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Beyond

Jakub Józef Orliński
Il Pomo d'Oro
Musik von Claudio Monteverdi, Biagio Marini, Giulio Caccini u. a.

in italienischer Sprache

Aufführungsdauer: ca. 1h 50' (keine Pause)

Freitag, 24. November 2023, 20.00 Uhr
Alfried Krupp Saal in der Philharmonie Essen

 


Theater und Philharmonie Essen
(Homepage)

Barock-Konzert aus einem Guss

Von Thomas Molke / Foto: © Jiyang Chen

Jakub Józef Orliński zählt in der Countertenor-Szene zu den großen Entdeckungen der letzten Jahre. Nachdem der aus Warschau stammende Sänger schon während seines Gesangsstudiums an kleineren Häusern unter anderem als Ruggiero in Händels Alcina am Theater Aachen oder als Philippus in Telemanns Der misslungene Brautwechsel, einer Bearbeitung von Händels Riccardo I., am Stadttheater Gießen auf sich aufmerksam gemacht hatte, gelang ihm sein Durchbruch 2017 als Orimeno in Cavallis Erismena bei den Festspielen in Aix-en-Provence. Es folgten umjubelte Auftritte in Frankfurt und schließlich die Titelpartie in Händels Tolomeo bei den Internationalen Händel-Festspielen in Karlsruhe. Für Mai 2021 war eigentlich sein Debüt in der Philharmonie Essen geplant. Aufgrund der Corona-Pandemie war das Konzert jedoch nur digital zu erleben. Nun kann er im Rahmen der Reihe "Große Stimmen" nach Stationen unter anderem in Paris und San Francisco auch im Alfried Krupp Saal in der Philharmonie Essen sein Debüt mit seinem neuen Programm vor vollem Haus geben. Unter dem Titel Beyond präsentiert er eine Auswahl von Werken des 17. Jahrhunderts, die der Konzertdramaturg Yannis François gezielt für seine Stimme zusammengestellt hat. Mit dem 2012 in Italien gegründeten Ensemble Il Pomo d'Oro, das auf historische Aufführungspraxis spezialisiert ist und ihn auch bei seinen ersten beiden Alben Anima Sacra und Facce d'Amore begleitet hat, hebt Orliński erneut zahlreiche verborgene Schätze der frühen Barockmusik.

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Jakub Józef Orliński

Dass es bei diesem Konzert keine Pause gibt, mag auf den ersten Blick verwundern, da die Dauer mit ca. 165 Minuten angegeben ist. Aber es handelt sich nicht um einen Arienabend sondern um ein durchinszeniertes Programm, bei dem eine Nummer fließend in das nächste Stück übergeht. Den Anfang macht ein Auszug aus einem relativ bekannten Werk: L'incoronazione di Poppea. Nach der einleitenden Sinfonia durch das Ensemble Il Pomo d'Oro, das bei diesem Konzert ohne musikalische Leitung auftritt, betritt Orliński in ein schwarzes Gewand gehüllt als Ottone die Bühne. Das Publikum beginnt, bei seinem Auftritt zu applaudieren, merkt jedoch schnell, dass hier ein Applaus gar nicht vorgesehen ist. Nahtlos geht die Sinfonia in die Arie des Ottone über, der gerade aus dem Krieg nach Rom zurückgekehrt ist und feststellen muss, dass seine Geliebte Poppea zu Neros Mätresse geworden ist. Mit dunkel gefärbtem Countertenor lässt Orliński Ottones Verletzung über diese neue Entwicklung spürbar werden. An die ausdrucksstarke Arie schließt sich ein weiteres Stück von Monteverdi an, das zwar nicht aus der Oper stammt, aber Ottones Verzweiflung wunderbar widerspiegelt: "Voglio di vita uscir". Hier gehen Orlińskis zart und nahezu zerbrechlich angesetzten Höhen unter die Haut.

