Zur OMM-Homepage Zur OMM-Homepage Veranstaltungen & Kritiken
Konzerte
Homepage Musiktheater-Startseite E-Mail Impressum



NDR Elbphilharmonie Orchester

Arnold Schönberg
Gurre-Lieder

NDR Elbphilharmonie Orchester
Alan Gilbert, Dirigent

Aufführung am 13. September 2024 in der Elbphilharmonie Hamburg



Elbphilharmonie Hamburg
(Homepage)

Größte Klangpracht zum 150. Geburtstag

Von Christoph Wurzel / Foto: © Sophie Wolter

Nicht mit Pierrot lunaire oder einer der Kammersymphonien, nicht mit Moses und Aron und nicht mit A Survivor from Warshaw - um nur einige der ikonischen Werke dieses Jahrhundertkomponisten zu nennen - ehrte das NDR Elbphilharmonie Orchester Arnold Schönberg exakt an seinem 150. Geburtstag, sondern mit den Gurre-Liedern, seinem spätromantisch ausladenden Frühwerk, einem Schwellenwerk in der Entwicklung des Komponisten und zugleich am Übergang zur musikalischen Moderne.

Seine spätere künstlerische Produktivität führte Schönberg später weit darüber hinaus - über die Abkehr von der traditionellen Tonalität bis hin zu der "Methode des Komponierens mit zwölf nur aufeinander bezogenen Tönen". Damit freilich konnte Schönberg das Publikum seiner Zeit kaum gewinnen. Schon seine ersten atonalen Kompositionen hatten im Konzertsaal zu Skandalen geführt. Die Gurre-Lieder hingegen waren bei ihrer Uraufführung 1913 in Wien ein so großer Erfolg, dass selbst eingefleischte Gegner, die auf neuen Tumult eingestellt mit Trillerpfeifen zur Aufführung angereist waren, kleinlaut wieder abziehen mussten. Dieser Triumph bei der Uraufführung blieb für den Komponisten aber der Einzige in seinem Leben.

Der überwältigenden Wirkung dieses Werks konnte man sich auch bei der Hamburger Aufführung nicht entziehen. Allein der riesige Orchesterapparat war überdimensional: rund 150 Instrumentalisten, darunter neben einer vergrößerten Streicherzahl je 25 Holz- und Blechbläser, umfangreiches Schlagwerk, vier Harfen und Celesta; drei vierstimmige Männerchöre, ein achtstimmiger Gemischter Chor, fünf Gesangssolisten und ein Sprecher. Bei der Aufführung in der Elbphilharmonie mögen es insgesamt rund 280 Mitwirkende gewesen sein, die sich auf dem Podium und den hinteren Rängen drängten.

Bild zum Vergrößern

Dicht gedrängt auf Podium und Rängen: Die Ausführenden der Gurre-Lieder in der Elbphilharmonie

Textgrundlage sind die Gurresange des dänischen Dichters Jens Peter Jacobsen, benannt nach der Burg Gurre auf Seeland, dem Handlungsort einer Geschichte aus der nordischen Mythologie, die von der leidenschaftlichen Liebe des Königs Waldemar zu dem jungen Mädchen Tove erzählt. Als diese von der Königin aus Eifersucht grausam ermordet wird, klagt Waldemar erbittert vor Trauer und Verzweiflung Gott des Unrechts an ihm an, lästert und verflucht ihn. Zur Strafe muss er in wilder Jagd im Lande umherirren und verwüstet mit seinen Mannen das Land, bis der anbrechende Tag diesem Treiben ein Ende bereitet.

Nicht in einem dramaturgischen Kontinuum, sondern formal außerordentlich vielgestaltig und kontrastreich hat Schönberg das Werk aufgebaut. Mit dem fast impressionistischen Klangzauber einer Abenddämmerung beginnt der erste Teil des fast zweistündigen Werks. In neun ebenso lyrischen wie emphatischen Liedern besingen Waldemar und Tove wechselseitig ihre Liebe. Vom Tod Toves kündet das Lied der Waldtaube. Zentraler Drehpunkt der Handlung ist Waldemars Gotteslästerung, die allein den kurzen zweiten Teil bildet. Den letzten Teil dominieren die dramatischen Chorszenen der wilden Jagd von Waldemars Mannen, bis ein Melodram von der erwachenden Natur im Sommerwind erzählt. Abschließend verkünden das machtvoll auffahrende Orchester und die versammelten sechzehnstimmigen Chöre in einem prachtvollen Klangrausch den Sonnenaufgang.

