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Orfeo ed Euridice
(Le Feste d'Apollo - Atto d'Orfeo)

 

Azione teatrale in sieben Szenen
Libretto von Ranieri de' Calzabigi (leicht ergänzte und gekürzte Fassung Parma, 1769)
Musik von Christoph Willibald Gluck

in italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 1 h 30' (keine Pause)

Konzertante Aufführung am Montag, 11. November 2024, 19.00 Uhr
Alfried Krupp Saal in der Philharmonie Essen

 


Theater und Philharmonie Essen
(Homepage)

Eine "Göttin" steigt herab

Von Thomas Molke / Foto: © Fabrice Demessence

Wenn an einem Montag, der Alfried Krupp Saal in der Philharmonie Essen nahezu bis auf den letzten Platz besetzt ist, muss schon etwas ganz Besonderes auf dem Programm stehen. Cecilia Bartoli, deren Bedeutung für die Kultur- und Musikszene mehrere Ehrendoktorate, Grammys, ECHO Klassik und BRIT Awards sowie zahlreiche weitere Musikpreise bezeugen, kehrt nach ihrem großartigen Konzert 2021 nach Essen zurück und hat dieses Mal nicht nur das 2016 von ihr in Monte Carlo gegründete und für historische Aufführungspraxis renommierte Ensemble Les Musiciens du Prince - Monaco mit seinem musikalischen Leiter Gianluca Capuano mitgebracht. Außerdem hat sie eine "konzertante" Aufführung von Christoph Willibald Glucks Orfeo ed Euridice im Gepäck, die bei den Pfingstfestspielen 2023 in Salzburg, deren künstlerische Leiterin Bartoli seit 2012 mit riesigem Erfolg ist, in der Inszenierung von Christoph Loy eine umjubelte Premiere feierte und die den festlichen Rahmen zur Ernennung Bartolis zur Österreichischen Kammersängerin bildete. Wer Bartoli und ihre Programme kennt, weiß natürlich, dass "konzertant" bei ihr immer einem theatralischen Gesamtkunstwerk gleichkommt, und so ist auch diese Produktion in der Philharmonie szenisch ein großartiges Erlebnis.

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Cecilia Bartoli

Insgesamt dreimal hat Gluck sich mit diesem Werk beschäftigt. Die erste Fassung, die 1762 in Wien in italienischer Sprache uraufgeführt wurde, brachte ihm den Ruf als Opernreformator ein. Große Bekanntheit erlangte auch die Pariser Fassung, die als Tragédie-opéra Orphée et Euridice 1774 Premiere feierte und neben der Transponierung der Partie des Orpheus von einem Altkastraten zu einem Tenor auch Erweiterungen wie beispielsweise das berühmte "Air de Furies" enthielt, das Gluck aus seinem 1761 komponierten Ballett Don Juan übernommen hatte. Fünf Jahre vor Paris hatte sich Gluck ein weiteres Mal mit dem Mythos um Orpheus beschäftigt und ihn zum dritten Teil einer Festoper gemacht, Le Feste d'Apollo, die anlässlich der Hochzeit der Erzherzogin Maria Amalia mit dem spanischen Infanten Herzog Ferdinand von Bourbon-Parma in Parma zur Aufführung gelangte. Darin verband Gluck drei Einakter mit unterschiedlichen mythologischen Erzählungen, die alle einen allegorischen Bezug zur Hochzeit hatten. Der erste Akt mit dem Titel Atto di Bauci e Filemone versinnbildlichte am Beispiel von Philemon und Baucis das Ideal einer ewig andauernden Liebe. Der Atto d'Aristeo erzählte die Geschichte des Bienenzüchters Aristheus, der den Tod der Nymphe Euridice verursacht hatte und dafür mit einem großen Bienensterben bestraft wurde, bevor er durch zahlreiche Opfer die Gnade der Götter zurückerlangt und seine Geliebte Kyrene heiraten durfte. Als letzten Teil wandelte Gluck seine dreiaktige Oper Orfeo ed Euridice zu einer Azione teatrale in sieben Szenen um, wobei die Geschichte bei Gluck im Gegensatz zum Mythos ein glückliches Ende nahm. Amor lässt sich am Ende von Orpheus' Klagen bewegen und gibt ihm Eurydice zurück, obwohl dieser sich nicht an das Gebot gehalten hat.