Zu einem Passacalio von Biagio Marini legt Orliński den schwarzen Umhang ab und präsentiert sich nun in einem beige-farbenen Anzug unter dem er ein schwarzes Hemd mit Rüschen an den Ärmeln trägt. Von dem betrogenen Ottone verwandelt Orliński sich in einen jugendlichen Liebhaber, der die schöne Amarilli anhimmelt. Die Arie von Giulio Caccini ist ein Solo-Madrigal aus seiner Monodie-Sammlung Le nuove musiche. Mit jugendlich frischen Höhen lässt Orliński die Verliebtheit des jungen Mannes ertönen, die im Anschluss scheinbar direkt wieder enttäuscht wird. Regelrecht wütend gibt er in einer Arie von Girolamo Frescobaldi aus der Ariensammlung Arie musicali den zurückgewiesenen Liebhaber, der von der Angebeteten verachtet wird. Mit schneidenden Höhen in scharfen Koloraturen lässt er seiner Wut freien Lauf. Nach so viel Zorn muss er erst einmal zur Ruhe finden. Zur Sonate F-Dur für zwei Violinen und Continuo von Johann Caspar Kerll zieht Orliński seine Schuhe aus und legt sich auf die Bühne. In einer Arie von Barbara Strozzi hofft er anschließend, die Geliebte nun endlich gefunden zu haben. Auch hier findet Orliński sehr sanfte Töne. Im Anschluss verwandelt er sich in den Feldherrn Pompeius, der in Francesco Cavallis Oper Pompeo Magno mit dem Licht hadert, das ihm alles offenbart, was er dennoch nicht versteht. Dazu legt Orliński das schwarze Gewand wieder um.

Zu einer Sinfonie von Carlo Pallavicino begibt sich Orliński erneut auf die Suche auf der Bühne, nachdem er das schwarze Gewand wieder ausgezogen hat, und findet ein Licht auf dem Bühnenboden, mit dem er zu den folgenden Arien aus der Oper La Filli von Giovanni Cesare Netti in den Saal schreitet. Hier beschreibt er das Liebesleid des Berillo in insgesamt drei Arien, die durch kurze Rezitative unterbrochen werden. Aufhorchen lässt direkt die erste Arie "Misero core", in der Berillo sein Unglück in der Liebe beklagt. Orliński begeistert mit leuchtenden Koloraturen und großer Beweglichkeit in der Stimme. Ein weiterer Glanzpunkt ist die dritte Arie "Dolcissime catene", in der Berillo die Ketten der Liebe akzeptiert. Auch hier punktet Orliński mit strahlenden Höhen und weicher Stimmführung. Danach zeigt Orliński auch seine tänzerischen und akrobatischen Fähigkeiten. Die Musik scheint seinen Körper zu durchfluten, und so schlägt er kurzerhand mal ein Rad auf der Bühne und präsentiert eine Schraube. Dass er bei derart großem körperlichen Einsatz im Anschluss direkt wieder Luft zum Singen hat, spricht für seine jugendliche Kondition.

Im Folgenden wird es komödiantisch. Orliński beobachtet interessiert ein Gitarren-Solo, das Miguel Rincon mit großer Präzision präsentiert. Dabei treten die beiden in ein humorvolles Wechselspiel. Rincon zeigt sich bei diesem Solo zunächst recht selbstbewusst, fühlt sich allerdings von Orliński bedrängt und will schließlich die Bühne verlassen, was Orliński mit der folgenden Arie "La certezza di tua fede" von Antonio Sartorio aus der Oper Antonino e Pompeiano verhindert. Danach geht es lustig weiter. Orliński verwandelt sich dazu in eine alte Frau, indem er das schwarze Gewand als Rock umlegt und in gebückter Haltung mit einem schwarzen Tuch über dem Kopf vor das Orchester schlurft. In zwei Auszügen aus Giovanni Cesare Nettis Oper L'Adamiro gibt Orliński nun die "donna vecchia", die sich, je älter sie wird, desto mehr nach körperlicher Liebe sehnt. Dabei setzt er auch bewusst einige Töne etwas schief an, um die Komik zu unterstreichen. Einen leuchtenden Abschluss des Programms bietet dann die Arie des Amore aus der Oper La faretra smarrita von Sebastiano Moratelli. Hier zieht Orliński noch einmal mit strahlenden Koloraturen alle Register seines Könnens.

