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Melancholie, elisabethanisch und romantisch
Von Stefan Schmöe Die Regentschaft Elisabeth I. ist als "goldenes Zeitalter" in die englische Geschichte eingegangen. Und gleichzeitig war die Epoche geprägt von einem Hang zur Melancholie. 1621 (da regierte bereits Jakob I.) verfasste Robert Burton nicht ohne Anlass und nicht ohne Ironie sein umfassendes Kompendium Anatomy of Melancholy. Auf dem Gebiet der Musik befeuerte vor allem John Dowland (1563 - 1626) diese Geistesströmung. Der um rund eine Generation ältere William Byrd (um 1543 - 1623) war geringer infiziert mit der eigentümlichen Traurigkeit seiner Zeit - und als Katholik (und Komponist bedeutender katholischer Kirchenmusik) im reformierten Reich Elisabeths ohnehin ein Fall für sich. Außerordentlich einflussreich waren auch seine Werke für Tasteninstrumente, insbesondere für das Virginal (eine Variante des Cembalos). Mitunter schimmert aber auch da eine feine Melancholie durch. Grigory Sokolov bestreitet den (mit kaum mehr als einer halben Stunde recht kurzen) ersten Teil seines Recitals ausschließlich mit Werken von Byrd, die er am modernen Konzertflügel in eine gänzlich andere Klangwelt befördert. Zwar ist seine Spielweise keineswegs "romantisch", allerdings auch nicht übermäßig streng, sondern lotet die Möglichkeiten des modernen Instruments aus. Mit (moderatem) Einsatz des Pedals und einer zwar grundsätzlich vorherrschenden, aber immer wieder delikat aufgebrochenen Terrassendynamik verleiht er der Musik einen neuen Charakter. Beinahe schon konstituierend für seine Interpretation ist der Triller gleich auf der ersten Note des Auftaktstücks John come kiss me now, einem kurzen, ziemlich banalen Liedsatz, den Byrd reich mit eben solchen Trillern versehen hat und auf den 15 Variationen folgen. Diese von Sokolov ganz leicht manieriert (aber nicht aufdringlich) gespielten, dadurch an Bedeutung gewinnenden Verzierungen hört man auch in den folgenden Werken, und sie bilden eine Art Klammer für diesen Block. Gleichzeitig legt der Pianist einen ganz leichten, wehmütigen Schleier über die Kompositionen. Ein wenig Melancholie darf es dann auch bei Byrd sein. Und genau die weist damit voraus auf den zweiten Teil des Programms mit Werken von Chopin und Schumann. Die Mazurkas op. 30 und op. 50 von Frédéric Chopin entwickelt Sokolov mit seiner erlesenen Anschlagskultur als introvertierte, überaus poetische Miniaturen, die auf kleinstem Raum große Geschichten erzählen. Jeder Takt ist fein durchgestaltet, keine Note nebensächlich, ohne dass die Musik durch Bedeutungsschwere erdrückt würde. Kaum einmal werden zwei Töne gleich angeschlagen, und so ergeben sich feinste Schattierungen. Die überlegene Phrasierung, die delikate Tongebung sind von betörender Schönheit. Die Kehrseite dieser feinsinnigen, den wehmütigen Charakter hervorhebenden Interpretation ist freilich, dass den Mazurkas einiges von ihrem tänzerischen, manchmal auch kraftvoll derbem Charakter verloren geht. Scharfe Kontraste vermeidet Sokolov auch in Robert Schumanns Waldszenen, die er mit faszinierender Farbigkeit spielt. Hier scheint selbst der Jäger auf der Lauer von romantischer Melancholie befallen zu sein. Der Vogel als Prophet wiederum singt in beinahe impressionistisch schillernden Tönen. Bei den Zugaben wendet sich Sokolov mit weiteren drei Mazurkas erneut Chopin zu, neben einer Chaconne von Henry Purcell als Referenz an die englische Musik in der Nachfolge Byrds. Im beschließenden Prélude c-Moll op. 28/20, mit dem der Pianist den Abend dann endgültig beendet, erlaubt er sich dann doch einmal donnernde Akkorde (um anschließend umso leiser und subtiler fortzufahren). Das konnte man auch als akustisches Zeichen verstehen: Nach diesem Stück reicht's aber. Das Publikum hätte sicher gerne noch weiter zugehört. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
AusführendeGrigory Sokolov, KlavierWerkeWilliam Byrd:John come kisse me now The first pavan and galliard Fantasia G-Dur Alman The Earl of Salisbury Pavan and two Galliards Callino Casturame Frédéric Chopin: Vier Mazurkas op. 30 Drei Mazurkas op. 50 Robert Schumann: Waldszenen op. 82 Zugaben: Frédéric Chopin: Mazurka a-Moll op. 68/2 Henry Purcell: Chaconne g-Moll Frédéric Chopin: Mazurka cis-Moll op. 63/3 Etüde f-Moll op. 25/2 Mazurka f-Moll op. 68/4 Prélude c-Moll op. 28/20
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