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Benjamin Britten:
War Requiem op. 66

Irina Lungu, Sopran
Allan Clayton, Tenor
Matthias Goerne, Bariton

London Symphony Chorus
SWR Vokalensemble Stuttgart

SWR Symphonieorchester

Leitung: Teodor Currentzis




13. Juni 2024, Konzerthaus Dortmund
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Konzerthaus Dortmund (Homepage)
Ein Wunder der leisen Töne

Von Stefan Schmöe / Fotos von Sabrina Richmann

Nie wieder Krieg: Benjamin Brittens War Requiem ist ein eindringlicher Appell zum Frieden. Damit ist die 1962 uraufgeführte Komposition in diesen Tagen ein Werk der Stunde - und auch wieder nicht, denn gleichzeitig wird es zum Symbol der Hilflosigkeit von Kunst angesichts der Realpolitik. Für Teodor Currentzis bedeutet das Projekt den Abschied vom SWR Symphonieorchester, das er seit 2018 geleitet hat. Unumstritten ist der Dirigent bekanntlich nicht: Der in Griechenland geborene, in Russland zum Pultstar aufgestiegene (und dafür mit der russischen Staatsbürgerschaft ausgestattete) Künstler hat sich nie eindeutig von Putins Krieg gegen die Ukraine distanziert. Nun sind Currentzis' Verflechtungen in Russland die eine, moralische Appelle aus dem gesicherten Westeuropa eine andere Sache, um die es hier nicht gehen soll. Bei diesem Dortmunder Konzert war die politische Rolle von Currentzis in geradezu auffälliger Weise kein Thema.

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Dabei ist die Besetzung symbolträchtig. Der exzellente, klanglich perfekt homogene und intonationsreine Chor setzt sich zusammen aus dem London Symphony Chorus (Einstudierung: Mariana Rosas) und dem SWR Vokalensemble Stuttgart (Einstudierung: Yuval Weinberg). Irina Lungu (mit betörendem leuchtendem Timbre und etwas zu ausladendem Vibrato) wird, obgleich in Moldawien geboren, auf der Website des Moskauer Bolschoi-Theaters als "russische Sopranistin" geführt, Tenor Allan Clayton (mit lyrischer Emphase und Beweglichkeit) kommt aus England, Bariton Matthias Goerne (immer sehr nuanciert in der Gestaltung, etwas angestrengt im Forte) aus Deutschland. Das folgt Brittens Dramaturgie der Uraufführung, als die Mitwirkenden auch stellvertretend für die Kriegsnationen des Zweiten Weltkriegs stehen sollten (die Russin Galina Vishnevskaya erhielt allerdings keine Ausreisegenehmigung, wirkte aber an der ersten Schallplatteneinspielung mit). Vor den Türen des Konzerthauses fordert ein Dortmunder Bündnis mit Handzetteln das Ende von Krieg und Waffenlieferungen. Drinnen gilt's allein der Kunst.

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Currentzis' herausragende musikalische Arbeit ist vom ersten Ton an hörbar. Nicht nur beginnt das Orchester sehr leise, auch die ersten Choreinwürfe "Requiem aeternam" erklingen kaum hörbar und doch mit hoher Präsenz. Wie ein Flüstern aus dem Untergrund baut sich die Musik nach und nach auf, aus dem Nichts entstehend. Überhaupt wählt Currentzis oft extrem leise Lautstärken, und im Konzerthaus Dortmund könnte man die berühmte Stecknadel fallen hören. Leider gibt es statt dieser eine Klimaanlage, die nicht völlig geräuschlos arbeitet - dass man die im Verlauf der Aufführung ab und zu störend wahrnimmt, sagt einiges aus. Der Knabenchor der Chorakademie Dortmund (Einstudierung: Jost Salm) singt mit glockenreinem Klang unsichtbar aus weiter Ferne wie aus dem Jenseits. Immer wieder gibt es Momente, in denen die Musik kaum greifbar ist. Hier tut sich eine Welt auf, die in ihrer Fragilität stark gefährdet ist.