Diese relativ selten gespielte Parma-Fassung wird in Essen mit kleinen Ergänzungen und einigen Strichen gespielt. So verzichtet man zum Beispiel - wie auch Pina Bausch in ihrer Tanzoper Orpheus und Eurydike - auf das glückliche Ende und lässt Euridice nicht aus der Unterwelt zurückkehren. Die berühmte "Danza delle furie" nach Orpheus' Abstieg in die Unterwelt wird hingegen ergänzt, auch wenn Gluck die Ballettmusik erst viel später in die Oper einfügte. Obwohl man in der Philharmonie kein Bühnenbild hat, hat man trotzdem den Eindruck einer szenischen Aufführung. Das beginnt bereits damit, dass Mélissa Petit, die die Partie der Euridice übernimmt, sich vor Beginn der Oper vor das Orchester auf die Bühne legt und die gerade verstorbene Euridice darstellt, die vom Chor und Orfeo bitterlich beweint wird. Die vorangehende Ouvertüre, die von Les Musiciens du Prince - Monaco unter der Leitung von Gianluca Capuano mit großer Verve präsentiert wird, stellt im Gegensatz zur weiteren Musik fast eine Art Fremdkörper im Stück dar, weil sie eigentlich viel zu fröhlich klingt und die Situation, die in der ersten Szene geschildert wird, in keiner Weise aufgreift. Der Chor mit dem passenden Namen Il Canto di Orfeo nutzt diese Einleitung, um in Trauerkleidung mit Kerzen das Orchester einzurahmen und im Anschluss eindrucksvoll den berühmten Klagegesang "Ah! Se intorno" anzustimmen.

Bartoli tritt als Orfeo zunächst im schwarzen Anzug von der Seite auf und geht szenisch und stimmlich ganz in der Klage des Orfeo auf. Welch zarte Töne Bartoli hier findet, um den Schmerz des Sängers zu beschreiben, geht unter die Haut. Hier fällt es leicht, nachzuvollziehen, dass dieser begnadete Sänger Orfeo der Sohn des Gottes Apollo sein soll. Doch Bartoli kann nicht nur herzzerreißend klagen, sondern auch scharfe Vorwürfe gegen die Götter dafür erheben, dass sie Orfeo die Gattin geraubt haben. Nachdem der Chor mit der toten Euridice die Bühne verlassen hat, lässt Bartoli mit stupender Stimmführung wieder der Trauer des Orfeo freien Lauf. Da verwundert es nicht, dass kurz darauf Amor auftritt. Petit, die auch die kleine Partie des Amor übernimmt, ist dafür in ein rotes Kleid geschlüpft und trägt eine Maske vor dem Gesicht. Mit einem großen Stoffherzen im Arm deutet ihr Kostüm den Gott der Liebe an, der Orfeo gestattet, in die Unterwelt hinabzusteigen, um seine geliebte Euridice unter gewissen Auflagen wieder auf die Erde zurückzuholen.

