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Liederzyklus als Tagebucherinnerungen Von Thomas Molke / Foto: © Sergi Jasanada Seit einigen Jahren lädt die Reihe Curating Artist einen Musiker oder eine Musikerin ein, gemeinsam mit dem Konzerthaus Dortmund ein mehrtägiges Festival zu konzipieren. In diesem Jahr ist die Wahl auf die in Kansas geborene Mezzosopranistin Joyce DiDonato gefallen, die in vielerlei Hinsicht als Ausnahmekünstlerin betrachtet werden darf. Die mit mehreren "Grammy Awards" und dem "Olivier Award" für herausragende Leistungen in der Oper ausgezeichnete Sängerin zählt nicht nur als Darstellerin sondern auch als Produzentin und leidenschaftliche Verfechterin der Künste zu den großen Stars der Klassik-Szene und begeistert ihr Publikum immer wieder mit einzigartigen Projekten und Programmen. In insgesamt sieben Veranstaltungen ist sie nun im Rahmen des Festivals Joyce DiDonato & Friends als Interpretin, Lehrerin und Gesprächspartnerin zu erleben. Und auch in Dortmund geht sie in ihrer Programmauswahl außergewöhnliche Wege geht. So hat sie sich unter anderem zur Präsentation eines Liederzyklus entschieden, den man nicht unbedingt mit einer Frauenstimme verbindet: Franz Schuberts Winterreise. Der 1827 von Schubert komponierte Liederzyklus zählt mit den 24 Liedern zu den bedeutendsten Werken, die für eine Gesangsstimme komponiert worden sind. Die Texte stammen von Schuberts Zeitgenossen Wilhelm Müller, dessen Gedichtsammlung Die schöne Müllerin bereits vier Jahre zuvor von Schubert vertont wurde. In 24 Momentaufnahmen wird der Weg eines Wanderers gezeichnet, der sich auf eine Winterreise begibt, dabei aber kein Ziel hat. Ausgangspunkt ist eine unglückliche Liebesbeziehung, die der Wanderer auf der Reise zu vergessen versucht. Aber in ständigen Rückblenden kehren immer wieder schmerzhafte Erinnerungen an die ehemalige Geliebte zurück. Das Klavier wird in Schuberts Vertonung zum "wandernden" Begleiter, der mit differenziertem Wechsel zwischen Dur und Moll die Stimmungsschwankungen des lyrischen Ichs einfängt. Ob das letzte Lied, "Der Leiermann", in den Tod des lyrischen Ichs führt, nachdem er zuvor "Die Nebensonnen" mit den Augen der verflossenen Geliebten assoziiert hat, lässt der Zyklus offen. Joyce DiDonato DiDonato wählt nun eine neue Perspektive auf das Werk. Sie betrachtet die Geschichte aus der Sicht der Geliebten. So erhält sie zu Beginn des Abends per Post das Tagebuch des Wanderers zugeschickt und fängt an, darin zu lesen. Auf diese Weise erweckt sie die einzelnen Lieder eindrucksvoll zu neuem Leben. Als Requisiten reichen neben dem in braunem Leder eingebundenen Buch ein Stuhl und ein Tisch, an dem DiDonato zum Lesen Platz nimmt. Dabei gelingt DiDonato der Perspektivwechsel hervorragend. Nahezu erschüttert zeigt sie sich als Geliebte, wenn sie aus den Tagebuchaufzeichnungen erkennt, was sie dem jungen Mann angetan hat. Immer wieder schließt sie das Buch, ist fassungslos über das, was er empfunden hat, drückt das Buch an ihr Herz und kann aber nicht aufhören weiterzulesen, auch wenn das ihren Schmerz noch steigert, so wie das lyrische Ich immer tiefer in Melancholie verfällt. Maxim Emelyanychev findet am Klavier dabei zu einer eindringlichen Begleitung, die mal anklagend, dann wieder tröstend wirkt und mit der Stimme eine wunderbare Einheit eingeht. Die Übertitelung erweist sich bei DiDonatos großartiger Diktion nahezu als überflüssig. Sie durchdringt den Text gehaltvoll mit jeder Silbe. Dabei versteht sie es auch, mit ihrer großartigen Stimme wunderbar zu modulieren und zwischen zartem, nahezu zerbrechlichem Piano und großen emotionalen Ausbrüchen zu changieren. Hier sitzt jede Nuance, und die Akzentuierung ist einfach perfekt. So durchlebt man mit ihr die Leiden des jungen Mannes auf seiner Reise durch den Winter. Mit großer Melancholie beschreibt sie den berühmten Lindenbaum, der "am Brunnen vor dem Tore" steht und entlarvt dabei die trügerische Idylle, die das Bild zunächst entwirft. Regelrecht verzweifelt intoniert sie "Eine Straße muss ich gehen, die noch keiner ging zurück" und macht mehr als deutlich, was in ihrer Interpretation damit gemeint ist. Bei den "Nebensonnen" sieht sie noch einmal neben der Sonne die Augen der Geliebten leuchten, bevor das Licht auf der Bühne verlischt, und DiDonato im Dunkeln steht, um das letzte Lied, "Der Leiermann", zu interpretieren. Hier endet für DiDonato nicht nur die Reise des Wanderers sondern auch sein Leben, und Emelyanychev lässt diesen Schluss buchstäblich offen in der Luft hängen. Das Publikum zeigt sich bei dieser großartigen Leistung absolut begeistert und spendet frenetischen, stehenden Applaus, der DiDonato veranlasst, sogar noch eine Zugabe zu geben, obwohl die Winterreise ja eigentlich ein abgeschlossenes Programm ist und der Geschichte nichts hinzuzufügen ist. Aber DiDonato will sich beim Publikum für den großen Zuspruch bedanken und improvisiert auf ihre herrlich charmante Art. Immerhin hat ihr Pianist Emelyanychev ja noch nicht einmal Noten für ein weiteres Stück. Aber das Lied, das DiDonato als Zugabe ausgewählt hat, beherrscht er auch ohne Noten: "Morgen" von Richard Strauss. So gibt es nach dem tragischen Ende der Winterreise doch noch einen hoffnungsvollen Abschluss. FAZIT Joyce DiDonato beweist, dass der Liederzyklus Winterreise auch für eine Frauenstimme funktioniert und lässt in ihrer Interpretation eine neue Sicht auf das Werk entstehen.
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Ausführende Joyce DiDonato, Mezzosopran Maxim Emelyanychev, Klavier
Franz Schubert
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