Es folgen insgesamt vier Zugaben. Nachdem Orliński sich beim Publikum für den überschwänglichen Applaus bedankt hat, präsentiert er zunächst eine Arie des Eliogabalo aus Cavallis gleichnamiger Oper, die er bereits auf seinem Album Facce d'Amore eingespielt hat. Darin warnt Eliogabalo davor, mit Amor zu spielen, weil man dabei immer den Kürzeren ziehe. Orliński begeistert hier mit strahlenden Koloraturen und flexiblen Läufen. Es folgt die Arie des Endimione aus Cavallis La Calisto, "Lucidissima face", in der der junge Mann gefühlvoll seine Liebe zu Diana zum Ausdruck bringt. Auch hier punktet Orliński mit leuchtenden Höhen. Bei der dritten Zugabe wird das Publikum mit einbezogen. Aus der Oper Nerone von Giuseppe Maria Orlandini präsentiert Orliński die Arie "Che m'ami ti prega" und fordert das Publikum auf, als sein Echo zu fungieren. Bis zu einem gewissen Punkt folgt der Saal dem charismatischen Sänger. Doch als Orlińskis Vorlagen zu virtuos werden, beschließt man, lieber zu applaudieren, als dem Sänger musikalisch folgen zu wollen.

Mehr war wahrscheinlich eigentlich von Orliński und dem Ensemble Il Pomo d'Oro nicht geplant, aber nach der letzten grandiosen Nummer ist die Begeisterung des Publikums nicht zu bremsen. Also entschließt sich Orliński, noch einmal "La certezza di tua fede" zu präsentieren und beendet die Vorstellung mit einigen Breakdance-Sprüngen.

FAZIT

Jakub Józef Orliński setzt das auf ihn zugeschnittene Programm mit dem Ensemble Il Pomo d'Oro grandios um und schafft es, dabei eine enorme Nähe zum Publikum herzustellen.



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Ausführende

Jakub Józef Orliński

Il Pomo d'Oro


Werke

Claudio Monteverdi
"E pur io torno qui"
Arie des Ottone aus
L'incoronazione di Poppea

"Vogli di vita uscir"

Biagio Marini
"Passacalio" aus der Sonaten-Sammlung
Per ogni sorte di strumento musicale,
op. 22

Giulio Caccini
"Amarilli mia bella"
Solo-Madrigal aus Le nuove musiche

Girolamo Frescobaldi
"Così mi disprezzate"
aus der Ariensammlung Arie musicali

Johann Kaspar Kerll
Sonate F-Dur
für zwei Violinen und Continuo

Barbara Strozzi
"L'amante consolato"
aus Cantate, arietti e duetti, op. 2,6

Francesco Cavalli
"Incomprensibil nume"
Arie aus Pompeo Magno

Carlo Pallavicino
Sinfonia aus Il Demetrio

Giovanni Cesare Netti
"Misero core"... "Si, si si, sciogla si"...
"Dolcissime catene"
Arien des Berillo aus La Filli

Antonio Sartorio
"La certezza di sua fede
Arie des Pompeiano
aus Antonio e Pompeiano

Giovanni Cesare Netti
"Quanto più la donna invecchia
"Son vecchia, patienza"
Arien des Crinalba aus L'Adamiro

Adam Jarzębski
"Tamburetti" aus der Sammlung
Canzoni e concerti

Sebastiano Moratelli
"Lungi dai nostri cor"
Arie des Amore aus La faretra smarrita


Weitere Informationen
erhalten Sie von der

Theater und Philharmonie Essen
(Homepage)



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