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Der Klang der Unterwelt Von Thomas Molke / Foto: © Manu Theobald Seit mehreren Spielzeiten sind die "Zeitinseln" ein fester Programmpunkt im Konzerthaus Dortmund. Dabei beschäftigt man sich entweder mit einem Komponisten oder einem namhaften Künstler bzw. einer namhaften Künstlerin. Die erste "Zeitinsel" ist in dieser Saison dem Schweizer Komponisten Beat Furrer gewidmet. An vier aufeinander folgenden Tagen sind Werke aus seinem umfangreichen Oeuvre zu erleben, die im Programmheft als "Resonanzräume" beschrieben werden, "in denen sich Subjekt und Welt, Sprache und Musik, Vergangenheit und Gegenwart gegenseitig berühren und zugleich transformieren". Den Abschluss der "Zeitinsel" bildet sein als "Musiktheater" bezeichnetes Werk Begehren, das am 5. Oktober 2001 beim Steirischen Herbst in Graz konzertant uraufgeführt wurde und am 9. Januar 2003 ebenfalls in Graz erstmals szenisch gespielt wurde. Im Konzerthaus Dortmund ist das Stück konzertant zu erleben. Es beschäftigt sich mit dem ältesten Stoff der Operngeschichte, dem Orpheus-Mythos. Beat Furrer Die Geschichte des thrakischen Sängers Orpheus, dem es durch seine wunderschöne Stimme gelingt, in die Unterwelt hinabzusteigen, um seine frisch angetraute Gattin Eurydice zurückzuholen, die durch den Biss einer Schlange gestorben ist, ist untrennbar mit der Entstehung der Oper als Gattung verbunden. Kein anderes Genre zelebriert den Zauber des Gesangs gleichermaßen. Beat Furrer hat dazu gemeinsam mit Christine Huber und Wolfgang Hofer Texte zusammengestellt, die entweder den Orpheus-Mythos erzählen wie die lateinischen Dichter Ovid in seinen Metamorphosen oder Vergil in seinen Georgica, auf die Geschichte Bezug nehmen wie Hermann Brochs Der Tod des Vergil aus dem Jahr 1945 oder Cesare Paveses Dialoghi con Leucò aus dem Jahr 1945 oder eine Parallele zu dem Stoff aufweisen wie die Klage einer verlassenen Geliebten um ihren Freund aus Günther Eichs Hörspiel Geh nicht nach El Kuhwed aus dem Jahr 1950. Herausgekommen ist dabei allerdings keine Erzählung oder Handlung, wie man sie vielleicht von einer Oper erwartet, weshalb in der Einführung das Werk auch bewusst nicht "Oper" sondern "Musiktheater" genannt wird. Vielmehr führt Furrer mit seiner Komposition in eine Klangwelt, die keinerlei Melodien im herkömmlichen Sinn erkennen lässt. Der Sänger Orpheus, der bei Furrer nur "Er" heißt, singt quasi nicht, sondern spricht nur. Dabei muss Christoph Brunner als "Er" allerdings so leise sprechen, dass man den Text den er sagt, an kaum einer Stelle verstehen kann. Das scheint auch nicht intendiert zu sein, da sich seine Passagen mit den Stimmen des Vokalensembles Cantando Admont mischen und auch mit den Geräuschen, die die Musikerinnen und Musiker des Klangforum Wiens ihren Instrumenten entlocken, überlagern. Leider wird der Text auch nicht übertitelt, sondern ist lediglich im Programmheft abgedruckt, aber auch hier kann man ihm nicht folgen, da er parallel zu anderen Texten gesprochen wird und eben kaum verstanden werden kann. Aber es geht Furrer auch wohl nur um das bloße Geräusch, das die Schatten im Kopf erzeugen. Denn Furrers Werk beginnt mit dem eigentlichen Ende der Geschichte, der Katastrophe, die eintritt, als Orpheus sich auf dem Weg aus der Unterwelt nach seiner Gattin umdreht. Was nun passiert, ist laut Einführung vor der Vorstellung in zehn Szenen gegliedert, die zwar durch Lichtwechsel deutlich gemacht werden, aber inhaltlich keine Struktur erkennen lassen. Man scheint sich noch einmal mit Orpheus auf den Weg durch die Unterwelt zu bewegen, und was man da hört, könnte den Klängen einer Unterwelt in realistischer Weise wesentlich näher kommen, als was Monteverdi und Gluck in diesem Zusammenhang komponiert haben. Im Reich der Schatten gibt es eben keine Struktur. Die merkwürdigsten Geräusche sind zu vernehmen, bei denen man teilweise kaum erkennen kann, ob sie nun vom Orchester oder von den Sängerinnen und Sängern stammen. Teilweise imitieren die Sängerinnen und Sänger auch einzelne Instrumente. Wenn Eurydice, die im Stück nur als "Sie" bezeichnet wird, auf Lateinisch "Fata vocant" singt, erinnert Sarah Aristidous hoher "A"-Ton wie der Laut einer Lokomotive. Interessant ist, dass Eurydice im Gegensatz zu Orpheus bis zur sechsten Szene singt. Dass sie singt und er nur spricht, soll zusätzlich andeuten, wie weit die beiden durch Orpheus' Fehler voneinander entfernt sind. In der siebten Szene kommt es zu einer kurzen Annäherung. Nachdem das Vokalensemble in der sechsten Szene nach zuvor sehr abstrakten Lauten erstmals eine Art Melodie anstimmt, findet auch Orpheus zu gesungenen Tönen. Doch das dauert nur einen kleinen Moment. Sein Gesang geht in Atemgeräusche über, die ihn schließlich sprachlos machen, während Eurydice ab der siebten Szene ihre Gesangsstimme verloren hat und nun den Text ebenso unverständlich spricht wie Orpheus am Anfang. Neben den zahlreichen lateinischen Passagen, die den Text durchziehen, werden in der Schlussszene auch die einzelnen Worte in Silben oder Buchstaben zerlegt. So wird am Ende auch Eurydice ihrer Sprache beraubt. Was bleibt ist die Leere der beiden Figuren. Keine Gottheit kann durch ihr Schicksal mehr bewegt werden, weil sie keine Stimmen mehr haben, und eiskalt treibt der Kahn über den Fluss der Unterwelt Styx. Damit endet das Werk. Die 90 Minuten fordern von Brunner und Aristidou und dem Vokalensemble Cantando Admont, das von Cordula Bürgi gegründet und einstudiert worden ist, höchste Konzentration. Gleiches gilt für die Musikerinnen und Musiker des Klangforums Wien, die aus ihren Instrumenten teilweise noch nie gehörte Laute hervorzaubern. Furrer hält am Pult alles akribisch genau zusammen. Sich nur auf diese lautmalerische Zeichnung der Schatten und der Unterwelt einzulassen, ist für 90 Minuten dann aber vielleicht doch ein bisschen zu wenig und fordert auch dem Publikum einiges an Geduld ab, worauf sich ein Großteil allerdings bereitwillig einlässt und am Ende großen Applaus spendet. FAZIT Wenn man eine Vorstellung vom Klang der Unterwelt haben möchte, kann man bei Furrer vielleicht einen trefflicheren Eindruck davon gewinnen als bei Monteverdi oder bei Gluck. Dennoch dürften Monteverdi oder Gluck für den musikalischen Genuss ansprechender sein.
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Ausführende Cantando Admont Cordula Bürgi, Einstudierung Klangforum Wien Beat Furrer, Dirigent
Sie Er / Sprecher
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