Der Gang in die Unterwelt wird dann ebenfalls großartig umgesetzt, wofür unter anderem beeindruckende Lichteffekte verantwortlich sind. Bartoli zieht sich zunächst in den Zuschauerraum zurück und betrachtet von dort leicht verunsichert das Treiben auf der Bühne. Der Chor tritt in schwarzen Kostümen mit Taschenlampen auf und stellt sich zwischen die Musikerinnen und Musiker, bildet also gewissermaßen eine undurchdringliche Einheit mit dem Orchester, was dann im Gesang der Furien "Chi mai dell'Erebo" mit unerbittlicher Härte umgesetzt wird. Wenn die Choristen dabei immer wieder mit den Taschenlampen in den Saal leuchten, wird man von den Furien regelrecht in die Sitze gedrückt. Auch die Mischung des Klangs zwischen Gesang und Orchester ist hier grandios. Wie Bartoli es als Orfeo mit zarten Klängen und betörendem Spiel der Harfe schafft, diese harte Front allmählich aufzuweichen, ist absolut bewegend. So lassen die Furien den Sänger schließlich passieren. Leicht unsicheren Schrittes verlässt Bartoli die Bühne auf der rechten Seite, während das Orchester zu einer fulminanten "Danza delle furie" ausholt. Danach kann sich das Publikum kaum noch zurückhalten und möchte eigentlich in tosenden Applaus ausbrechen, wird aber von Capuano mit einer bloßen Handbewegung zurückgehalten.

Nach einer kurzen Stimmpause taucht man dann in die Gefilde der Seligen ein. Nun ist alles hell auf der Bühne. Auch Orfeo hat seinen schwarzen gegen einen weißen Anzug eingetauscht. Auch der Chor unterstreicht mit den hellen Kostümen und den Schleiern, dass man sich hier an einem Ort des Friedens befindet, die mit der christlichen Vorstellung der Unterwelt oder Hölle nichts gemein hat. Auch das Orchester zaubert mit weichem Klang absolute Harmonie. Noch ist Orfeo voller Vorfreude auf das Wiedersehen mit seiner Euridice und hofft auf ein glückliches Ende. Doch wenn Petit als Euridice in hellem Kleid auftritt, ahnt man bereits, dass die Geschichte nicht gut enden kann. Bartoli und Petit spielen das einander liebende Paar mit großer Emotion. Verzweifelt hält sich Bartoli als Orfeo die Hände vor das Gesicht und versucht, dem Blick der geliebten Gattin auszuweichen, um das Gebot nicht zu verletzen. Enttäuscht gibt sich Petit als Euridice, die das Verhalten ihres Gatten als Lieblosigkeit deutet. Stimmlich geht die Auseinandersetzung der beiden unter die Haut. Man leidet mit Bartoli, die Euridice einfach nur aus der Unterwelt führen möchte und allen Fragen auszuweichen versucht, und empfindet Mitgefühl mit Petit, die das Verhalten ihres Gatten nicht verstehen kann. Wenn Orfeo dem Klagen Euridices nicht mehr standhalten kann und sie schließlich ansieht, möchte man vor Rührung weinen, weil das Spiel von Bartoli und Petit so intensiv ist.

Auch die berühmte Arie "Che farò senza Euridice?" wird von Bartoli in einer Weise interpretiert, wie man sie sicherlich noch nicht gehört hat. Dabei macht Bartoli die absolute Verzweiflung des Sängers mit rasanten Wechseln in den Tempi spürbar. Dieser Orfeo ist so außer sich über den erneuten Verlust der Gattin, dass er nicht in der Lage ist, in einen rhythmisch einheitlichen Klagegesang zu verfallen. So wirkt die Trauer noch glaubwürdiger als in der gewohnten Fassung. Doch Orfeos Klage ist vergeblich. Der Chor tritt wieder in der Trauerkleidung vom Anfang mit den Kerzen auf und wiederholt den Gesang vom Anfang, "Ah! Se intorno". Damit endet ein absolut bewegender Abend. Die Solistinnen, das Orchester und der Chor werden zu Recht mit stehenden Ovationen gefeiert.

FAZIT

Cecilia Bartoli gelingt es mit Les Musiciens du Prince - Monaco und einem großartigen Ensemble Glucks Meisterwerk in ganz neuem Licht erstrahlen zu lassen.



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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Gianluca Capuano

Choreinstudierung
Jacopo Facchini

Il Canto di Orfeo

Les Musicien du Prince - Monaco


Solistinnen und Solisten

Orfeo
Cecilia Bartoli

Euridice
Mélissa Petit

 


Weitere Informationen
erhalten Sie von der

Theater und Philharmonie Essen
(Homepage)



Da capo al Fine

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