Allein dieses kolossale Werk mit diesem derart riesigen Apparat aufgeführt zu erleben, bedeutet schon ein Ereignis an sich. Neben dem erweiterten Elbphilharmonie Orchester des NDR waren außer dem NDR Vokalensemble noch die Rundfunkchöre aus Berlin und Leipzig (MDR) beteiligt. Sie realisierten zusammen mit den fünf Gesangssolistinnen und -solisten und Thomas Quasthoff als Sprecher das Werk bezwingend und mit nachhaltiger Wirkung. Alan Gilbert widmete sich mit großer Sensibilität der überaus reichen Palette der Klangfarben. Deutlich hob er die zahlreichen Leitmotive aus dem Gesamtklang heraus. Zu einem wahren Orchestersturm gestaltete er die dramatischen Chor-Szenen der zweiten Konzerthälfte. Im ersten Teil dagegen ließ er das Orchester stellenweise zu laut auffahren, so dass selbst der gestandene Heldentenor Simon O'Neill als Waldemar überdeckt wurde.

Strittig in der Rezeption dieses Werkes ist die Anlage der Gesangspartien der beiden Hauptfiguren. Schönbergs hier noch sehr an Wagner erinnernde Musiksprache legt extrovertierten Operngesang nahe. Andererseits handelt es sich eben nicht um eine Oper, sondern einen lyrischen Zyklus von Liedern, freilich von stark emotionaler Expressivität. Eine Gratwanderung gerade für den Sänger des Waldemar. O'Neill legte die schwärmerische Partie auch weitgehend opernhaft an, bisweilen etwas angestrengt, gleichwohl er die lyrischen Seiten ebenfalls zeigte. Letzteres galt für Christina Nilsson als Tove uneingeschränkt. Ihr unverbrauchter, wunderbar flexibler Sopran strahlte pure Jugendlichkeit aus. Mit ihrem wohlklingenden, in der Höhe wie in der Tiefe gleichermaßen gesättigten Mezzosopran war Jamie Barton in der Rolle der Waldtaube eine empfindsame und berührend empathische Erzählerin des traurigen Schicksals der beiden Liebenden.

Bild zum Vergrößern

Alan Gilbert und das NDR Elbphilharmonie Orchester

Die beiden Gesangspartien des dritten Teils konterkarieren die Emphase der Lieder Waldemars und Toves. Ein Bauer schildert, wie er den Spuk der wilden Jagd Waldemars und seiner Mannen erlebt. Michael Nagy machte mit fester Stimme selbstbewusst dessen kaum zu erschütterndes Gottvertrauen glaubhaft. In der Partie des Narren Klaus brachte Michael Schade im ironischen Parlando dieses groteske Scherzo glänzend zur Geltung. Thomas Quasthoff war mit seiner überaus reichen Erfahrung als Sänger die Idealbesetzung in der Partie des Sprechers im Melodram und gestaltete den Text so wie er von Schönberg in Höhe und Rhythmus notiert ist: musikalisch gesprochen und ohne schauspielerische Allüren.

Das NDR Elbphilharmonie Orchester ließ inmitten dieses überwältigenden Klanggemäldes auch in den zahlreichen solistischen Stellen immer wieder fein ausgestaltete Farben aufblitzen. Schließlich trugen die versammelten Männerchöre als Waldemars Krieger zu ungeheurer Dramatik bei und ließen gemeinsam mit den Frauenstimmen am Schluss den Sonnenaufgang prachtvoll erglänzen. So endete dieses monumentale Werk des Neutöners Arnold Schönberg in strahlendem C-Dur.


Ihre Meinung ?
Schreiben Sie uns einen Leserbrief

Ausführende

MDR-Rundfunkchor

NDR Vokalensemble

Rundfunkchor Berlin

NDR Elbphilharmonie Orchester

Alan Gilbert, Dirigent

Solistinnen und Solisten

Waldemar, Tenor
Simon O'Neill

Tove, Sopran
Christina Nilsson

Waldtaube, Mezzosopran
Jamie Barton

Bauer, Bariton
Michael Nagy

Klaus Narr, Tenor
Michael Schade

Sprecher
Thomas Quasthoff


Programm

Arnold Schönberg
Gurre-Lieder
für Soli, Chöre und Orchester
Text von Jens Peter Jakobsen
(deutsch von Robert Franz Arnold)

 


Weitere Informationen
erhalten Sie vom

Elbphilharmonie Hamburg
(Homepage)



Da capo al Fine

Zur OMM-Homepage Musiktheater-Startseite E-Mail Impressum
© 2024 - Online Musik Magazin
http://www.omm.de
E-Mail: oper@omm.de

- Fine -