso Traetta Andrea Bernasconi Giovanni Battisto
Ferrandini Niccolò Jommelli Johann Christian Bach Niccolò Jommelli
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