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Utopia Orchestra
Dirigent: Teodor Currentzis

Werke von Anton Bruckner, Gustav Mahler und Jay Schwartz

Aufführungen am 25. und 26. Oktober 2024 im Festspielhaus Baden-Baden

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Festspielhaus Baden-Baden
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Ganz nahe am Ideal

Von Christoph Wurzel / Fotos: © Alexandra Muravyeva

In Baden-Baden war Teodor Currentzis mit musicAeterna zu erleben und mit dem SWR Symphonieorchester, dessen Chefdirigent er bis Juni 2024 sechs Jahre lang war. Stets waren die Aufführungen herausragende Ereignisse. Durch Boykott wurden sie hier nicht verhindert. Auch diesmal galt's allein der Kunst. Wäre er nicht gekommen, wär's ein großer Verlust gewesen. Die beiden jüngsten Konzerte im Festspielhaus lieferten unumstößlich den Beweis.

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Teodor Currentzis

Seit zwei Jahren gibt es das Utopia Orchestra, das Currentzis sich je nach Programm aus handverlesenen Musikerinnen und Musikern jeweils aus "Dutzenden Nationen" (wie es im Programmheft heißt) gezielt zusammenstellt. Ein Dirigent sucht sich sein Orchester, nicht umgekehrt. Dies dürfte der Hauptgrund sein für das - man muss es sagen - überwältigende Ergebnis. Verteilt auf zwei Abende beschränkte sich das Programm im Wesentlichen auf zwei Großwerke der symphonischen Literatur. Ablenkung gab es nicht, Konzentration war angesagt und wurde auf wunderbare Weise erreicht.

Einzig voran gestellt, vor der aufwühlenden Fünften von Mahler, war ein brandneues Stück Orchestermusik, das für Anspannung sorgte, aber nicht beunruhigte. Zwei Tage zuvor hatte es Currentzis mit Utopia in der Berliner Philharmonie aufgeführt: die Passacaglia IX von Jay Schwartz, geboren 1960 in Kalifornien und momentan in Köln lebend. Das Stück ist eigentlich eine einzige Woge von Klang, die zu Beginn mit einem extrem leisen Paukenwirbel zu schwellen beginnt, sich stufenlos zu größter Gewalt steigert, um ebenso bruchlos wieder im Tremolo der Pauke zu verebben. Feinste Abstufungen des Klangs, in ruhigen Vierteln dirigiert, werden rhythmisch gleichbleibend durch das fast unmerkliche ineinander Gleiten der Töne erzeugt. Es schien, als hörte man elektronische Klänge, so präzise und volltönend kam es aus dem Orchester. Konventionell behandelte und gespielte Instrumente klangen wie technische Ereignisse, die wiederum die klingende Natur simulierten. Ein rund zwanzigminütiger Rausch, der beim Publikum sehr gut ankam. Der anwesende Komponist erntete verdienten Jubel.

Exaktes Zusammenspiel war dabei gefragt und hochdifferenzierte Artikulation. Beides wurde zur besonderen Qualität auch der klassischen Werke, bei denen man Note für Note verfolgen konnte, wie trockenes Notenpapier zu intensiver Klangrede wurde. Dass Currentzis in der Alten Musik bestens zuhause ist, kommt ihm auch zugute, wenn er sich Mahler oder Bruckner vornimmt. Anders als bei vielen Dirigenten ist sein Repertoire breit und sein Horizont weit gespannt. Man spürt, dass er weiß, aus welcher Geschichte sich seine aktuelle Musik speist.

Mahlers Trauermarsch zu Beginn seiner Fünften kam wie ein Klang aus den fernen Zeiten der KuK-Militärmusik, wie der Komponist sie in seiner Kindheit beim Aufmarsch im böhmischen Iglau auf dem Appellplatz gehört haben mag. Und die Choräle in Bruckners Adagio klangen wie einer Messe im Stift St. Florian abgelauscht. Hier war nichts aufgesetzt und nur "als ob" musiziert - man bekam vielmehr den Eindruck des Authentischen.