Es gibt wohl kaum eine Note in dieser Partitur, die Currentzis nicht mit höchster Sorgfalt ausgestalten würde. Die auf- und absteigenden Chorlinien des Dies irae folgen einem genau austariertem Crescendo und Decrescendo von Note zu Note. Das ist mit bestechender Präzision durchgestaltet. Eine solche Genauigkeit der Intonation im Chor wie im Orchester erlebt man selten. Balance und Feinabstimmung sind in allen Instrumentengruppen hervorragend ausgearbeitet, Einsätze gelingen mit höchster Genauigkeit und doch nicht schneidend. Der Klang ist hell und licht und behält auch bei den wohlkalkulierten Fortissimo-Ausbrüchen Transparenz. In dieser Verfassung gehört das SWR-Orchester zur Weltspitze. Ein winziger Einwand: Die Aufführung ist von einer solchen Perfektion und einem derart konsequenten Gestaltungswillen, dass man mitunter wünscht, Currentzis würde die Musik einfach einmal laufen lassen.

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Die unterschiedlichen Klangsphären sind subtil ausgeleuchtet. Britten überträgt dem vom großen Orchester begleiteten Chor den Text der Totenmesse. Bei Currentzis entsteht diese Ebeneaus dem nichts wie von Ferne und entschwindet auf die gleiche Weise, eine Form kollektiver, universeller Trauer um alle Verstorbenen. Die beiden solistischen, kammermusikalisch begleiteten Männerstimmen bekommen eine andere Klangsphäre. Das zeigt sich bereits an der ungewöhnlichen Orchesteraufstellung. Allan Clayton und Matthias Goerne werden zart und delikat getragen von einem kleinen Ensemble, das direkt hinter ihnen postiert ist und vom großen Orchester eingerahmt wird. Die Texte stammen von Wilfred Owen (1893 - 1918), einem bedeutenden englischen Dichter und Zeitzeugen des Ersten Weltkriegs - und Opfer, denn Owen starb in den letzten Kriegstagen an der Front. Clayton und Goerne gestalten ihre Partien mit unpathetischem erzählerischem Duktus, beinahe nüchtern. Hilfreich wäre hier eine Einblendung der Texte, was bei konzertanten Opernaufführungen ja auch gemacht wird. Im Gegensatz zu ihren beinahe dokumentarischen Rollen steht das Lacrymosa mit Solo-Sopran opernhaft im Zentrum des Werkes. Auch hier findet Currentzis einen schlanken Tonfall, ohne den an Verdi und dessen Requiem erinnernden Gestus zu unterschlagen.

Es gehört zu Currentzis' Eigenarten, nach dem in Stille versinkenden letzten Ton des Werkes lange regungslos am Pult zu verharren, und natürlich sind diese Sekunden der Ruhe und Besinnung existenzieller Bestandteil der Aufführung. Wenn aber längst einzelne Musiker im Orchester die Spannung aufgeben, wenn zaghafte Versuche von Beifall die Spannung auflösen wollen, dann müsste auch der Dirigent nachgeben. Currentzis möchte selbst entscheiden, wann applaudiert wird, und damit gibt er dem Konzert eine sakrale Aura. Das kann man manieriert finden. Der herausragenden künstlerischen Leistung tut es keinen Abbruch.




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Ausführende

Irina Lungu, Sopran
Allan Clayton, Tenor
Matthias Goerne, Bariton

London Symphony Chorus
(Einstudierung: Mariana Ross)

SWR Vokalensemble Stuttgart
(Einstudierung: Yuval Weinberg)

Knabenchor der Chorakademie Dortmund
(Einstudierung: Jost Salm)

SWR Symphonieorchester


Leitung: Teodor Currentzis


Werke

Benjamin Britten:

War Requiem op. 66



Weitere Informationen:

Konzerthaus Dortmund



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