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Teodor Currentzis

Unzählige Vorgaben des Ausdrucks finden sich in Mahlers Partituren. Bruckner bleibt dagegen sparsam und gibt allenfalls hin und wieder technische Hinweise. So schien es, dass Currentzis beim Dirigat von Bruckners Neunter noch weit mehr mit Gesten ins Orchester wirkte als er es bei Mahler tat. Denn sein Anliegen, im Ausdruck der Musik das Äußerste zu geben, war unüberseh- und unüberhörbar. Es mag sein, dass sich der Dirigent mit derart reicher Gestik ein bisschen stilisiert. Aber das Ergebnis gibt ihm Recht und das Orchester folgte ihm unbedingt.

Mahlers Musik ist konkret, sie erzählt, sie schafft eine Welt in Klängen. Diejenige Bruckners bleibt weit mehr abstrakt. Aber bei beiden bedeutete Klangrede: Artikulation, welche die Musik mit Inhalt füllt. Beim Ländler in Mahlers Scherzo war im Dreivierteltakt der Geigen sogar ein Hauch von Erotik zu spüren. Dagegen durchwehte den Klang der Wagnertuben in Bruckners Adagio eine tiefe Traurigkeit, wie sie sonst kaum zu hören ist. Takt für Takt war die Musik angefüllt mit derart klarer Aussage. Currentzis musste an keiner Stelle ins Extreme gehen, selbst das Groteske in Mahlers Scherzo blieb ein erträglicher Spuk. Es wirkte vor allem durch die Farbe des Klangs. Das problematische Adagietto, dessen sanfter Fluss in weicher Instrumentation leicht in die Gefahr übermäßiger Sentimentalität gerät, strahlte natürliche Wärme aus. Currentzis nahm es recht langsam, setzte fein nuancierte Rubati und ließ viel echtes Gefühl zu. Bewundernswert welch schönes Piano und Pianissimo das Orchester zustande brachte - und nicht nur hier, sondern überall wo es gefordert war.

Es waren auch nicht zuletzt die solistischen Stellen, in denen die Instrumentalistinnen und Instrumentalisten immer wieder Glanzpunkte setzten - die Solovioline, die einzelnen Holz- und Blechbläser bis hin zum Paukisten. Sie alle folgten dem Ideal der Kraft des Ausdrucks und der Schönheit des Klangs.

Eine schöne Brücke zwischen der umtriebigen und sehr weltlichen Mahler-Symphonie und Bruckners Neunter, die er "dem lieben Gott" widmete, schlug die Zugabe des ersten Konzerts, mit der das Orchester spielend und in Einzelstimmen auch singend den Abend beruhigend schloss: der Bachchoral Jesu bleibet meine Freude in der Bearbeitung von Ferrucio Busoni.

Entgegen akademischer Trockenheit war bei allem musikantische Spielfreude zu spüren, fern ab von interpretatorischer Rechthaberei, die Currentzis manchmal nachgesagt wird. Keineswegs - die Interpretationen waren so, wie sie das Empfinden als richtig fühlen ließ. Irgendwie schien die Utopie konkret geworden zu sein: Das Ideal der vollkommenen Interpretation war zum Greifen nahe.

 

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Ausführende

Utopia Orchestra

Teodor Currentzis, Dirigent


Die Programme

25. Oktober 2024

Jay Schwartz
Passacaglia -
Music for Orchestra IX
(2024)

Gustav Mahler
Symphonie Nr. 5

Zugabe:
Johann Sebastian Bach /
Ferrucio Busoni
"Jesu bleibet meine Freude

26. Oktober 2024

Anton Bruckner
Symphonie Nr. 9 d-Moll

 


Weitere Informationen
erhalten Sie vom

Festspielhaus Baden-Baden
(Homepage)



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